Autosuggestion: Medizin oder Esoterik? : Die Kraft durch die Hintertür – n


Ich schaffe es, ich schaffe es, ich schaffe es ... Die Ziele müssen realistisch sein.

"Ich schaffe es, ich schaffe es, ich schaffe es ..." Die Ziele müssen realistisch sein.(Foto: picture alliance / dpa)

Samstag, 28. Januar 2012

von Andrea Schorsch


Verschränken Sie Ihre Hände, drücken Sie die Finger fest zusammen und sagen Sie schnell und stetig "Ich kann meine Hände nicht öffnen, ich kann nicht, ich kann nicht …". Was geschieht, wenn Sie die Hände plötzlich voneinander lösen sollen? Autosuggestion wirkt. Medizin und Psychologie stehen ihr oft skeptisch gegenüber. Und nutzen sie dennoch selbst.

Mit dem "Positiven Denken" kam die Autosuggestion so richtig in Mode: Wer nur oft genug das Sprüchlein "Ich bin kreativ und produktiv. Alles, was ich tue, erledige ich gut und mühelos" vor sich her sagt, der glaubt am Ende selbst daran. Erstens. Zweitens programmiert er sich und sein Unterbewusstes durch die andauernde Wiederholung der Formel so, dass sie irgendwann spürbar zutrifft. Dann sind die Sätze nicht mehr bloße Worthülsen, sondern gefüllt mit Wahrheit, Leben und einer erstarkten Persönlichkeit – so die Theorie des "Positiven Denkens". Und ihre Verfechter schwören drauf.


Émile Coué (1857-1926) galt vielen als Wunderheiler. Doch er betonte immer wieder: Ich habe nie jemanden geheilt. Die Kraft, die Sie mir zuschreiben, müssen Sie bei sich selbst suchen!

Émile Coué (1857-1926) galt vielen als Wunderheiler. Doch er betonte immer wieder: "Ich habe nie jemanden geheilt. Die Kraft, die Sie mir zuschreiben, müssen Sie bei sich selbst suchen!"

Das Werkzeug des "Positiven Denkens", die Autosuggestion, fand schon zu Zeiten des Ersten Weltkriegs zahlreiche Anhänger. Émile Coué, ein Apotheker aus dem französischen Nancy, hatte damals regen Zulauf. Denn ihm war es gelungen, die Autosuggestion zu einer wirkungsvollen Selbsthilfe-Methode zu entwickeln. An sechs Tagen in der Woche hielt er in seinem Haus unentgeltliche und öffentliche Sitzungen ab, in denen er seine Erkenntnisse weitergab. Coué wusste um die Macht der Gedanken. Um seinen Besuchern zu zeigen, wozu sie kraft ihres Geistes in der Lage waren - oder eben auch nicht -, ließ er sie zum Beispiel ihre Hände verschränken und die Finger fest zusammendrücken. Dabei sollten sie schnell und stetig folgende Formel wiederholen: "Ich kann meine Hände nicht öffnen, ich kann nicht, ich kann nicht, ich kann nicht, ich kann nicht …" Wenn Coué dann die Menschen nach einer Minute dazu aufforderte, die Hände wieder auseinanderzuziehen, gelang das den wenigsten. Coués Resümee: "Wer so gut denken kann wie Sie, der sollte nie denken: Ich kann nicht!"

Vorstellung siegt über Willen

Coué richtete sich mit seiner Methode an das Unbewusste seiner Besucher. Die Grundsätze der Autosuggestion stellte er in einem kleinen Buch zusammen. "Nicht der Wille ist der Antrieb unseres Handelns, sondern die Vorstellungskraft", heißt es dort gleich zu Beginn. Oder anders ausgedrückt: Entspricht das, was wir wollen, nicht dem, was wir uns vorstellen, dann erreichen wir nicht, was wir wollen. Vielmehr bekommen wir das, was wir uns vorstellen. Denn im Widerstreit zwischen Wille und Vorstellungskraft siegt letztere ausnahmslos – sagt Coué. Das Dilemma lässt sich jedoch lösen: Die Vorstellungskraft ist lenkbar. Und da setzt die Autosuggestion an.

