Bin ich wirklich hässlich?

Der Blick in den Spiegel ist scheinbar schonungslos: Die Nase leicht krumm, Pickel sprießen, Leberflecken zeigen sich oder die Haarlocken streben widerspenstig in alle Richtungen. Für Menschen mit Körperdysmorpher Störung ist das eine Katastrophe. "Betroffene fühlen sich hässlich. Bei ihnen besteht eine verzerrte Wahrnehmung. Sie denken, sie sind entstellt, obwohl sie es gar nicht sind", sagt Diplompsychologe Stefan Brunhoeber. Der Spezialist widmet sich in seiner psychotherapeutischen Praxis in Bonn dem Schwerpunkt der Körperakzeptanzstörungen. Die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper sei ein Phänomen, das in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen habe – bei beiden Geschlechtern.

Die Sorge um körperliche Makel und die Vorstellung, hässlich zu sein, beginnt fast immer im Jugendalter. In der Pubertät vollziehen sich körperliche Veränderungen. Das Selbstbild steht auf dem Prüfstand. Fernsehsender und Hochglanzmagazine suggerieren Modelmaße als Schönheitsideal. "Eher unsichere Jugendliche lassen sich stark durch Medien beeinflussen. Sie bekommen vermittelt, dass es vorrangig darauf ankommt, möglichst gut auszusehen", sagt Stefan Brunhoeber.

Jeder fünfte Jugendliche findet sich hässlich

Laut einer Studie der Marktforschung GfK sehen sich junge Leute zwischen 15 und 19 Jahren am selbstkritischsten. 18 Prozent der Teenager sind mit ihrem Aussehen unzufrieden, finden ihr Aussehen mindestens teilweise hässlich. Daraus entwickelt sich mitunter eine Körperbildstörung. Wann spricht man davon und wie zeigt sie sich? Stefan Brunhoeber: "Betroffene beschäftigen sich viel mit ihrem Äußeren – oft mehrere Stunden am Tag. Schwere Fälle meiden ihr Antlitz. Das führt später zum Teil dazu, dass sie sich Jahre lang nicht mehr angesehen haben."

Auch ein ständiges Rückversichern über das eigene Aussehen bei anderen, übermäßiges Trainieren des Körpers, Diäten bis hin zu Essstörungen wie Magersucht sind typische Symptome von Körperakzeptanzproblemen. Wer zum Beispiel seine Haare hässlich findet, wäscht, kämmt und stylt sie stundenlang. Mancher schneidet immerzu daran herum, versteckt sie oft unter einer Mütze oder einer Perücke. "Im Bad stehen 100 Produkte herum", beschreibt der Psychologe das Störungsbild. Bis zu kleinen Selbstkorrekturen reiche die Verzweiflung. Zähne werden gebleicht, an der Haut herum gedrückt, Leberflecken weggeschmirgelt oder selbst heraus geschnitten. Der vermeintliche Makel und Scham sind dann häufig ein Grund für den Rückzug von Freunden, Problemen in der Schule und später im Beruf.

Wenn Kinder nicht lernen, mit Ängsten umzugehen

Laut einer Studie, die Stefan Brunhoeber vor sechs Jahren gemacht hat, sind Hänseleien und Mobbing oft Auslöser für die Störung: "Bei 62 Prozent der Betroffenen war das der Fall." Meist gebe es bereits vorher ein verringertes Selbstwertgefühl. Die Ursache sei nicht selten im Elternhaus zu suchen. Dort sieht er einen Nährboden für spätere Störungen, wenn Kinder überbehütet, in den Familien Konflikte vermieden, Gefühle nicht ernst genommen oder einfach abgetan werden. "Dann lernen Kinder nicht, mit Ängsten umzugehen und Emotionen zu regulieren", meint er und deutet an, wo Prävention ansetzen muss – am besten schon im Kindergarten- und Schulalter. Selbstständigkeit und Selbstbewusstsein müsse rechtzeitig entwickelt werden.

Psychologen versuchen, das Gefühl, hässlich zu sein, zu überwinden und an den verzerrten Wahrnehmungsbildern zu arbeiten. Ein neuer Therapieansatz wird derzeit an der Universität Frankfurt erforscht: "Wir versuchen mit einem Training, die detailorientierte Wahrnehmung der Patienten zu verändern, indem sie lernen, ihre Aufmerksamkeit bewusst vom Makel nach außen zu lenken und sich ganzheitlicher wahrzunehmen", so Dr. Viktoria Ritter vom Institut für Psychologie an der Goethe-Universität Frankfurt/Main. Im Zentrum der Therapie: ein Videofeedback. Ritter: "Beim Betrachten einzelner Videosequenzen lernen Patienten, den Blick wandern zu lassen, statt am Makel kleben zu bleiben. Sie entdecken andere Aspekte ihrer Wirkung wie Bewegungen, Stimme oder Körperausdruck." Parallel hilft eine Technik aus der Trauma-Therapie, negative autobiografische Erfahrungen wie Hänseleien nachträglich zu verarbeiten. Zusätzlich ermöglichen Verhaltensexperimente, Befürchtungen von Ablehnung im Alltag zu testen.

Stundenlanger Kampf gegen die eigene Hässlichkeit

"Betroffene müssen korrigierende Erfahrungen sammeln und merken, dass sie gemocht werden. So, wie sie sind. Wichtig ist ein Feedback, dass sie äußerlich nicht aus dem Raster fallen", meint Stefan Brunhoeber. Es funktioniere nicht, einfach den Schalter umzulegen. Es brauche Vorbereitung und Vertrauen. Dann könne eine gezielte Umfrage helfen. Dabei befragen Patienten Unbekannte zu ihrem Aussehen. Diese Konfrontationstherapie sei neben dem Lernen alternativer Beschäftigungen wichtiger Therapiebaustein, damit die Kontrolle des eigenen Äußeren und der Kampf gegen die vemeintliche Hässlichkeit nicht mehr mehrere Stunden täglich einnimmt.

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