Apiphobie – die Angst vor schwirrenden Insekten

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29. August 2015 00:00 Uhr

Psychologie

Wer unter Apiphobie leidet, hat Angst vor allem, was schwirrt. In diesem Sommer ist es mit den Insekten besonders schlimm. Eine Autorin beschreibt ihre Ängste in einem Erfahrungsbericht.


  1. Die Horrorvorstellung für Menschen mit Apiphobie Foto: dpa

Mit meinen Eltern bin ich in Südfrankreich, um die Sonne zu genießen. Wir schnorcheln im Mittelmeer. Es gibt so viele Fische, so viele Farben. Meine Mutter zeigt mir einen Seeigel. Sie gibt das beim Tauchen gängige Zeichen, um mir zu signalisieren, dass alles in Ordnung ist. Mein Vater ist weit weg, er wollte einfach nur schwimmen.

Dann bemerke ich einen der buntesten Fische im Mittelmeer. Er ist gelb und blau. Ich bin fasziniert von diesem Fisch und entscheide mich, mich weiter vom Ufer zu entfernen, um dem Fisch zu folgen. Ich bleibe an der Wasseroberfläche, mein Schnorchel ragt aus dem Wasser, damit ich atmen kann. Unter Wasser ist alles gedämpft.

Plötzlich höre ich, wie sich etwas auf meinen Schnorchel setzt. Es summt. Aber was ist das? Bevor ich überlegen kann, fliegt das Etwas durch den Schnorchel in meinen Mund. Ich verschlucke etwas, das kein Wasser ist, sondern ein fliegendes Insekt. Ich werde panisch. Das Insekt ist in meine Luftröhre gelangt. Ich reiße den Schnorchel aus meinem Mund. Ich schreie unter Wasser, aber niemand hört mich. Das Insekt sticht mich. Ich schlucke Wasser, dann sticht es mich ein zweites Mal. Und nochmal. Jedes Mal tiefer in meiner Luftröhre. Ich habe nicht mehr die Kraft zu brüllen. Meine Mutter ist weit weg, sie wird mich nicht hören. Ich ersticke langsam und versinke im tiefen Blau des Mittelmeeres.

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Ich öffne die Augen, ich bin schweißnass gebadet. Glück gehabt, es war nur ein Traum.

Ich leide unter Apiphobie. Das ist eine krankhafte Angst, die sich plötzlich oder nach einem traumatisierenden Ereignis mit Bienen, Wespen, Hummeln und Bremsen ergeben kann. Aber warum bin ich apiphobisch? Darauf hatte ich bisher keine Antwort. Nach einem Gespräch mit meiner Mutter wird mir einiges klarer. Mit sechs Jahren war ich anscheinend gleichzeitig beeindruckt und verängstigt, ganze Kolonien von Ameisen, die tote Bienen transportierten, zu beobachten. Laut der Aussagen meiner Mutter hat sich das im Laufe der Zeit verschlechtert. Ich erinnere mich: Mit meinen Eltern sind wir mit dem alten BMW durch den Süden Frankreichs gefahren: Korsika, Provence, Lavendelfelder, das Zirpen von Grillen. Doch das Paradies wurde nach und nach für mich zur Hölle. Die Faszination endete mit 14 Jahren. Seitdem bin ich endgültig apiphobisch. Das ist seltsam, denn ich wurde niemals gestochen. Ich habe auch nie gesehen, wie jemand gestochen
wurde.

Doch was kann man gegen diese Phobie tun? Experten sagen, man solle Strategien und Einstellungen entwickeln, um die gefürchteten Insekten zu meiden. Meiden also. Wenn es so einfach wäre.

