Das Leben mit der Schuld

Zuletzt hatte sich eine 17-Jährige Autofahrerin nachdem sie in Hohenpeißenberg einen tödlichen Unfalll verursacht hatte, von der Unfallstelle entfernt und war später von der Polizei aufgegriffen worden. Rational betrachtet, ist das unerlaubte Entfernen vom Unfallort ein völlig sinnloses Verhalten und kann Strafen von bis zu drei Jahren Gefängnis mit sich bringen. Für die Ermittlungsbehörden ist es zudem meist einfach, den Fahrer ausfindig zu machen. Warum also fliehen Menschen trotzdem? Wie gehen sie mit der schweren Schuld um, die sie auf sich geladen haben, wenn bei einem von ihnen verursachten Unfall andere Menschen sterben?

Flucht von der Unfallstelle ist eine Schutzreaktion

Nach einem schweren Verkehrsunfall befinden sich die meisten Unfallfahrer zunächst in einem schweren psychischen Schockzustand, der Körper handelt ganz automatisch. Die Flucht von der Unfallstelle ist in erster Linie eine Vermeidungs- und Schutzreaktion. Der Unfallverursacher ist getrieben von dem Gedanken, sich selbst zu retten, sagt Wilfried Echterhoff, Professor für Psychologie an der Bergischen Universität Wuppertal.


Angst sei dabei ein nicht unwesentlicher Faktor, angesichts dessen, was man angerichtet hat. Oft verhielten sich Menschen in solchen Situationen aber sehr geordnet, meint Echterhoff. "Sie sichern die Unfallstelle und kümmern sich um die Verletzten."

Die Schuld kann Menschen ein Leben lang verfolgen

Die Schuld, die ein Unfallverursacher auf sich lädt, so Echterhoff, könne Menschen "ein Leben lang verfolgen", unabhängig von den strafrechtlichen Konsequenzen. Ursache ist der Anspruch an sich selbst, sicher und sorgfältig im Straßenverkehr unterwegs zu sein, alles im Griff zu haben. Dann kommt der Unfall, Menschen sterben - "das passt nicht zum Selbstbild der Menschen", erklärt Echterhoff. Die Unfallverursacher fühlten sich als "Versager". Echterhoff weiß von einem Fall, bei dem ein junger Mann seinem früh verstorbenen Vater nacheifern wollte. Das rechtschaffene Leben des Vaters galt gewissermaßen als Messlatte für die eigene Lebensleistung. Als der junge Mann einen Unfall verursachte, bei dem mehrere Menschen starben, hatte er gegenüber dem eigenen Anspruch versagt. Bis heute befinde sich der Mann in psychologischer Behandlung.

Ängste und Minderwertigkeitsgefühle ziehen auch körperliche Krankheiten nach sich

In solchen Situationen fühlten sich Menschen nicht mehr als gleichwertig und schotteten sich von ihrer Umgebung ab. Diese Menschen litten an einer schweren psychischen Krankheit, einem Psychotrauma, meint Echterhoff, der sich am Institut für psychologische Unfallnachsorge (IPU) in Köln um entsprechende Fälle kümmert. Sie entwickelten Ängste und Minderwertigkeitsgefühle, die oftmals auch körperliche Krankheiten nach sich zögen, sagt der Psychologe.

Medikamente verschärfen das Problem nur - Psychotherapie besser

Es sei sehr wichtig, dass psychotraumatisch belastete Menschen schnellstmöglich psychologisch therapiert würden. Medikamente seien hier fehl am Platz, "sie verschärfen das Problem eher", warnt Echterhoff.  Am IPU erfolge daher eine Gesprächstherapie und vielfältige Übungssituationen, in denen ein neues Verhalten eingeübt werde.

Wichtig sei dabei, dass die Menschen Erfolgserlebnisse mit dem neuen Verhalten erlebten, betont Echterhoff. Als positiv bewertet er, dass Psychotraumata inzwischen als Krankheit anerkannt würden und die Behandlung unabhängig von der Schuldfrage von den Krankenkassen getragen werde. In Bayern betreibt die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) in Bad Reichenhall eine Klinik, die sich auf die psychotraumatologische Behandlung spezialisiert hat und mit der IPU zusammenarbeitet. AZ

Jetzt bestellen! Das neue iPad inkl. e-Paper.

Open all references in tabs: [1 - 5]

Leave a Reply