"Beziehungsprobleme sind mir vertraut"

HA
07.11.12

Romanautor

Der britische Autor Tim Parks ("Stille"), der heute im Literaturhaus in Hamburg liest, gilt als "Meister der Paar-Psychologie".

Foto: pa/dpa Zentralbi/dpa ZB

Frankfurter Buchmesse 2012   Tim Parks
Der in Italien lebende britische Schriftsteller Tim Parks liest heute im Hamburger Literaturhaus aus seinem neuen Roman "Sex ist verboten"

Hamburg. Seine Romane sind manchmal garstig - aber fast immer höchst vergnüglich. Seine Helden sind selbstverliebt, sie reflektieren über Gott und die Ehe, sie gehen fremd, sie drehen durch oder meditieren, sie haben Schmerzen, und sie verstehen ihre Kinder nicht. Und immer, immer beschreibt der britische Autor Tim Parks, der seit Jahrzehnten mit seiner italienischen Frau in Italien lebt, die Lebens- und Beziehungskonflikte dieser Menschen sehr einfühlsam und mit einer gehörigen Dichte an Pointen. Als "Spezialist für verworrene Familienbeziehungen", als "Ironiker auf dem Großkampfplatz Ehe" ist Parks charakterisiert worden, als "Meister der Paar-Psychologie und des zur Komik neigenden männlichen Befreiungswahnsinns". Richtig dran ist, dass kaum ein zeitgenössischer Autor so unterhaltsam und tiefsinnig über die Leiden zwischen Mann und Frau, Eltern und Kindern schreiben kann wie Parks.

Doch Parks ist viel mehr als ein literarischer Experte für Mistkerle und das Straflager Familie. Der Engländer schreibt Essays und Sachbücher (über Italien oder den Fußballverein Hellas Verona), er erfindet kriminalistische Romane, übersetzt Italo Calvino oder Alberto Moravia ins Englische, und er schreibt regelmäßig Rezensionen für englische und US-Zeitschriften. Parks hat elf Romane auf Deutsch veröffentlicht, sein größter Erfolg war "Stille" (2006), über den alternden Starjournalisten Harold Cleaver, dessen Sohn eine schonungslose Abrechnung mit ihm als Buch herausbringt. Cleaver flieht in eine einsame Südtiroler Berghütte. In seinem vorletzten Buch, "Die Kunst, stillzusitzen", hat Parks die Meditation für sich entdeckt. Heute Abend liest er im Literaturhaus (19.30 Uhr) aus seinem jüngsten Roman: "Sex ist verboten" spielt in einem Buddhisten-Kloster, in dessen Gemeinschaft sich manch einer vergeblich um Askese bemüht.

Hamburger Abendblatt: Sie durchschauen die Scheinidylle von Beziehungen in Ihren Romanen, schreiben über Italien, Fußball, die Medici. Wie vielseitig sind Sie?

Tim Parks: Ich schreibe gerne unterschiedliche Bücher, weil es mir langweilig werden würde, immer über dasselbe Thema nachzudenken. Ich schreibe gerne über Italien, weil ich hier schon seit Jahrzehnten lebe und die Bücher mir helfen, das Land besser zu verstehen. Übersetzt habe ich anfangs nur, um überleben zu können. Dann unterrichte ich an der Uni. Ich wurde gebeten, Bücher zu rezensieren, Essays zu schreiben. Eins führte zum anderen. Vielleicht mache ich zu viel, aber ich mache alles gleich gerne.

Man hat den Eindruck, jedes Ihrer Bücher behandelt eine Phase Ihres Lebens. Es geht um eine Ehe mit einer italienischen Frau, Probleme mit Kindern, Sie haben Schmerzen im Unterleib und beschreiben einen Mann, der eine Schmerztherapie macht. Wie sieht's beim Thema Ehebruch aus?