Asthmakranke, die Coué besuchten und seine Methode zur Selbsthilfe längere Zeit anwendeten, berichteten später von ihrer Genesung. Ebenso Gehbehinderte und Menschen mit chronischen Leiden. Von Misserfolgen wurde, folgen wir dem Coué-Experten Franz Josef Neffe, nichts bekannt. Es schien kein Problem zu geben, das sich auf dem Weg der Autosuggestion nicht wenigstens besserte.

Einfach nicht positiv genug gedacht?

Heutzutage wissen insbesondere Positivdenker, Motivationstrainer und Lebensberater die Autosuggestion für sich und ihre Klientel zu nutzen. Nicht immer sind die Ergebnisse so zufriedenstellend, wie sie es offenbar vor 90 Jahren bei den Besuchern Coués waren. Euphorisch und erfolgsfixiert verlassen die Menschen mitunter Veranstaltungen und Seminare, überzeugt davon, nie mehr Wut, Verzweiflung oder auch nur Ärger spüren zu müssen. Und womöglich auch nicht zu dürfen. Denn wenn gute Gedanken reichen, um das eigene Glück endlich herbeizuführen, haben schlechte Gefühle keine Daseinsberechtigung mehr. Fehlschläge und Sackgassen – so die Botschaft, die manch einer aus einem Erfolgscoaching mitnimmt – gehören dank autosuggestiver Formeln und Fantasien der Vergangenheit an. Alles scheint erreichbar, und wer nicht dort ankommt, wo er hin will, hat wohl einfach nicht positiv genug gedacht.


Gut so, finden Kritiker. Denn Zwangslächeln macht krank.

Gut so, finden Kritiker. Denn Zwangslächeln macht krank. (Foto: picture alliance / dpa)

Diese Einstellung kann desaströse Folgen haben. Denn natürlich endet der eine oder andere Höhenflug auch mal mit einer Bruchlandung. Die aber richtet dann besonders großen Schaden an. "Positives Denken macht krank", lautet daher das Fazit, das der Psychotherapeut Günter Scheich zieht und das er 1997 in einem Buch ausführlich erörtert. Schlechte Laune und vermeintlich negative Gedanken müssen ihren Platz im Leben haben. Denn Zwangsoptimismus und Dauerlächeln haben, so die Erfahrung Scheichs, verheerende Auswirkungen auf die Psychohygiene. "Wut, Ärger, Aggression, Zweifel sind sehr wichtig für die Lebensorientierung einerseits und die psychische Gesundheit andererseits", so der Psychologe. Werden die Regungen ausgeblendet und falsche Fröhlichkeit hochgehalten, können Fehlwahrnehmungen der Realität und undifferenzierte, vermessene Ansprüche an sich selbst und an die Umwelt die Folge sein.

Auch US-Psychologen wiesen 2009 nach, dass autosuggestive Aussagen, die Ratgebern zufolge eine positive Einstellung zum Leben fördern sollten, gerade das Gegenteil bewirken können. "Ich bin eine liebenswerte Person" ist – so das Ergebnis der Forscher – ein Credo, das nur bei selbstbewussten Personen gut ankommt. Bei Menschen mit angeknackstem Selbstwertgefühl, bei denen also, die am meisten von dem Satz profitieren sollten, verschlimmert sich der seelische Zustand eher. Wissenschaftler erklären das mit der Diskrepanz, die zwischen dem Satz und tatsächlichen, ihm widersprechenden Erfahrungen besteht.

Hier verpönt, da anerkannt

Unter seriösen Psychologen und Medizinern ist das "Positive Denken" folglich umstritten, wenn nicht gar verpönt. Aber bedeutet das, dass sie in ihrer Arbeit mit Klienten und Patienten auf die Vermittlung autosuggestiver Methoden verzichten? Mitnichten. Seit Jahrzehnten ist das Autogene Training in den Praxen etabliert. 1926 stellte der Berliner Psychiater J. H. Schultz zum ersten Mal das auf autosuggestiven Formeln basierende Programm vor. "Rechter Arm schwer und warm", wies Schultz seine gleichsam in Trance versetzten Patienten an. Für fortgeschrittene Trainingsteilnehmer hieß es später unter anderem "Ich bleibe ruhig und gelassen".

