Das dritte Auge der Radiologen

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Von Joachim Laukenmann.
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Der lernfähige Computer Watson von IBM soll Ärzten bei der Diagnose helfen

Bilddiagnose: Ein Arzt wertet Scans aus, zukünftig sollen Computer ihn bei der Analyse der Krankheitssymptome unterstützen

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Bild: Martin Ruetschi/Keystone

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2011 sorgte der IBM-Supercomputer Watson für Schlagzeilen. Dank einem grossen Fundus an Wissen, ausgefeilter Textanalyse und dem Verständnis natürlicher Sprache gewann Watson in der Quiz-Show «Jeopardy!» gegen die beiden besten Spieler aller Zeiten.

In gewisser Hinsicht war das Spielerei. Aber die Fähigkeiten, die Watson für die Quiz-Show erwarb, lassen sich erweitern und für nützlichere Dinge einsetzen. So haben IBM-Wissenschaftler Watson nun quasi die Augen geöffnet. Mit seiner Sehleistung soll der lernfähige Computer künftig Radiologen bei der Diagnose unterstützen, indem er mit Mammografie, Magnet­resonanz-Tomografie (MRI), Ultraschall oder anderen Verfahren gewonnene Bilder auf Krankheitssymptome hin untersucht.

Das menschliche Auge kommt dabei oft an seine Grenzen. «Viele für die Diagnose relevanten Informationen sind sehr subtil», sagt Georg Langs, Computerwissenschaftler an der Universitätsklinik für Radiologie und Nuklearmedizin in Wien, der am Projekt beteiligt ist. «Der Einsatz von Computern soll die Bildanalyse zuverlässiger machen und vielleicht sogar neue Hinweise entdecken, mit denen wir den Zustand eines Patienten besser einschätzen können.»

Vor allem aber soll Watson den Alltag der Radiologen erleichtern. «Nach fünf bis sechs Stunden Bildanalyse werden die Augen der Radiologen müde, die Feinheiten werden nicht mehr wahrgenommen, und die Diagnoseleistung lässt nach», sagt Flora Gilboa-Solomon von den IBM Labs in Haifa, Israel, wo sie die Abteilung für medizinische Bildanalyse leitet. Bei Brustkrebs betrage die Fehlerrate der Radiologen beispielsweise zehn bis dreissig Prozent. «Im Gegensatz zu menschlichen Augen ermüdet Watson nicht.»

Computersystem arbeitet wie ein medizinisches Sieb

Jürg Hodler, Radiologe und ärztlicher Direktor am Universitäts­spital in Zürich (UZH), sieht in Watson eine sinnvolle Unterstützung der Ärzte, unter anderem da er rasch Informationen sammeln kann, die auf verschiedene Computersysteme verteilt sind. «Ich würde den Schlussbefund zwar nicht dem Computer überlassen», sagt Hodler. «Aber die Unterstützung kann sehr wertvoll sein.» Letztlich könne Watson dank der Kombination aller verfügbaren Informationen die Diagnose schneller und zuverlässiger machen.

Das Computersystem fungiert als eine Art Filter, der die für ­Radiologen relevante Information von der weniger wichtigen trennt. Daher nennt IBM das Projekt auch «Medical Sieve», also medizinisches Sieb. Während das IBM-Team aus Haifa Watson auf die Analyse von Krankheiten der weiblichen Brust trainiert, fokussieren Kollegen aus Kalifornien auf das Herz und Forscher in Melbourne, Australien, auf das Auge.

Am Beispiel der Brustkrebs­patientin «Angela Smith» erläutert Gilboa-Solomon, wie Watson arbeitet. Zunächst sammelt und analysiert der Computer klinische Informationen der Patientin wie deren Krankheitsgeschichte, aktuelle Körpertemperatur, die Anzahl weisser Blutkörperchen im Blut und die Information, dass die Patientin über Schmerzen in der Brust klagt. Die wichtigsten Angaben präsentiert Watson dem Radiologen auf dem Monitor. Dazu listet der Computer alle Krankheiten auf, welche in Anbetracht der klinischen Information potenziell infrage kommen, und empfiehlt das weitere Vorgehen, in diesem Fall eine Mammografie.

Ärzte und Watson ergänzen sich und lernen voneinander

Anschliessend holt Watson die für den Radiologen relevanten Mammografie-Aufnahmen auf den Bildschirm, markiert und analysiert die wichtigen Bildbereiche und liefert eine kurze Zusammenfassung seiner Diagnosevorschläge. Diese verfasst der Computer in der Sprache der Radiologen. Allerdings ist die Diagnose im Fall der Patientin Smith nicht eindeutig. Noch immer ist die Liste möglicher Krankheiten lang. Auch diverse Varianten von Brustkrebs sind nicht ausgeschlossen. Daher empfiehlt Watson eine weitere Untersuchung und zwar einen Ultraschall.

Danach sieht die Sache besser aus. Mit 54 Prozent Wahrscheinlichkeit geht Watson davon aus, dass Frau Smith unter einer einfachen Brustzyste leidet, mit 41 Prozent könnte diese auch entzündet sein. Alle andere Diagnosen hat das Computersystem als unwahrscheinlich klassifiziert, auch Brustkrebs. «Die Zusammenfassung der Befunde spart dem Radiologen Zeit und macht ihn effizienter», sagt Gilboa-Solomon. «Ist der Radiologe anderer Meinung als Watson, kann er die Diagnose bearbeiten, was wiederum in den Lernprozess von Watson einfliesst.»

Damit Ärzte die Unterstützung des Systems annehmen, sei es wichtig, dass Watson erklärt, wie er zu seinen Befunden kommt. «Watson darf keine Blackbox sein», sagt Gilboa-Solomon. Auch der UZH-Radiologe Hodler stellt Anforderungen. So müsse die Kosten-Nutzen-Rechnung stimmen und das System alltagstauglich sein. Das heisst: Es muss die Datenschutzbestimmungen einhalten und mit den üblichen Spitalnetzwerken und Computern kompatibel sein. Auch müsse es für den Radiologen spürbar Vorteile bringen, etwa ein zuverlässiges Aufdecken verpasster Befunde.

Natürlich macht auch Watson Fehler. «Indem wir die Bilder, mit denen Watson lernt, von mehreren Radiologen analysieren lassen, reduzieren wir die Fehlerrate», sagt Gilboa-Solomon. Zudem soll Watson künftig von einer viel umfassenderen Datenbasis lernen. Daher hat IBM kürzlich die Firma Merge Healthcare übernommen, die Lösungen für die Verwaltung medizinischer Bilddaten bereitstellt. «Letztlich müssen wir beweisen, dass Watson die Diagnoseleistung der Ärzte verbessert. Nur dann werden wir die Zulassung durch Gesundheitsbehörden erhalten.»

Dies dürfte aufgrund der regulatorischen Anforderungen noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Bis Ende 2017 möchte das Forscherteam aus Haifa sein System für erste Tests in der Praxis einsatzbereit machen.

Erschienen am 17. Januar 2016 in der (SonntagsZeitung)

Erstellt: 18.01.2016, 16:47 Uhr


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