Wien. Geschrei und Gebrüll in den Logen, Bänke und Sessel fliegen durch den Zuschauerraum: Zimperlich geht das Wiener Publikum nicht um mit dem Dramatiker Arthur Schnitzler. Sein „Reigen“ stößt bei der ersten Aufführungsserie in seiner Heimatstadt 1921 auf so wenig Gegenliebe, dass die Bühnenarbeiter zu Wasserschläuchen greifen, um den Tumult aufzulösen.
„Der Reigen“ war nicht das einzige Stück Schnitzlers, das einen Skandal und Prozesse auslöste. Immer noch ist das Werk des Wieners Dauerbrenner auf deutsch-
sprachigen Bühnen. Heute vor 150 Jahren wurde er geboren.
In seinen Dramen und Erzählungen hielt Schnitzler der Gesellschaft an der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert den Spiegel vor. Angeregt von neuen Erkenntnissen der Psychologie, die mit Sigmund Freud ebenfalls in Wien zu Hause war, nahm der Sohn aus großbürgerlichem jüdischen Haus die Motivationen menschlichen Tuns und die unterschwelligen Konflikte im Zusammenleben unter die Lupe.
Medizin studiert
Freuds Annahmen zur Traumdeutung interessierten ihn ebenso wie die Vorstellung des Unbewussten – wenn er auch stets in kritischer Distanz dazu blieb und vor Spekulation warnte. Schnitzler studierte Medizin und assistierte einem damals bekannten Psychiater. Gleichzeitig entwickelte er großes schriftstellerisches Interesse und fand schnell Aufnahme im richtungsweisenden Wiener Literatenzirkel um Hermann Bahr.
Schon bald verband Schnitzler beide Begabungen. Mit dem Schauspiel „Der einsame Weg“, das 1904 uraufgeführt wurde, oder der Tragikomödie „Das weite Land“ (1911) schuf er Gesellschaftsdramen, in denen er menschliche Motive analysierte. Er zeigte die Sexualität als primären Handlungsantrieb seiner Figuren, offenbarte Unterschwelliges und stieß damit die bürgerliche Welt vor den Kopf. Seine Novelle „Leutnant Gustl“ von 1900 wurde literarisch bahnbrechend und ist durchgehend als innerer Monolog der Hauptfigur konzipiert. Schnitzler griff darin den gültigen militärischen Ehrenkodex an und schuf sich so neue Feinde. Das Drama „Professor Bernhardi“ wiederum, das 1912 in Berlin uraufgeführt wurde, rückt den aufkeimenden Antisemitismus ins Zentrum und gestaltet aus dem moralischen Dilemma seiner Hauptfigur Schnitzlers politischstes Stück.
In seiner Heimat blieb das Stück bis zum Zerfall der Donaumonarchie 1918 verboten und wurde auch dann heftig kritisiert. Dabei offenbarte die Kritik der Zeitgenossen zunehmend antisemitische Züge, während sich Schnitzler selbst in einer Briefnotiz „keineswegs als einen jüdischen Dichter, sondern als einen deutschen Dichter“ definierte.
Scharfe Dialoge
Die fein gesponnenen psychologischen Analysen Schnitzlers sowie die nuancierten, scharfen Dialoge machen sein Werk nach wie vor attraktiv – für Regisseure wie für Schauspieler. Schnitzler-Dramen spornen Theatergrößen zu Höchstleistungen an.Und auch die Forschung bleibt ihm auf den Fersen.
Zum Schnitzler-Jahr gibt die österreichische Literaturwissenschaftlerin Konstanze Fliedl eine Kritische Werkausgabe heraus: „Es gibt dabei noch so viele neue Seiten dieses scheinbar so bekannten Autors zu entdecken.“
Irmgard Rieger
Autor: RIeger