Auch Nestwärme birgt ein Risiko


Aalen. Der zweite Vortrag in der Reihe „Wunde(r) Mensch“ anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Fördervereins der Aalener Psychosomatik und in Kooperation mit der VHS Aalen, dem Kino Am Kocher und der Aalener Klinik für Psychosomatik war ein voller Erfolg. Fördervereinsvorsitzender Paul Sproll begrüßte und machte aufmerksam auf die Intention des Vereins, der sich für die Entstigmatisierung von Menschen mit psychosomatischen Erkrankungen einsetzt.
Den Hauptpart des Abends übernahm Prof. Dr. Anna Buchheim, vom Institut Psychologie der Universität Innsbruck. „Familie – Nest oder Pest“ lautete der Titel des Vortrags, der Bindungen und Trauma der frühen Jahre und deren mögliche Auswirkungen aufs Erwachsenenalter thematisierte. Eine kurze Zusammenfassung vorab: Eine enge Bindung zu einer Beziehungsperson ab dem Kleinkindalter ist überlebensnotwendig. „Kann aber Nest oder Pest sein“, meint die Professorin. Denn die Bindungsqualität sei gleichsam auch ein Risikofaktor für mögliche spätere psychologische Erkrankungen. „Aber diese sind auch veränder- bzw. verbesserbar“ nahm die Referentin dem Stachel die Spitze. Beispielsweise durch Therapie oder durch persönliche Entwicklung innerhalb eines sozialen Netzes, das trägt.
Die Eltern-Kind-Beziehung hatte Buchheim zu Beginn ihres Vortrags als einen wichtigen Aspekt aller Belastungen formuliert, die zum Ausbruch einer psychosomatischen Erkrankung führen können. Sie stellte die Bindungstheorie von Hoffmann und Egle vor, wonach in der Kindheit eine dauerhafte und gute Beziehung zu mindestens einer primären Schutzperson lebensnotwendig sei. Als Beispiel zitierte sie das Experiment des Psychologen und Verhaltensforschers Harry Harlow aus den 50er Jahren: Rhesusaffen-Babys, die ohne ihre Mutter in einen Käfig gesetzt werden und die Wahl zwischen zwei Attrappen haben: einer aus Draht nachgebildeten Milch spendenden, und einer mit Stoff bespannten Ersatzmutter. Die Äffchen, so Buchheim, wurden apathisch-depressiv, sobald die Stoffpuppe entfernt wurde.
Auch Psychoanalytiker John Bowlby habe in seiner Bindungstheorie Mitte der 50er Jahre bereits erkannt, dass frühe und nicht verarbeitete Verlusterfahrungen zu depressiven Störungen führen können. Und dass Kinder sich – aus überlebensnotwendigem Schutzbedürfnis heraus – in jedem Fall binden und anpassen, auch an misshandelnde Eltern.
Ausschlaggebend für eine gesunde Entwicklung sei die Balance zwischen Bindung und freier Entfaltung des Kindes. Buchheim stellte Methoden der Bindungsforschung vor. Sie zeigte Situationstests im Kurzfilm, analysierte beispielhaft Bindungsmuster, definierte Bindungssicherheit und Unsicherheit. „Kinder, die sich nicht beruhigen können, auch wenn die Mutter als Bindungsperson wieder anwesend ist, haben vielleicht schon ambivalente Erfahrungen gemacht.“ UW

 Film zum Vortrag: „Das Fest“, Donnerstag, 10. Mai, 20 Uhr, im Kino am Kocher. Eintritt: 6,50 Euro. Kartenreservierungen unter Tel. (07361) 9219178.

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