"Begegnung hilft, Vorurteile abzubauen"

Marburg. Unsicherheit kann zur Ablehnung von Flüchtlingen führen, weiß die Psychologie. Wie Konflikte entstehen und wie ihnen begegnet werden kann, erklärt der Marburger Sozialpsychologe Professor Ulrich Wagner im Interview.

OP: Die Flüchtlingskrise führt derzeit im Land zu Konflikten am laufenden Band und auf vielen Ebenen. Was hilft?

Professor Ulrich Wagner: Die Konflikte sind nicht das Problem, sondern wie diese ausgetragen werden. Konflikt ist sogar innovativ.

OP: Wie sollte man die Konflikte austragen?

Wagner: Es geht zum Beispiel um ehrliche und umfassende Information. Als hier in Marburg eine Notunterkunft für Flüchtlinge eingerichtet wurde, haben Politik und Behörden unter anderem mit Info-Abenden, klaren Worten und einer Hot-line für Bürger deutlich signalisiert, dass sie alles tun, um größere Probleme nicht entstehen zu lassen. So ist es dann auch gekommen.

OP: Viele Bürger machen sich derzeit Sorgen. Reagieren mit Ablehnung und sogar Hass auf Flüchtlinge. Was tun?

Wagner: Wir wissen, dass Begegnung hilft, Vorurteile abzubauen. Kontakt trägt dazu bei, dass man nicht nur „die anderen“ sieht, eine anonyme Masse. Deswegen sind diese großen Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge so schwierig. Ich verstehe, dass es sie geben muss, aber die Menschen müssen rasch in kleine Einheiten in die Gemeinden kommen. Dort gibt es mehr Möglichkeiten, aufeinander zuzugehen.

OP: Also würde es helfen, wenn Flüchtlinge präsenter wären? Wir beim Syrer um die Ecke essen könnten?

Wagner: Wir haben in einer Studie festgestellt, dass in Regionen, wo der Anteil von Migranten höher ist, die Einstellung des Einzelnen positiver ist - sogar unabhängig von persönlichen Kontakten. Wenn ich im Ruhrgebiet lebe, in Dortmund-Nord, wo es viel Trouble gibt, ist meine pauschale Ablehnung trotzdem geringer, als wenn ich im Hinterland lebe, wo es wenig Migration gibt.

OP: Was genau führt zur Ablehnung von Flüchtlingen?

Wagner: Das hat viel mit Unsicherheit zu tun. Die Psychologie weiß, dass wir mit Unsicherheitsgefühlen nicht gut umgehen können. Wir suchen dann nach Informationen, um diese erklären und beherrschen zu können. Wir sind dabei offen für alle möglichen Erklärungen - manchmal auch für die einfachen. Angst lässt sich effektiver mit einfachen als komplexen Erklärungen beseitigen. Deswegen sitzen die Menschen dann auch leichter Lügen auf - das ist der Prozess, der die Leute zu Pegida treibt. Hinzu kommt, dass Teile der Bevölkerung offensichtlich das Gefühl haben, ausgegrenzt zu sein. Das kommt bei Pegida deutlich zum Ausdruck.

OP: Im Sommer wurden Flüchtlinge jubelnd begrüßt. Nun scheint die Stimmung frostiger zu werden. Oder werden nur die Gegner lauter?

Wagner: Die Stimmungslage kann sich schon sehr schnell verändern. Was wir aber nicht wissen, ist, ob sich tatsächlich die durchschnittliche Stimmungslage verändert hat oder ob es nur um einige Teile der Bevölkerung geht. Die Befürchtungen der Menschen, das zeigen Umfragen, nehmen aber tatsächlich zu. Ich sehe schon die Gefahr, dass die Stimmung auch insgesamt umschlagen kann.

OP: Wie kann das sein?

Wagner: Das hat einerseits etwas mit der großen Zahl der Flüchtlinge zu tun, aber auch mit ihrer scheinbar großen Zahl. Die Fernsehbilder suggerieren einen unendlichen Strom - schon dieses Wort! - von Flüchtlingen. Das fördert Befürchtungen.

OP: „Wir schaffen das“ ist das Credo von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Was ist dafür aus Ihrer Sicht als Konflikt-Experte nötig?

Wagner: Es gibt keine einfache Lösung. Und Lösungen müssen auf vielen Ebenen ansetzen, gerade auf politischer und europapolitischer Ebene. In Deutschland müssen wir uns der Diskussion stellen, wie wir mit Flüchtlingen umgehen wollen, denn sie werden weiterhin kommen. Ich finde, die Debatte wird in vielen Teilen viel zu negativ geführt. Das sind Chancen - es gibt dadurch Bewerber für Mangelberufe, der Tante-Emma-Laden kann vielleicht erhalten bleiben oder eine Grundschule. Und vielleicht haben wir einmal tolle syrische Speisen, so dass wir uns nicht immer auf den Döner konzentrieren müssen.(dpa)

von Carolin Eckenfels

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