Das Ende des positiven Denkens

Wer verstehen will, warum Gabriele Oettingen positive Fantasien und Tagträume als hinderlich für den Erfolg bezeichnet, muss der renommierten Psychologie-Professorin zurück in ihre Vergangenheit folgen: Seit mehr als 20 Jahren forscht sie in den USA, dem Ursprungsland des Optimismus, des Alles-ist-möglich. Und auch sie war davon ausgegangen, dass uns positives Denken hilft, unsere Wünsche zu erfüllen. Doch gleich in ihrer ersten Studie 1991 kam genau das Gegenteil heraus.


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Die gebürtige Deutsche (Bild) begleitete stark übergewichtige Frauen, die sich für ein Abnehm-Programm angemeldet hatten. Nach Ende des Programms stellte sich überraschend heraus, dass jene Frauen, die sich ihre Zukunft nach dem Programm besonders positiv ausgemalt hatten, weniger abnahmen als die Skeptikerinnen.


"Ich dachte zuerst, ich hätte falsch gemessen, aber in der nächsten Studie erhärtete sich das Ergebnis: Studenten, die sich in ihrem letzten Studienjahr intensiv das schöne Leben nach dem Abschluss ausmalten, verdienten zwei Jahre später weniger als jene, die auch negative Gedanken zuließen", erzählt Oettingen (Bild).

Das Schwelgen in positiven Zukunftsfantasien verhindert den Erfolg?

Realisten sind Miesmacher

"Angesichts der Vorherrschaft des Optimismus, erscheint es geradezu riskant, negative Gesichtspunkte auch nur mit vorsichtigen Worten anzusprechen, vor allem in Institutionen und Organisationen", schreibt sie in ihrem Buch Die Psychologie des Gelingens, das kommende Woche erscheint. "Wer am Arbeitsplatz eine realistische Haltung vertritt, gilt oft als Spielverderber oder Miesmacher". Ihr jedenfalls legte man damals nahe, sie solle sich – wolle sie ernst genommen werden – doch besser auf das Erforschen positiver Erwartungen beschränken.

Tat sie nicht.

Unzählige Studien haben die Forscherin überzeugt: Positives Denken hilft uns nicht so viel weiter, wie wir glauben. Egal, ob es sich ums Abnehmen, Rauchenaufhören, schnelleres Gesundwerden, bessere Noten oder höher dotierte Jobs handelt.

Und wenn man es sich genau überlegt, ist das auch plausibel.

Träumen statt handeln


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Davon zu träumen, wie sich ein Herzenswunsch erfüllt, vermittelt ein warmes Gefühl der Zufriedenheit. "Und so kann man in ausweglosen Situationen ausharren, durchhalten und Hoffnung schöpfen", analysiert Oettingen. "Was ich mit positiven Träumen und Wünschen aber nicht schaffe: Wenn Handeln gefragt ist, ein herausforderndes Ziel erreichen. Denn ich werde nicht die notwendige Energie aufbringen, um die Hindernisse aus dem Weg zu räumen."

Der Kult um den Optimismus ist weder neu noch typisch amerikanisch: Als wichtiger Vertreter darf Martin Seligman, der Erfinder der "positiven Psychologie" und Autor von Büchern wie Pessimisten küsst man nicht gelten.

Als Oettingen in den späten 1980er-Jahren nach Amerika kam, war die psychologische Forschung auf Erwartungen ausgerichtet, also die Einschätzung der Erfolgschancen. Sind die Erwartungen hoch, spricht man von Optimismus, sind sie niedrig, von Pessimismus.

"Es wurde aber nicht zwischen Hoffnung und Optimismus unterschieden", sagt sie. "Das hat mich beunruhigt und war der Anfang meines Interesses am positiven Denken. Von Hoffnung sprechen wir, wenn die Chancen schlecht stehen und wir trotzdem positiv in die Zukunft sehen. So kam ich auf die Idee, den Einfluss von Wunschträumen und positiven Fantasien zu untersuchen."

Vier Schritte


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In der Folge hat die Psychologin einen neuen Ansatz entwickelt, mit dem man Ziele besser erreicht. WOOP (Wish, Outcome, Obstacle, Plan – siehe unten). "Wir geben nur vier Schritte vor, in die jeder seine persönlichen Wünsche einfüllen kann. Die Wirkung von WOOP ist wissenschaftlich getestet, stößt Prozesse an, zu denen wir keinen bewussten Zugang haben, die aber unser Verhalten verändern." Erfolgsgeheimnis der Motivationsstrategie: "Wenn ich etwas wirklich möchte, brauche ich noch was anderes als positives Denken. Ich muss mir zusätzlich die Hindernisse auf dem Weg vorstellen. Das gibt mir die Energie", sagt die Psychologin und nennt das "mental contrasting"


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Erst wenn man positiv in die Zukunft träumt und sich dann die Probleme auf dem Weg zur Wunscherfüllung vor Augen führt, finde man einen Weg, die Hindernisse zu überwinden.

Oettingen hat auch einen nicht zu unterschätzenden Zusatznutzen ausgemacht: "WOOP hilft, zu unterscheiden, was man wirklich will, wo man sich tatsächlich engagieren möchte, und wo man sich besser zurückzieht und keine Energie darauf verschwendet." Die Methode ist also auch eine Chance, im Leben aufzuräumen. Oettingen nennt es "ein Schweizer Taschenmesser für ein besseres Leben".

Mittlerweile hat sie das Woopen vielfach überprüft: Bei Gesundheitsdienstleistern, die woopen, hat sie festgestellt, dass sie weniger gestresst waren als die Kontrollgruppe. Woopende Studenten einer kaufmännische Berufsschule konnten ihre Zeit besser managen und woopende Schüler waren beim Hausaufgaben machen effizienter und bekamen bessere Noten.

Negatives Denken hilft der Wirtschaft


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Zum Drüberstreuen geht Oettingen sogar so weit, zu sagen, dass positives Denken den wirtschaftlichen Erfolg behindere. "Am Beginn der Finanzkrise haben wir die Wirtschaftsartikel in USA Today auf positives Denken untersucht. Ergebnis: "Je positiver die Berichterstattung in einer bestimmten Woche, desto stärker sank der Dow-Jones-Index in der darauffolgenden Woche." Danach hat sie beschlossen, die Antrittsreden der US-Präsidenten nach derselben Methode zu überprüfen: "Je positiver die Reden waren, desto weniger positiv war die wirtschaftliche Entwicklung danach."

Lesen Sie morgen: Wie woopen funktioniert

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