Parks: Also das binde ich Ihnen jetzt nicht auf die Nase. Aber natürlich kann man nur Romane schreiben über Menschen, die man ergründen kann und kennt. Ganz offensichtlich sind mir Beziehungsprobleme vertraut, sonst würde ich nicht darüber schreiben. Meine Romane kommen meist paarweise, die frühen, in der Ich-Form, über sehr junge Männer, dann zwei sehr intensive Monologe oder die zwei letzten über Meditation. Wahrscheinlich mache ich so unterschiedliche Sachen, weil ich nie einen wirklich großen Erfolg hatte, der mich dann auf einen Stil festgelegt hätte. Natürlich träumen die meisten Autoren von einem Bestseller, aber heutzutage hat das mehr negative als positive Begleiterscheinungen. Zumindest für das eigene Leben. Je erfolgreicher man wird, desto mehr will die Öffentlichkeit teilhaben. Man steht unter ständiger Beobachtung. Man muss einen ähnlichen Erfolg nachlegen. Es entsteht sehr viel Druck.

Welche Romane sind Ihre liebsten?

Parks: Die frühen, "Flammenzungen" und "Alle lieben Roger", dann "Schicksal" und der neue, "Sex ist verboten". "Stille" wurde jetzt in Deutschland mit Jan Fedder verfilmt. Ich habe ihn mir angesehen, aber kein Wort verstanden, denn ich spreche kein Deutsch. Ich glaube trotzdem, er ist gut geworden.

Fühlen Sie sich britischen Erfolgsautoren wie Ian McEwan oder Martin Amis verbunden?

Parks: Überhaupt nicht. Die finden sich so clever, aber ich kann deren sogenannte magische Fiktion nicht leiden. Ich finde das unlesbar. Ich mag englische Autoren wie Elizabeth Bowen oder Henri Green. McEwan wäre wahrscheinlich ein besserer Autor geworden, wenn er weniger erfolgreich gewesen wäre.

Ihre Romane über Paarkonflikte sind sehr beliebt.

Parks: Die Deutschen lieben so etwas. Diese Bücher handeln davon, was im Kopf passiert, wenn eine Beziehung schwierig wird, eine Affäre oder eine Ehe. Ich schreibe darüber, was passiert, wenn man dort gelandet ist, wo es nicht mehr vor, aber auch nicht zurückgeht. Es geht um schicksalhafte Beziehungen. Jeder bedeutet dem anderen alles, aber sie passen nicht zueinander. Das Ehepaar in "Schicksal" beispielsweise liebt sich, aber sie tun einander nicht gut. Ein Buch ist eigentlich nur interessant, wenn die Charaktere viel investieren und viel zu verlieren haben.

Für gute Literatur muss auch der Autor viel einbringen und riskieren.

Parks: Anders geht es nicht. Andernfalls bleibt eine Geschichte nur an der Oberfläche. Wenn man eine Idee hat, um daraus einen Roman zu machen, ist das immer falsch. Man sollte die Idee gleich wieder vergessen. Schreiben ist Arbeit, viel Arbeit. Man muss emotional und seelisch engagiert sein, mit den Figuren mitleben und -leiden. Man muss die Geschichte mit dem eigenen Leben verbinden. Das ist auch bei den großen Klassikern so. Es geht nicht darum, inwieweit das Leben des Autors sich im Roman wiederfindet. Es geht um eine Dynamik, die sich zwischen Autor und Geschichte abspielt. Inwieweit ist das Buch Teil der Unterhaltung, die der Schriftsteller mit der Welt führt? Darum geht es.

Die Geschichte, die ein Roman erzählt, ist eine Botschaft, die der Autor vom Leben gelernt hat?

Parks: Ja. Nicht eins zu eins. Aber auf Umwegen schon.

Geht es in "Sex ist verboten" auch darum, dass das moderne Leben zu viele Anforderungen stellt?

Parks: Es war früher auch nicht einfach. Aber was für unsere Zeit neu ist, ist die Vielfalt der Möglichkeiten. Während wir uns unterhalten, bekomme ich eine SMS. Man ist ständig abgelenkt. Man kann darüber verrückt werden. Jeder ist so beschäftigt damit, die Geschichte seines Lebens pausenlos neu zu schreiben. Ich wollte mit dem Buch fragen, ob man der Selbstbespiegelung noch entkommen kann. Und zu welchem Preis.

"Sex ist verboten" von Tim Parks (übersetzt von Ulrike Becker), 320 S., 19,95 Euro

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