Je gemischter und ärmer der Kiez, umso kleiner ist die Solidarität unter den Bewohnern: Zu diesem Ergebnis kommt ein ungewöhnliches Briefexperiment, das Sozialforscher am Wissenschaftszentrum Berlin auf den Straßen der Hauptstadt durchführten.
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Junge Leute sitzen in einem Cafe im Bezirk Mitte - Berlins Stadtviertel sind bekannt für ihre große soziale Vielfalt
2000 frankierte und adressierte Briefe wurden dazu auf Gehwegen in diversen Berliner Kiezen verteilt, so als hätte sie jemand verloren. „Wie viele würden von Passanten in den Briefkasten gesteckt und so ihr Ziel erreichen?“, formulierte die Psychologin Susanne Veit die zentrale Frage.
Wie drängelt man sich vor, ohne Widerspruch zu ernten?
Wer sich in eine Menschenschlange einreiht und dabei vordrängelt, muss sich auch auf Protest der Leute vor sich gefasst machen. Das Experiment zeigte: Es geht dabei um mehr als das eigene Vorwärtskommen. Zurechtweisungen kommen zu 60 Prozent von der Person direkt hinter dem Eindringling, und manchmal sind die Meckerer einfach nur wütend, wenn der Hintermann nichts gesagt hat. Fazit: Suchen Sie die schüchternste Person in der Schlange und stellen Sie sich davor.
Haben Spermien ein Gedächtnis?
Ein Forscher aus Zürich hatte sich an ein Experiment erinnert, in dem Ratten durch ein Labyrinth geschickt wurden. Er wiederholte den Versuch mit Spermien, und siehe da: Wurden sie durch eine Rechtskurve geschickt, nahmen sie an der nächsten Abbiegung wieder die Rechtsabbiegung. Gar so überraschend ist das nicht: Auch Menschen, die man in ein Labyrinth steckte, zeigen dieses Verhalten.
Führen krumme Summen zu mehr Verkäufen?
Schon mehrfach testeten Forscher, ob eine Ware eher gekauft wird, wenn sie 8,99 kostet - oder ob die Verkaufszahlen bei 9,00 gleich sind. Die Resultate waren immer schon verwirrend: Einige Produkte wurden viel häufiger gekauft, andere viel weniger. Noch verwirrender: Eine 9 am Ende der Summe bedeutet offenbar immer "preiswert" - in einem Experiment wurde ein und dasselbe Kleid für 39 Euro öfter verkauft als für 34 Dollar.
Welche Eigenschaften hat dieser Wein?
In Bordeaux servierte ein Professor seinen Studenten einen Rotwein. Sie sollten seine Eigenschaften beschreiben. Stunden später kredenzte er Weißwein, den er mit Lebensmittelfarbstoff eingefärbt hatte. Die Studenten beschrieben den Wein mit den gleichen typischen Vokabeln wie den Rotwein. Merke: Schon die Erwartung dirigiert die Geschmacksnerven.
Was passiert bei einer Kreuzigung?
Ein Gerichtsmediziner in Rockland County nördlich von Manhattan ließ sich ein 2,30 Meter hohes Kreuz zimmern. Daran hängte er in seinem Wohnzimmer Hunderte von Versuchspersonen. Der Sinn dahinter: Er wollte die Todesursache von Jesus bestimmen. Das Ergebnis: Er starb an Herz- und Atemstillstand, verursacht durch hohen Blutverlust und traumatischen Schock. Probleme mit der Anwerbung von freiwilligen Testern hatte der Forscher übrigens nicht: Die Mitglieder einer nahe gelegenen Freikirche konnten es kaum erwarten, ans Kreuz gehängt zu werden.
Ist die Gesundheit eines Embryos durch einen Orgasmus der Mutter bedroht?
Im Selbstversuch ermittelte eine Ärztin, ob der Puls des Babys beim Höhepunkt der Mutter sinkt. Das hatte eine Fachzeitschrift nämlich behauptet. Also schloss sich die Ärztin an einen Pulsmonitor an. Danach brachte sie sich zum Orgasmus. Die Tochter kam zwei Wochen später gesund zur Welt.
Warum bekommen manche Frauen ihre Menstruation gleichzeitig?
Während des Studiums fielt einer Frau auf, dass alle Frauen in ihrer Wohngemeinschaft ihre Periode zum gleichen Zeitpunkt bekamen wie sie. Das brachte sie zur Erforschung dieses Themas. Flugs befragte sie 135 Kommilitoninnen. Erstaunlich: Waren enge Freundinnen nach den an unterschiedlichen Orten verbrachten Sommerferien zurück, lag die Periode sechseinhalb Tage auseinander. Nach einigen Monaten war der Abstand schon um zwei Tage kürzer. Allerdings sind auch die Ergebnisse der weiteren Versuche der einstigen Studentin bis heute umstritten.
