Das alltägliche Doping

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Das alltägliche Doping

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Mit den Optionen nehmen die Risiken für den Einzelnen zu. Was verlieren wir, wenn wir uns weiter steigern und entwickeln? Der Theologe und Psychotherapeut Roland Mahler skizziert im Livenet-Interview, was christliche Sozialpädagogen und Psychologen zur Zukunft der Gesellschaft beitragen. Sorgen bereitet ihm das «alltägliche Doping».Livenet: Roland Mahler, welche Bedeutung hat christliche Sozialpädagogik für unsere Gesellschaft?
Roland Mahler: Ich sehe sie als Vorreiter dort, wo der Staat ein Bedürfnis nicht wahrnimmt oder zögert. Denken Sie an die Diakonissen des 19. Jahrhunderts. Das Blaue Kreuz kümmerte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts um Alkoholiker. In den 1970er Jahren entstanden christliche Entzugs- und Therapiestationen für Fixer. Mehrfach besetzten Christen eine Vorreiterrolle; später übernahm der Staat Verantwortung und säkularisierte die christlichen Angebote. Christen wagten sich dorthin, wo die Not am grössten war. Das sollte überhaupt das Ziel christlicher sozialer Arbeit sein: den Draht zu den sozialen Brennpunkten zu haben.

Sie wollen Menschen zu einem «gelingenderem Leben» befähigen – so der Flyer Ihrer Höheren Fachschule für Sozialpädagogik icp. Wie geht das?
Die heutige Gesellschaft fordert Leistung und hat härtere Kriterien für ihre Erbringung. Trotz aller Liberalität der Gesellschaft empfinden sich mehr Menschen heute als randständig, weil sie es nicht schaffen oder meinen, es nicht zu schaffen, weil sie sich den Kriterien verweigern oder an ihnen scheitern. 

Die soziale Arbeit ist darauf aus, diese Menschen und randständige Gruppen in die Gesellschaft zurückzuholen und sie inklusiver zu machen, sie zu befähigen, diesen Menschen einen Platz zu geben. Christen tun dies auf dem Hintergrund des biblischen Menschenbildes, dass wir alle, im Bild Gottes geschaffen, gleiche Würde haben. Wir sind in unserer Geschöpflichkeit alle gleichwertig und zur Teilhabe am Ganzen berufen. Wer den Menschen auf seine Leistungsfähigkeit in irgendeinem Bereich reduziert, wird ihm als Geschöpf nicht gerecht. Es braucht in der Gesellschaft Verständnis und auch Räume, in denen Menschen mit anderer Geschwindigkeit unterwegs sein können.

Was bedeutet das christliche Menschenbild für die Suchttherapie?
In der Sucht steckt die Frage nach Sinn als zentrale philosophische und religiöse Frage. Die medizinalisierte Drogentherapie – charakteristisch für die materialistische Problemlösung in unserer Gesellschaft – antwortet nicht auf diese Frage. Die säkularen Träger der Therapie sollten anerkennen, dass es andere Aspekte gibt, die einbezogen werden müssten. Doch sie verschliessen die Augen vor ihnen. Dazu kommt die Ökonomisierung der Suchttherapie: Der Langzeittherapie wird die Frage entgegengehalten, wie viel der angestrebte Zustand (Suchtfreiheit) der Gesellschaft bringt. Die Frage wird unterschiedlich beantwortet. Der Staat ist je länger je weniger bereit, langfristige Therapien zu bezahlen.

Wofür soll christliche Psychologie in der Gesellschaft einstehen?
Für Geschöpflichkeit. Der Gedanke, dass wir Geschöpfe sind, erschliesst sich leichter als etwa Erlösung. Er ist allgemein zugänglich und daher gesellschaftlich relevant. Der Schöpfungsgedanke bietet sich auch der Wissenschaft zur Diskussion an: Wie kann das Personale, die Einzigartigkeit des Individuums, gewahrt und mit dem Sozialen, den Ansprüchen der Gemeinschaft, in Einklang gebracht werden? Individuelle Freiheit einerseits, Liebe und Dienen, Leben im Blick auf den Nächsten anderseits: Für diese Spannung gibt die christliche Psychologie mit dem biblischen Menschenbild Wegweisung, indem sie die Verantwortung für Mitmenschen und die gesamte Schöpfung festhält. Der Mensch ist nicht nur Benutzer dieser Welt, sondern hat ihre Gestaltung vor dem Schöpfer zu verantworten.

Und das bei immer mehr technischen, digitalen und virtuellen Optionen…
Wenn die Machbarkeit der Massstab der Entwicklung ist, wenn wir alles tun, wozu wir heute technisch imstande sind, haben wir die Katastrophe. Die christliche Ethik als Bezugsrahmen kann uns davor bewahren. Die christliche Psychologie sieht den Menschen mit seinen psychischen, emotionalen und kognitiven Fähigkeiten als Person, die Gott geschaffen und zum Leben, zur Entfaltung dieser Fähigkeiten berufen hat.

Wir wollen uns verbessern – und da scheinen wir immer mehr Mittel zu haben.
Heute fragen wir nach dem richtigen Bewusstsein. Das Bewusstsein kann stimuliert, medikamentös unterstützt und umgemodelt, designt werden. Der Massenkonsum von Psychopharmaka bedeutet, dass ein rechter Teil der Leute mit einem Bewusstsein lebt, das dem chemischen Tuning unterworfen ist – und das als normal empfindet. Dieses medikamentös getunte Bewusstsein ist Normalität. Es lässt sich beliebig weiter ausbauen – vor allem, wenn Leistung gefordert wird.

Heute nimmt man Antidepressiva, um weiter arbeiten zu können, und putscht sich auf, um mehr zu leisten. Schüler, die vor Prüfungen leistungs- und konzentrationssteigernde Mittel einnehmen, stehen in diesem Sog, an dem unsere Pharmaindustrie verdient. Auch Christen tun das – eine problematische Tendenz. Die Frage kommt auf: Was ist der Mensch bereit zu konsumieren, dass er den Anforderungen genügt?

Wohin führt das?
Man erforscht vermehrt, wie Drogen Menschen helfen könnten, fit zu werden für die Zukunft. Als könnte der Mensch mit getuntem Bewusstsein in einer schwierigeren Umwelt besser bestehen. Die Anforderungen könnten mit der Zeit so angehoben werden, dass die erwartete Leistung nur noch mit chemischer Unterstützung zu erbringen ist. Dann haben wir das getunte Bewusstsein als Standard! Kurz: Die christliche Psychologie leistet einen entscheidenden Beitrag, indem sie auf der Personalität des Menschen besteht.

Webseite zum Thema:
Website des Instituts für christliche Psychologie, Therapie und Pädagogik

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