Das Comeback der rechten Sozialdemokraten – Tages

Den «Kronen»-Club nannte man in der SP die informelle Gruppierung, die sich während einiger Jahre regelmässig im gleichnamigen Restaurant in der Berner Altstadt getroffen hatte. Simonetta Sommaruga war damals noch Ständerätin, und sie war es, die viele der Versammlungen organisierte. Teilnehmer waren National- und Ständeräte vom rechten Parteiflügel, und regelmässig lud man SP-Regierungsräte und Chefbeamte aus der Bundesverwaltung zum Gespräch (auch der Freisinnige Yves Rossier war schon Gast). Es war die Zeit, als man sich in der SP noch oft und gerne das Etikett «sozialliberal» anhängte.

Sommaruga ist inzwischen Bundesrätin, der Begriff «sozialliberal» hat an Bedeutung verloren – und auch um die Gesprächsrunden der moderaten Sozialdemokraten stand es schon besser. Nun, nach den Wahlen vom Herbst, die für die SP nicht berauschend ausgefallen sind, sollen die Treffen wieder belebt werden. Der frisch gewählte Zürcher SP-Ständerat Daniel Jositsch kündigte gegenüber der NZZ an, die «eingeschlafene» Gruppe neu zu konstituieren. «Die SP ist zu einseitig links positioniert», hatte Jositsch bereits kurz nach seiner Wahl geklagt.

Wie viel Bevormundung erträgt es?

Schon lange beteiligt ist an diesen Treffen die Aargauer SP-Ständerätin Pascale Bruderer. Sie übernahm einst von Sommaruga die Rolle der Koordinatorin. «Unser Ziel ist es nicht, die Richtung der Partei zu ändern», sagt sie heute. «Es geht darum, die Breite der Partei besser sichtbar zu machen und so die SP als Ganzes zu stärken. Wir wollen den Austausch zwischen den pragmatischen und lösungsorientierten Kräften verstärken.» Zu diesem «lösungsorientierten» Kreis gehören neben Jositsch und Bruderer auch die Ständeräte aus beiden Basel, Claude Janiak und Anita Fetz, und die Zürcher Nationalrätin Chantal Galladé. Sie fühlen sich durch ihre eigenen Wahlresultate bestätigt, dass ein moderater Kurs von den Wählern honoriert werde.

Unklar bleibt, mit welchen Themen sich der rechte Parteiflügel bemerkbar machen will. Es sei zu früh, um sich auf bestimmte inhaltliche Positionen festzulegen, sagt Bruderer. Es gehe um Grundfragen wie jene, «wie viel Bevormundung es erträgt – und wo es stattdessen mehr Befähigung braucht». Die Idee des Austauschs sei auch nicht neu, sondern habe in der Vergangenheit immer wieder Früchte getragen. «Sozialpolitisch hat die SP zum Beispiel ihren Fokus geöffnet: Wir brauchen nicht nur Auffangnetze, wir brauchen vor allem Sprungbretter.» Die Politik der SP-Delegation im Ständerat könne ein Vorbild für die ganze Partei sein, sagt Janiak – und verweist auf das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare oder die Reform des Namensrechts, die man dank eines pragmatischen Vorgehens durchgebracht habe. «Manchmal ist es wichtiger, die nötigen Mehrheiten zu beschaffen, statt auf der reinen Lehre zu bestehen.»

«Ein Rechtskurs wäre verheerend»

Für Vertreter der Parteilinken ist das zu schwammig. Einen «Irrweg» nannte SP-Nationalrat Corrado Pardini Jositschs Aussagen schon vor einigen Wochen. Er begrüsse es zwar, wenn sich der rechte Flügel in die Debatte einbringe, sagt SP-Nationalrat Cédric Wermuth. Nun müsse jedoch eine inhaltliche Klärung folgen, die über Schlagworte hinausgehe. Er habe in den vergangenen Tagen oft gehört, dass die SP im Wahlkampf zu wenig spürbar gewesen sei. «Ob das besser würde mit Positionen, die sich von den anderen Parteien nicht mehr unterscheiden, bezweifle ich doch sehr.» Am meisten hätten in den Wahlen jene Parteien verloren, bei denen man nicht mehr wisse, wofür sie stehen. «Für die SP wäre es verheerend, wenn ein Rechtskurs mehrheitsfähig würde», sagt Wermuth.

Ohnehin sei es falsch, die eigenen Positionen kurzfristig an Wählerprozenten zu messen. «Wir machen Politik aus Überzeugung, wir verkaufen keine Schokoriegel. Da kann man nicht einfach das Design der Verpackung austauschen, wenn es mal nicht so gut läuft.» Auch Blochers SVP habe eine Generation gebraucht, bis sie ihre heutige Stärke erreichte.

Die Kritik Sommarugas

Flügelkämpfe haben in der SP Tradition. Mit dem «Gurten-Manifest» lancierte Sommaruga 2001 gemeinsam mit linksliberalen Mitstreitern eine Diskussion, die in der Partei zu heftigen Zerwürfnissen führte. Für den früheren Parteipräsidenten Peter Bodenmann ist das Papier noch heute ein Ärgernis – ein «gut verpacktes, fremdenfeindliches Gurken-Manifest», wie er einmal in der «Weltwoche» schrieb.

2005 legte Sommaruga nach. «Für eine moderne Schweiz - ein praktischer Reformplan» hiess das Buch, das sie gemeinsam mit dem früheren Preisüberwacher Rudolf Strahm verfasste. Darin verlangte das Duo eine Beschränkung für die Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten und sprach sich auch wirtschaftspolitisch für eine Kursänderung aus. Die Kritik an der eigenen Partei war dabei deutlich. «Einige Meinungsmacher der Linken», schrieben sie etwa, «verkennen die globalen Veränderungen, denen wir ausgesetzt sind, und sie ignorieren die Strapazierung des Sozialstaats.»

Der Einfluss des rechten Flügels blieb bescheiden. Dass die Schweizer Sozialdemokratie im europäischen Vergleich besonders weit links steht, haben Politologen bereits vor einigen Jahren nachgezeichnet. Unter Parteipräsident Christian Levrat hat die SP diesen Kurs bestätigt. Immer wieder blickten Sozialdemokraten in den vergangenen Jahren aber auch auf die Entwicklung ihrer Schwesterparteien im Ausland. «Konsequent linke Parteien sind nicht mehr nur in Krisenländern im Aufwind», sagt Wermuth – und nennt Dänemark, Grossbritannien und die Niederlande als Beispiel. Und doch: Eine der erfolgreichsten sozialdemokratischen Parteien ist derzeit der italienische Partito Democratico von Ministerpräsident Matteo Renzi. «Renzi ist kein Linker», sagt dagegen Wermuth. «Er setzt heute Arbeitsmarktreformen um, die Silvio Berlusconi nie durchgebracht hat.» (Tagesanzeiger.ch/Newsnet)

(Erstellt: 13.11.2015, 17:19 Uhr)

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