Betreuervergütung für eine Russisch-Lehrerin


Durch die im Rahmen eines erfolgreichen Hochschulstudiums in der ehemaligen DDR zur Diplomlehrerin für Russisch und Geschichte erfolgte Ausbildung in den Bereichen Pädagogik, Psychologie, Didaktik und Methodik wurden besondere, für die Führung der Betreuung nutzbare Kenntnisse im Sinn des § 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG vermittelt.

Die Frage, unter welchen Umständen ein Berufsbetreuer im Einzelfall die Voraussetzungen erfüllt, die gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VBVG die Bewilligung einer erhöhten Vergütung rechtfertigen, obliegt einer wertenden Betrachtung. Besondere und für die Betreuung nutzbare Kenntnisse im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG sind solche, die über das jedermann zu Gebote stehende Wissen hinausgehen und den Betreuer in die Lage versetzen, seine Aufgaben zum Wohl des Betreuten besser und effektiver zu erfüllen. Angesichts der Pflichten des Betreuers, auf den Willen des Betreuten einzugehen, um seine Wünsche zu erkennen und ihnen weitgehend zu entsprechen (§ 1901 Abs. 2, Abs. 3 BGB), sind unter anderem Fachkenntnisse, die den Umgang mit und das Verständnis für die besondere Situation von psychisch Kranken oder Behinderten fördern, als für die Betreuung nutzbar anzusehen.

Nach Sinn und Zweck des § 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG ist ein erhöhter Stundensatz jedoch nicht bereits gerechtfertigt, wenn die Ausbildung gleichsam am Rande auch die Vermittlung betreuungsrelevanter Kenntnisse zum Inhalt hat. Erforderlich ist vielmehr, dass sie in ihrem Kernbereich hierauf ausgerichtet ist. Davon ist auszugehen, wenn ein erheblicher Teil der Ausbildung auf die Vermittlung solchen Wissens gerichtet und dadurch das erworbene betreuungsrelevante Wissen über ein Grundwissen deutlich hinausgeht1.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe war hier nach Ansicht des Bundesgerichtshofs das Vorliegen besonderer und für die Betreuung nutzbarer Kenntnisse der Betreuerin zu bejahen:

Nach den Feststellungen absolvierte die Betreuerin im zweiten Studienjahr ein dreiwöchiges pädagogischpsychologisches Praktikum und im vierten Studienjahr ein 13wöchiges “Großes Schulpraktikum”. Ab dem fünften Semester belegte sie vertiefend das Fach Psychologie/Lehrgebiet Diagnostik der Schülerpersönlichkeit mit 188 Stunden. Weitere 116 der insgesamt 3.056 vorgesehenen Stunden entfielen auf Psychologie, 134 Stunden auf Pädagogik und 250 Stunden auf Methodik des Unterrichts. Gegenstand der von der Betreuerin absolvierten Abschlussprüfung waren unter anderem Pädagogik, Psychologie sowie Methodik des Haupt- und Nebenfachs. Im Abschlusszeugnis sind als “Abschlussprüfungen und Belege” unter anderem die Fächer “Diagnostik d. Schülerpersönlichkeit” und “Päd. psych. Praktikum” aufgeführt.


Die durch das Studium vermittelten pädagogischen und psychologischen Kenntnisse sind für die Führung der Betreuung nutzbar. Denn sie können für die Betreuerin die Grundlage darstellen, um aus der Erkrankung der Betroffenen resultierende Schwierigkeiten im persönlichen Kontakt zu überwinden, die Bedürfnisse der Betroffenen zu erkennen und auf sie in sinnvoller Weise einzuwirken2. Dies gilt auch für das Fach Diagnostik der Schülerpersönlichkeit.

Für den Bundesgerichtshof in rechtlicher Hinsicht ebenfalls nicht zu beanstanden ist die Einstufung der durch das Studium vermittelten Kenntnisse in den Bereichen Didaktik und Methodik als zumindest teilweise betreuungsrelevant. Denn sie können die Bewältigung der für die Kommunikation mit psychisch Kranken häufig besonders wichtigen, aber auch anspruchsvollen Aufgabe der situationsgerechten Aufbereitung und Weitergabe von Inhalten wesentlich befördern.

Schließlich sind die betreuungsrelevanten Fächer dem Kernbereich des von der Betreuerin absolvierten Hochschulstudiums zuzuordnen und damit als erheblichen Teil der Ausbildung anzusehen.

Dem steht nicht entgegen, dass die Ausbildung schwerpunktmäßig eine andere Zielrichtung hatte und im überwiegenden Teil der Gesamtstundenzahl auf die Wissenserlangung in den zu unterrichtenden Fächern Russisch und Geschichte ausgerichtet war. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, dass die im Rahmen des von der Betreuerin absolvierten Studiums erworbenen psychologischen und pädagogischen Kenntnisse auch in Anbetracht des prozentualen Anteils der entsprechenden Ausbildungsteile an der Gesamtstundenzahl als zentraler Teil des Lehrerstudiums anzusehen seien. Mit Blick auf den zeitlichen Umfang der insbesondere in den Bereichen Psychologie, Pädagogik und Diagnostik der Schülerpersönlichkeit absolvierten Ausbildung sowie darauf, dass das dabei vermittelte Wissen selbständiger und maßgeblicher Bestandteil der Abschlussprüfung war, ist das nicht zu beanstanden3.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23. Oktober 2013 – XII ZB 429/13

  1. BGH, Beschluss vom 22.08.2012 – XII ZB 319/11, NJW-RR 2012, 1475 Rn. 16 ff. mwN↩
  2. vgl. KG FGPrax 2008, 60, 62; OLG Hamm NJW-RR 2002, 654, 655; OLG Zweibrücken FGPrax 2002, 21, 22; BayObLG FamRZ 2001, 306, 307; OLG Dresden FamRZ 2000, 847, 848; vgl. auch OLG Frankfurt Beschluss vom 21.01.2008 – 20 W 378/05 – juris Rn. 5; MünchKomm-BGB/Fröschle 6. Aufl. § 4 VBVG Rn. 11; Knittel Betreuungsrecht [Stand: 1.09.2011] § 4 VBVG Rn. 26; BtKomm/Dodegge 3. Aufl. Teil F Rn. 118↩
  3. vgl. auch OLG Hamm Beschluss vom 15.08.2006 – 15 W 139/06; BayObLG FamRZ 2001, 187, 188; OLG Köln FamRZ 2000, 1303, 1304; OLG Schleswig FamRZ 2000, 846, 847↩


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