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Hinweis auf den politischen Dokumentaristen Adam Curtis - Von Bert Rebhandl

In einem Winkel der Generali Foundation im Wiener 4. Bezirk kann man derzeit einen ziemlich langen Film des britischen Dokumentaristen Adam Curtis sehen. Er trägt den Titel The Century of the Self, und beschäftigt sich mit einem speziellen Kapitel der Psychologie, nämlich mit der Verwertung der analytischen Erkenntnisse von Freud für das moderne Wirtschaftsleben, vor allem für Werbung und Kundensteuerung.

Curtis bezieht sich dabei sehr stark auf die Figur von Edward Bernays, einen Neffen von Freud, der als "Vater der Public Relations" gilt. Insgesamt geht es in The Century of the Self aber um grundsätzlichere Fragen, nämlich um das Verhältnis zwischen den Subjekten der Demokratie zu ihrer zweiten (ersten?) Existenz als Konsumenten, die den beständig expandierenden Wirtschaftsbetrieb mit ihren vielfach ja erst erzeugten "Sehnsüchten" am Laufen halten.

Der Film hat eine gewisse Berühmtheit erlangt, und ist in voller Länge auch auf Youtube zu finden:

Dies gilt auch für eine ganze Reihe weiterer Arbeiten von Adam Curtis, den man auf diese Weise als einen der wichtigsten Intellektuellen des gegenwärtigen Dokumentarfilms entdecken kann. Zugleich steht er für Traditionen, die derzeit in vielen Ländern auf dem Spiel stehen. Er ist ein öffentlich-rechtlicher Filmemacher, der immer für die BBC gearbeitet hat, und nur auf diese Weise seine großen Rechercheprojekte in Angriff nehmen konnte.

Einer größeren Öffentlichkeit über England hinaus wurde er 2005 mit The Power of Nightmares bekannt (hier ein Link zum ganzen Film). Darin beschäftigt er sich mit der Instrumentalisierung der Angst in der Folge der Terroranschläge vom 11. September 2001. Der islamistische Terrorismus diente vielfach als Freibrief für eine Stärkung des exekutiven Staates, und auch hier schlägt Curtis einen großen Bogen, in dem es ihm um den Übergang von Politik in Management und um die Einschränkung demokratischer Öffentlichkeit geht. So gelingt es Curtis, die neokonservativen Bewegungen der letzten 50 Jahre mit dem Thema Nummer eins der frühen nuller Jahre zusammenzudenken. Zu diesem Film gibt es ein aufschlussreiches Interview von Errol Morris mit Adam Curtis - eine Begegnung zweier unterschiedlicher Positionen mit häufig gemeinsamem Interesse.

Um ein wenig zu verstehen, von wo Curtis her kommt, lohnt es einen Blick auf seinen ersten Film: The Great British Housing Disaster aus dem Jahr 1984. Auch hier kommt eine langfristige Geschichte in den Blick, die kritisch hinterfragt, was es mit dem Wohlstandsgewinn in den Nachkriegsgesellschaften seit den 1950er Jahren genauer auf sich hatte - die ungenügende Qualität der öffentlichen Wohnbauten aus diesen Jahren wird bei Curtis zu einem Exempel für die schon früh einsetzenden "Rationalisierungen", unter deren Druck Sozialleistungen von Beginn an stehen.

Der aktuellste Film von Curtis stammt aus diesem Jahr und trägt den Titel All Watched Over by Machines of Loving Grace. Man könnte von einer Untersuchung der modernen, technischen Kontrollgesellschaft sprechen, aus der es kaum noch einen Ausweg gibt. Hier ein ausführlicher Trailer dazu.

Und mit diesem Link ist man auch schon auf dem Blog, das Curtis auf der Website der BBC unterhält ("The Medium and the Message"), und das mit seinen Reflexionen und Filmfunden eine bedeutende Chronik der gegenwärtigen politischen Weltlage darstellt - von Griechenland bis in den Kongo finden wir hier eine vorbildliche Zeitgenossenschaft, die zudem durch die Archive der BBC immer wieder überraschende historische Bezüge herzustellen vermag.

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