Das Autogene Training ist heute eine anerkannte Entspannungsmethode. Studenten wählen es zur Stressreduzierung aus den Angeboten des Hochschulsports, Krankenkassen übernehmen die Kursgebühren für burnoutgefährdete Arbeitnehmer. Darüber hinaus gilt es als probates Mittel zur Stärkung der Selbstheilungskräfte. Unterstützend wird es gegen Herzkrankheiten, Rheuma, Schmerzen und seelische Störungen eingesetzt.

Unvermeidbar, immer da


Stress: Hier ist Autogenes Training ein probates Gegenmittel.

Stress: Hier ist Autogenes Training ein probates Gegenmittel. (Foto: picture alliance / dpa)

Als Schultz sein Programm erstmals präsentierte, hieß es noch Autosuggestives Training. Kein Wunder, stützte es sich doch auf Coués Errungenschaften. Aber der vielbesuchte Apotheker war unter Ärzten seinerzeit nicht sonderlich beliebt. Sie bangten bisweilen um ihr Ansehen und ihre Autorität, denn plötzlich schienen die Menschen in der Lage zu sein, sich auf einfache und wirkungsvolle Weise selbst zu helfen. Umso erstrebenswerter war es, die Lehre der Autosuggestion medizinisch zu trimmen. Für das Autogene Training forderte Schultz eine ärztliche Anleitung und Überwachung. Tatsächlich ist das Programm in seinem ganzen Umfang so schwierig zu erlernen, dass man es medizinischen Laien nicht allein überlassen kann. Auch stellt sich bei manch einem Übenden gerade das Gegenteil von Entspannung ein. Es kann zu Herzklopfen, Nervosität und Kopfschmerzen kommen.

Das impliziert, dass Autosuggestion nur dann ungefährlich ist, wenn sie ärztlicherseits überwacht wird. Aber machen wir uns nichts vor: Autosuggestion ist immer am Werk – wenn nicht bewusst, dann unbewusst. Sie ist, wie Coué sagt, "ein Werkzeug, das wir schon bei der Geburt besitzen". Und diesem Werkzeug, so fährt er fort, "wohnt eine unerhörte und unberechenbare Macht inne, die – je nach ihrer Anwendung – sehr gute oder sehr schlechte Wirkungen hervorbringt." Coué-Experte Neffe bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: "Wir sind also alle unablässig von ihr betroffen. Es geht gar nicht darum, OB wir uns mit Autosuggestion beschäftigen wollen, sondern lediglich um die Frage, WIE."

Glaube versetzt Berge

Über die Macht schlechter Gedanken jedenfalls sind sich Mediziner und esoterisch anmutende Positivdenker einig. US-Forscher zeigten, dass die Wahrscheinlichkeit, an Herzschlag zu sterben, für Frauen dreimal so hoch ist, wenn sie davon ausgehen, besonders anfällig für einen Infarkt zu sein. Und viele Patienten kennen das Phänomen, dass sie Nebenwirkungen eines Medikaments wahrnehmen, sobald sie von diesen erfahren haben.

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Den umgekehrten Fall macht sich die Schulmedizin gern zunutze. Die Placebo-Forschung ist gerade in den letzten Jahren verstärkt ins Rollen gekommen. Erwiesenermaßen tragen die wirkstofffreien Zuckerpillen oft auch dann zur Genesung bei, wenn der Patient von der Täuschung weiß. Warum das so ist, konnte noch nicht geklärt werden. Wissenschaftler gehen aber davon aus, dass Erwartungen, Hoffnung und insbesondere die Wahrnehmung der Krankheitssituation den Placebo-Effekt hervorrufen.

Übrigens besinnt man sich mit dem Griff zum Placebo letztlich auf niemand anderen als auf Coué. Er hatte in seiner Apotheke festgestellt, wie wichtig es war, die Medizinabgabe mit einer Aufmunterung zu begleiten. Sagte er "Mit diesem Medikament werden Sie sicher ganz schnell wieder gesund", wirkte das Mittel sehr viel besser. Damit war das Prinzip der Suggestion und mit ihm auch die Autosuggestion erkannt.

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