Aufmerksamkeit statt Angst – Echo

Von Hans Dieter Erlenbach

DARMSTADT - Nach den Anschlägen in Paris und der Absage des Fußballspiels in Hannover haben viele Menschen Angst. Sie meiden Großveranstaltungen und sind unsicher, wenn sie sich in der Öffentlichkeit bewegen. Wie geht man mit solchen Ängsten um? Katrin Streich vom Institut für Psychologie und Bedrohungsmanagement in Darmstadt gibt einige Tipps.

ECHO: Nach den Terroranschlägen in Paris haben viele Menschen Angst, Großveranstaltungen zu besuchen oder überhaupt noch vor die Tür zu gehen. Was raten Sie diesen Menschen?

Katrin Streich: Erst einmal auf das eigene Gefühl hören. Wenn jemand Angst hatte, sollte er sich nicht zwingen, trotzdem irgendwohin zu gehen. Angstgefühle sind eine normale Reaktion auf eine unnormale Situation. Sie einfach wegzuschieben bringt nichts. Denn dann kommt die Angst ungewollt hoch, wird möglicherweise zur Panik oder äußert sich auf andere Art. Es ist wichtig, sich selbst Zeit zu geben, diese Ereignisse zu verarbeiten. Angst sollte sich nicht verfestigen und irgendwann sollte jeder Mensch ieder zu seinem normalen, gewohnten Rhythmus zurückfinden.

ECHO: Wo ist die Grenze zwischen grundloser Angst und berechtigter Vorsicht?

Streich: In der heutigen Zeit ist es sicher sinnvoll, aufmerksam und achtsam zu sein, seine Mitmenschen wahrzunehmen und auf Veränderungen zu achten. Es sollte allerdings nicht in Paranoia umschlagen. Angst ist eine Emotion, die unkontrolliert in uns hochkommt. Berechtigte Vorsicht ist ein gewollter, rationaler Prozess, den man selbst steuern kann.

ECHO: Macht es Sinn, bei Nachrichten über Anschläge oder Katastrophen einfach auf einen anderen Sender umzuschalten, um solche Eindrücke gar nicht erst auf sich wirken zu lassen?

Streich: Nein, das ist keine langfristig gut wirkende Strategie. Wenn sich ein Mensch in einer ganz bestimmten Situation überfrachtet fühlt, ist es sinnvoll, um-, oder noch besser auszuschalten. Langfristig können wir der Realität allerdings nicht entfliehen, indem wir die Augen verschließen. Es ist besser, sich aktiv mit negativen Informationen auseinanderzusetzen und darüber zu reden, wie sie damit umgehen.

ECHO: Sollte nicht jeder Mensch eine gewisses normales Maß an Angst als Selbstschutz haben?

Streich: Angst ist in einer spezifischen Situation sicherlich ein guter Regulator und führt zu erhöhter Aufmerksamkeit. Angst als ständiges Lebensgefühl macht allerdings krank. Besser wäre eine gesunde Aufmerksamkeit.

ECHO: Es gibt viele Ängste wie Flugangst, Prüfungsangst oder Angst vor bestimmten Tieren. Mit welcher Art von Angst kann der Mensch am ehesten umgehen?

Streich: Mit einer spezifischen Angst, mit einer Angst, die fassbar ist und die sich auf ein bestimmtes Ereignis bezieht. Dieser Angst kann man sich stellen und versuchen, konkret etwas dagegen zu tun.

ECHO: Ist der Umgang mit Angst sehr individuell oder gibt es Standardrezepte, wie Ängste bewältigt werden können?

Streich: Die Angst selbst ist sehr individuell. Deswegen sollte ihr auch individuell begegnet werden. Standardrezepte gibt es nicht. Das Beste ist, sich seinen Ängsten zu stellen und in kein dauerhaftes Vermeidungsverhalten zu verfallen. Damit beugt man einer Verfestigung der Angst vor.

ECHO: Welche Folgen hat Angst auf den Alltag?

Streich: Wenn sich Angst in einem Menschen verfestigt und sein Handeln davon geleitet wird, hat das natürlich Auswirkungen auf den Alltag. Zum Beispiel somatische Beschwerden wie Kopf- oder Magenschmerzen und Schlaflosigkeit.

ECHO: Gehen Kinder mit Angst anders um?

Streich: Ja, aber es kommt auf das Alter des Kindes an. Kinder denken oft konkreter und nicht in so großen Zusammenhängen. Sie bauen oft reale Personen oder Ereignisse in ihr Angsterleben ein. Oftmals spiegeln sie auch die Ängste ihrer Eltern wieder.

ECHO: Wie soll man Kindern die aktuellen Terrorereignisse vermitteln?

Streich: Wichtig ist, die Informationen zu dosieren und sie so zu erklären, dass das Kind sie versteht. Die Familie sollte ihm Halt geben, wenn es Ängste hat. Wenn Kinder nach solchen Ereignissen fragen, sollte man ihnen kindgerechte Antworten geben und nicht sagen, dafür sei es noch zu klein.

ECHO: Wann sollte man zur Angstbewältigung professionelle Hilfe in Anspruch nehmen?

Streich: Immer dann, wenn die Angst zu einer starken Beeinträchtigung der Lebensqualität führt oder wenn starke physiologische Beeinträchtigungen wie Kopfschmerzen, Magenprobleme, körperliche Unruhe oder Schlaflosigkeit auftreten.

ECHO: Ist Angst heilbar?

Streich: Angststörungen sind heilbar. Ziel kann aber nicht sein, ein völlig angstfreies Leben zu führen, denn Angst gibt uns wichtige Impulse. Aber wenn sie unkontrolliert unser Leben bestimmt, dann hilft nur noch eine professionelle therapeutische Unterstützung.

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