Bindung für Anfänger

Filmemacher Wolfram Huke hatte noch nie eine Partnerschaft. Ein Jahr lang ging der 31-Jährige aktiv auf die Suche nach einer Beziehung, die Kamera immer mit dabei. Sein Dokumentarfilm Love Alien gibt einen persönlichen Einblick in das Leben von Menschen, die unfreiwillig allein sind – und beleuchtet relevante psychologische Mechanismen.

Wasser plätschert, das Licht ist hart, man sieht nackte Füße und behaarte Unterschenkel in der Badewanne. Dann schwenkt die Kamera zur Kopfseite, wo man das Gesicht eines Mannes sieht, der bis zum Hals im Badewasser liegt und vor sich hinstarrt. Dazu hört man seinen inneren Monolog: „Die Abende sind eigentlich das Problem. Man kommt nach Hause, es ist dunkel. Man macht das Licht an, und es ist Chaos. Und man hat eben noch einen ganzen, langen Abend vor sich.“ Der Mann, der da allein im Badewasser liegt, ist der Dokumentarfilmer Wolfram Huke, der mit sich selbst über seine Einsamkeit spricht. Denn Huke, zum Zeitpunkt der Aufnahmen 29 Jahre alt, hatte noch nie eine Beziehung oder eine sexuelle Begegnung mit einer Frau. Selbst Küsse kennt er nur aus Erzählungen. Dabei betont er in seinem Film mehrfach, wie sehr er sich eine Freundin wünscht und wie schwierig es für ihn ist, die ersten wichtigen Schritte zu unternehmen, um eine Frau kennenzulernen.

Das wird auch gleich in den ersten Szenen von Love Alien deutlich. Man sieht den Filmemacher mit Handkamera auf einer Party herumlaufen, Frauen und Männer tanzen ausgelassen, es wird geflirtet und gelacht, Huke bleibt auf Abstand, findet keinen Anschluss. Auf der anschließenden Heimfahrt mit dem Fahrrad, die er mit Kamera am Lenker filmt, analysiert er den Abend: „Es war mal wieder schwer, überhaupt reinzukommen. Die stehen immer in abgeschlossenen Grüppchen zusammen.“ Noch komplizierter wird es für Huke aber, wenn er wirklich mal eine Frau kennenlernt, die ihm gefällt. Dann sieht man ihn in einigen Szenen zwar durchaus in nahen Gesprächen mit Frauen. Doch es wird nie mehr daraus, der Kontakt bleibt rein freundschaftlich.

Dass der preisgekrönte Filmemacher für dieses zutiefst persönliche Thema die Form des subjektiven Dokumentarfilms gewählt hat, mit wackeligen Nahaufnahmen, Videotagebuchsequenzen und ohne Inszenierungen oder Beschönigung arbeitet, ist ein großes Wagnis. Und es ist ein großes Glück. Denn durch diese Form ist der Zuschauer gezwungen, sich vorurteilsfrei mit der Situation eines Menschen auseinanderzusetzen, der keine Beziehung findet: Man erlebt die Schüchternheit des Protagonisten hautnah mit, leidet, wenn Huke versucht, seine Zuneigung auszudrücken und es partout nicht wagt. Die Normalität und Intimität der Bilder tut dem Thema gut, zumal der Regisseur nicht nur mit viel Offenheit vorgeht, sondern auch über eine Portion Selbstironie verfügt.

Es war eine gute Entscheidung, dass Huke von seinen ursprünglichen Plänen abgerückt ist, einen objektiven Dokumentarfilm über Menschen zu drehen, die wie er im Erwachsenenalter keine Beziehung finden. Obwohl das Thema eine klassische Herangehensweise durchaus hergegeben hätte. Denn Huke ist kein Einzelfall. Etwa zwei bis vier Prozent der Deutschen gelten laut Schätzungen der deutschen Gesellschaft für Sexualmedizin als „absolute Beginner“, hatten trotz einer Sehnsucht danach noch nie eine Beziehung oder Sex. Es gibt mehrere Ratgeber und Internetforen für Betroffene. Huke hatte bereits mit der Recherche begonnen. Auch die Videotagebuchsequenzen, bei denen er filmt und dabei über seine Situation spricht, sollten zunächst nur Materialsammlung sein. Doch dann merkte er, dass gerade in diesen persönlichen Passagen eine große Kraft liegt – und beschloss, seine eigene Geschichte in den Mittelpunkt des Projekts zu stellen.

Als dramaturgische Klammer dient eine etwas künstliche Form. Ähnlich, wie man es manchmal in Doku-Soaps sieht, inszeniert er eine Art Selbstexperiment: Er begleitet sich ein Jahr mit der Kamera, auf der Suche nach einer Freundin, nimmt sich im Vorfeld vor: Ich will in dieser Zeit versuchen, alles Mögliche zu tun, um eine Beziehung zu finden. Natürlich wählt er diesen Vorsatz, um eine Rahmenhandlung zu schaffen. Dennoch: Der innere Vertrag, den er dabei mit sich selbst schließt, ist der eigentliche Coup des Films. Denn er zwingt Huke, aktiv zu werden, auf Frauen zuzugehen, öffentlich dafür einzustehen, dass er eine Beziehung will. Und das, so wird im Laufe des Films deutlich, hat er vorher noch nie getan.