Ein Mittagessen mit meiner Familie im Garten. Leute, die nicht unter Apiphobie leiden, freuen sich den ganzen Winter darauf. Ich sehe das ganz anders. Allein die Vorstellung eines solchen Mittagessens gefällt mir überhaupt nicht. Während des Essens bin ich unruhig, körperlich anwesend, innerlich aber schon auf der Flucht. Es kommt mir oft so vor, als würden die Gespräche um mich herum verschwimmen. Ich spitze die Ohren und werde sofort aufmerksam auf das leiseste Summen. Einen Vorteil bringt das auf jeden Fall mit sich: Ich habe ein feines Gehör entwickelt. Ich höre ein fernes Summen deutlich besser als die meisten Menschen.

Diese Phobie hat schon oft zu Konflikten geführt. Bevor ich mich in den Garten setze, schaue ich auf jeder Blüte und unter jedem Blatt nach, ob dort nicht ein Insekt sitzt.

Ich inspiziere den Garten immer nach Bienen, Wespen, Hummeln und Hornissen. Es ist unmöglich, die Angst zu kontrollieren. Nähert sich mir ein Summen, springe ich sofort vom Tisch auf, ohne Bescheid zu sagen. Ich laufe in die entgegengesetzte Richtung und warte solange, bis das Insekt weggeflogen ist, bevor ich mich wieder hinsetze. In diesem Sommer ist es die Hölle.

Wenn eine Biene sich auf den Arm eines nicht apiphobischen Menschen setzt, wird dieser keine Angst haben, da er weiß, dass die Biene keinen Grund hat, ihn zu stechen. Für mich ist es undenkbar, dass sich eine Biene auf meinem Arm niederlässt. Allein der Anblick einer Biene, Wespe, Hummel – oder schlimmer noch, einer Bremse –, löst in mir eine solche Angst aus, dass ich manchmal sogar eine Panikattacke bekomme.

Obwohl meine Familie und meine Freunde mir immer wieder sagen: " Es ist nicht das kleine Tier, das das Große essen wird", "Wenn du dich nicht bewegst, wird sie dich nicht stechen" oder "Hummeln stechen nicht", bewohnt mich eine irrationale Angst. Diese hat mich mit ihrem krankhaften Ausmaß schon oft in komische, sogar beschämende Situationen gebracht. Ich erinnere mich an einen Sommer: Wir hatten mit zehn Freunden ein Haus in Seillans, in der Provence, gemietet. Es gab ein Schwimmbad, das von Lavendel- und rosa Lorbeersträuchern umgeben war. Für Insekten war dieser Ort ein Paradies. Für mich die Hölle.

Deshalb badete ich früh am Morgen und niemals länger als zehn Minuten. Es gab zu viele Bremsen in der Nähe. Ich habe ein einziges Mal versucht, mich am Rande des Schwimmbeckens auf einen Liegestuhl zu legen. Es war unmöglich, mich zu entspannen. Ich war die ganze Zeit in Lauerstellung, bereit, mich bei dem leisesten Summen schnell zu erheben und zu fliehen. Plötzlich hörte ich ein sehr lautes Summen, dass von einer sehr großen Hummel oder einer Hornisse stammen musste. Ich geriet in Panik, doch es gelang mir nicht, von meinem Stuhl aufzustehen. Das Summen näherte sich. Ich schlug mit allen Vieren wild um mich. Der Liegestuhl zerbrach in zwei. Bei dieser Szene haben meine Freunde einen Lachkrampf bekommen. Mir kamen die Tränen und ich flüchtete ins Haus. Ich brauchte gut eine halbe Stunde, um mich zu erholen.

Jetzt versuche ich, meine Angst zu kontrollieren, aber das ist schwer. Ich kann zum Beispiel ein Getränk im Gartencafé trinken, aber ich beteilige mich ungern an Gesprächen. Ich werde auch niemals mit nackten Füßen über eine Wiese laufen, da ich Angst habe, am Fuß gestochen zu werden. Und ich fahre lieber in die Normandie als in die Provence. Es ist jeden Sommer dieselbe Plackerei. Zeit, dass endlich Winter wird.

Autor: Marion Chatelin

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