Warum erschaudern manche Leute, wenn Kreide an einer Wandtafel kratzt?
Zunächst hatten die Probanden in diesem Test bestimmen müssen, welche Geräusche am unangenehmsten für sie sind. Eindeutiger Favorit war das "langsame Kratzen einer Gartenhacke mit drei Zinken über eine Schiefertafel". Die Forscher schlossen daraus, dass die hohen Frequenzen Schuld am Schaudern waren. Das ließ und lässt sich aber nicht belegen. Angenommen wird auch, dass es die unangenehme Vorstellung der Tastempfindung ist, die für das Zucken sorgt.
Denken Sie bloß nicht an einen weißen Bären!
Sagt man einer Person, sie solle jetzt auf keinen Fall beispielsweise an einen weißen Bären denken, tut sie genau das - und das 6,78-mal in fünf Minuten.
Warum werden schwarze Dinge anders wahrgenommen als weiße?
An der Cornell University in New York forschte man 1988 an der Wirkung von Farben. Einem Mitarbeiter war aufgefallen, dass bei Sportveranstaltungen die Mannschaften in schwarzen Trikots aggressiver spielten. Beim Spaziergang machten mehr Leute um seinen schwarzen Hund einen Bogen als um den weißen Hund eines Freundes. Nach längeren Umwegen kam es zum Experiment: Leute bekamen ein Trikot und sollten sich dann für ein Spiel entscheiden. Diejenigen, die ein schwarzes Trikot trugen, wählten ein aggressiveres Spiel. Auch Rot ist eine bestimmende Farbe: Bei der Fußball-WM 2004 waren mehr Mannschaften siegreich, die in roten Dress spielten. Eine Erklärung der Forscher: Bei vielen Tieren ist Rot das Zeichen von Dominanz.
Wie macht man Rasputin sympathisch?
Kurz: der Geburtstag macht's. Das Experiment ging so: Man drückte Studenten einen Lebenslauf von Grigorij Rasputin in die Hand. Sie sollten vier Charaktereigenschaften beurteilen. Das Urteil fiel besser aus, wenn der aufgedruckte Geburtstag von Rasputin mit dem des Studenten übereinstimmte. Was beweist uns das? Ähnlichkeit führt zu Sympathie.
Warum haben Jungs eine Vorliebe für Spielzeugautos?
Für dieses Experiment mussten Probanden gesucht werden, die immun gegen den Einfluss konservativer Eltern und knallige Werbung waren. Also: Affen. 88 Gelbgrüne Meerkatzen - 44 männliche und 44 weibliche - wurden beobachtet, mit welchem Spielzeug sie am längsten spielten. Zur Auswahl standen ein Ball, ein Polizeiauto, eine Puppe, ein Kochtopf, ein Bilderbuch und ein Plüschhund. Das Ergebnis fiel eindeutig aus. Nur: Ein rechtes Fazit mochten die Forscher nicht ziehen. Sicher sind sie sich, dass die Vorliebe der Geschlechter für unterschiedliches Spielzeug nicht nur von Eltern oder Fernsehen bestimmt wird, sondern auch einen biologischen Anteil hat.
Was passiert mit einem Wal-Kadaver auf dem Meeresgrund?
Ein erster Versuch zur Klärung diese total wichtigen Frage scheiterte: Der tote Wal wollte einfach nicht untergehen. Ein zweiter Versuch war auch nur mäßig erfolgreich: Dann sank zwar der Wal, doch es gab in der Gegend kein U-Boot, mit dem man dort hätte hintauchen können. Beim dritten Versuch wurde der Wal mit Eisenschrott beschwert. Nach einem halben Jahr war das erste Stadium vorüber: Große Aasfresser fressen dann bis zu 60 Kilogramm Walfleisch pro Tag weg. Im zweiten Stadium nehmen sich Muscheln, Würmer und Schnecken die Reste. Die Knochen eines großen Wals dienen 80 Jahre und länger als Futterquelle.
Welche Spuren hinterlässt eine Münze auf einer Leiche, wenn die tagelang in einem Keller liegt?
Auf einer Farm in Tennessee gibt es einen Komplex, in dem die Zersetzung von Leichen unter realistischen Bedingungen getestet wird. Da werden Fragen geklärt wie: Wann fällt ein Arm ab? Wann lösen sich Zähne? Die konkrete Frage eines Experimentes lautete: Welche Spuren hinterlässt eine Münze auf einer Leiche? Nun, das Porträt Abraham Lincolns war schwach zu erkennen.