Huke läuft also bei laufender Kamera Sturm gegen seine alten Muster. Statt betont gleichgültig zu tun, wenn es um Frauen geht, sagt er: Ja, ich will. Er meldet sich, ebenfalls das erste Mal in seinem Leben, bei einer Online-Dating-Agentur an, geht für einige Beratungsstunden zu einer Psychotherapeutin und versucht einer Frau, auf die er ein Auge geworfen hat, zu sagen, dass er sie attraktiv findet. Das ist mutig und unterhaltsam. Besonders eindrucksvoll zeigt der Film aber, auf welche inneren Blockaden Huke dabei stößt, welche psychologischen Mechanismen ihn leiten.

In einer erhellenden Szene erzählt Hukes Therapeutin, dass Menschen, die keine Beziehung finden, obwohl sie sich eine wünschen, meist ambivalent empfinden: Einerseits wollen sie sich verlieben und Nähe spüren. Andererseits haben sie Angst davor. In der Sitzung gewinnt Huke von sich selbst die Idee, dass er Angst hat, abgewiesen zu werden – und deshalb gar nicht erst versucht, eine Frau kennenzulernen. Nicht nur dem Protagonisten öffnet diese Erkenntnis die Augen. Auch der Zuschauer sieht von da an anders auf Hukes Interaktionen: Dass er trotz Humor und Charme häufig an einem bestimmten Punkt dicht macht, dass es ihm auch bei Freunden, Kommilitonen und der Familie schwerfällt, Gesten der Nähe zu zeigen. Er wartet lieber, was auf ihn zukommt. Umso mehr fiebert der Zuschauer mit, als er sich tatsächlich nach Kroatien aufmacht, um die Frau, die ihm gefällt, zu besuchen. Er bringt ihr Geschenke mit, er versucht zu flirten. Der erste Tag verläuft gut und dennoch geht Huke, wie so oft vorher, am Ende allein in sein Hotelzimmer. Als er der kroatischen Freundin am nächsten Tag von seinem Filmprojekt erzählt und erwähnt, dass er noch nie eine Beziehung oder Sex hatte, verändert sich die Stimmung. Obwohl es harmonisch bleibt, verschwindet der Flirt-Ton, am Schluss gibt die Angebetete ihm Tipps, wie er eine Beziehung finden könnte und fragt, ob er es schon mal mit einer Prostituierten versucht hat. Dass die SMS „Ich könnte mich in dich verlieben“, die Huke ihr auf dem Rückflug schreibt, irgendwie zu spät kommt, weiß er selbst. Als Zuschauer ist man ergriffen, betreten, wünscht dem Protagonisten, dass er beim nächsten Mal im entscheidenden Moment spontaner sein kann.

Nach dieser Niederlage sieht man verschiedenen Szenen, in denen Huke aufzugeben scheint. Er isst massenweise Chips und Süßigkeiten, hängt vorm Rechner, räumt nicht mehr auf. Auch die Beratungsgespräche verlaufen stockend. Irgendwann konfrontiert die Therapeutin ihn damit, dass er sich nicht eindeutig genug zur Beziehungssuche bekennt und stellt sogar in den Raum, dass er durch das Filmprojekt letztlich seine alte Ambivalenz inszeniert: Huke verstecke sich hinter der Kamera, traue sich nur deshalb überhaupt ans Thema. Es ist ein rührender Augenblick, in dem man deutlich spürt, wie hin- und hergerissen Huke ist.

Im letzten Drittel des Films ändert Huke dann tatsächlich seine Gewohnheiten. Er fängt an, laufen zu gehen, er nimmt ab, kleidet sich neu ein, geht mit einer christlichen Gruppe wandern, verbringt auf der Tour viel Zeit mit einer gleichaltrigen Frau. Eine Freundin hat Huke am Ende des Films nicht. Aber er ist offener geworden.

Eine Schlüsselszene am Ende des Films ist ein Gespräch, das Huke mit seiner Mutter führt. Als die reservierte Frau von seinem Filmprojekt erfährt, reagiert sie zunächst erstaunt – und dann ablehnend. Sie sagt ihm, dass er nur deshalb keine Freundin habe, weil er egoistisch sei. Man müsse sich eben arrangieren, wenn man eine Beziehung will, fügt sie hinzu. In dieser kurzen Interaktion spiegelt sich Hukes Lebensthema: Denn seine Mutter weist ihn tatsächlich harsch ab. Man bekommt eine Ahnung davon, dass jemand, der das häufiger erlebt, den Mut verliert, auf andere zuzugehen.

Alles in allem ist der kurze, nur etwa einstündige Film, ein dichtes Dokument zum Thema Bindungsangst geworden, das den Zuschauer auch mit eigenen Ängsten vor Nähe oder Zurückweisung konfrontiert. Huke hat also ein erfolgreiches Filmprojekt abgeschlossen. Für sein persönliches Projekt Bindung war es eher das erste Kapitel.

Anne Otto

 

Kinostart: 16. Mai 2013

Verleih: Film Kino Text

www.love-alien.de

 

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