Mein Computer und ich
Clifford Nass von der Stanford University fand heraus: Hat ein Computer einem Studenten bei seiner Arbeit geholfen, opfert der Student wiederum mehr Zeit, um dem Computer zu "helfen". Er hilft einem Computer auch, wenn der ihm nicht geholfen hat - vorausgesetzt, es ist ebenfalls ein Windows-Computer. Einem Mac wurde die generöse Hilfe nicht zuteil.
Spam, der ankommt
Wer sich als Namensvetter des Adressaten ausgibt, hat gute Chancen, eine Antwort zu erhalten - selbst, wenn der Inhalt der Mail für den Empfänger ziemlich uninteressant ist. Das funktioniert sowohl mit Vor- als auch mit dem Nachnamen. Fazit: Ähnlichkeit macht Leute einander sympathischer.
Wann geben Gäste mehr Trinkgeld?
Ein Psychologe der Uni Nijmegen in Holland hat herausgefunden, dass ein Gast spendierfreudiger ist, wenn die Kellnerin ihn nachäfft. Oder: wenn die Kellnerin jede Bestellung Wort für Wort wiederholt. Tut sie das nicht, streicht sie 68 Prozent weniger Trinkgeld ein.
Welche Musik mögen Affen?
Für dieses Experiment mussten sechs Tamarine - kleine Krallenaffen - in einen V-förmigen Käfig. Befand sich das Tier in einem Arm des Käfigs, erklangen wohlklingende Akkorde. Im anderen Teil gab's Dissonanzen. Der Affe konnte bestimmen, wo er lieber war. Blöd nur: Den Affen war's schlicht egal.
Schwimmt man in Sirup langsamer?
Eigentlich ist man verführt, sofort "Ja" zu sagen - Sirup ist schließlich dickflüssiger. Der Schwimmer Brian Gettelfinger (USA) ließ sich zu einem Experiment überreden und sprang im August 2003 tapfer ins Becken, das mit Sirup gefüllt war. Als er rausstieg, war klar: Die Geschwindigkeit beim Schwimmen bleibt die gleiche.
Wie funktioniert das jetzt mit dem Übers-Wasser-Laufen?
Um es kurz zu machen: beim Menschen gar nicht. Die Jesusechse in den Tiefen Costa Ricas kann das zwar, aber sie ist um einiges leichter und schneller. Forscher haben Filmaufnahmen mit diesem kleinen Tierchen in Zeitlupe ausgewertet. Es kommt dann auf Widerstand durch Oberflächenspannung, eine Luftblase und das Tempo an. Wollte ein 80 Kilogramm schwerer Mensch über Wasser laufen, müsste er mit einer Geschwindigkeit von 110 km/h nach unten treten, um ein Einsinken zu verhindern.
Ein Teil der Briefe war mit fiktiven Absendern eines islamischen oder eines türkischen Kulturvereins an einen Empfänger mit türkischem Namen adressiert. Ein anderer Teil war mit einer christlichen oder neutralen Stiftung als Absender versehen und an einen fiktiven Empfänger mit deutschem Namen gerichtet.
Das Ergebnis: Insgesamt wurden fast zwei Drittel der Umschläge (63 Prozent) weitergeleitet. Briefe aus Multi-Kulti-Stadtvierteln wie Tiergarten oder Wedding erreichten jedoch seltener ihre Empfänger. In ärmeren Gegenden der Stadt wie Kreuzberg oder dem Märkischen Viertel wurden weniger Briefe aufgehoben als in bessergestellten, im Ostteil der Stadt weniger als im Westen.
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Keine Unterschiede zeigten sich bei der religiösen oder ethnischen Zuordnung der Briefe: Unabhängig davon, von wem sie stammten oder an wen sie gerichtet waren, wurden alle Schreiben gleichmäßig weitergeleitet. Einzige Ausnahme: Im Osten Berlins landeten weniger Briefe mit dem Absender des islamischen Kulturvereins im Kasten.
Fazit der Forscher: Ethnische Vielfalt und schlechtere soziale Lage schränkten solidarisches Verhalten zwar ein. Insgesamt gebe die Studie jedoch auch Anlass zu Optimismus: Ohne jeden privaten Eigennutz seien fast zwei Drittel der Briefe eingeworfen worden. „Auf die lose Gemeinschaft in Nachbarschaften ist insofern Verlass.“
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