Angstforscher sieht den BVB im Teufelskreis des programmierten Scheiterns

Ronaldo kaut vor jedem wichtigen Spiel auf den Fingernägeln. Barbra Streisand hat 20 Jahre lang keine Bühne betreten, weil sie einmal ein paar Wörter vergaß. Angst kann Karrieren vernichten.

Befindet sich der BVB im Würgegriff der Versagenspanik?

Prof. Dr. Dr. René Hurlemann, stv. Direktor der Uniklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Bonn, ist Angstforscher. „Wie kann man es erklären, dass Sportler, die vor kurzem in der Weltklasse unterwegs waren, jetzt auf Kreisklasse-Niveau spielen?“, bringt er das Dilemma der Borussen auf den Punkt.

Erfolg oder Niederlage sind Fragen der Psychologie

Erfolg oder Niederlage sind Fragen der Psychologie. Zwei Konzepte spielen nach Prof. Hurlemann beim tiefen Fall der Borussia eine Rolle. „Das eine beruht auf Selbstwirksamkeit. Das ist der Glaube, dass ich in der Lage bin, mein Schicksal in der für mich günstigsten Weise zu bestimmen. Aber das Konzept wird erschüttert, wenn man wiederholte Erlebnisse des Scheiterns hat.“ Der Versager verliert sein Selbstvertrauen.

„Und zweitens spielt die Konditionierung eine Rolle, das ist eine Form von Lernen. Es gibt die operante Konditionierung, wo Lernen durch Belohnung verstärkt wird oder umgekehrt. Dann nimmt man bei jedem neuerlichen Auftritt das Scheitern schon vorweg.“

Bei den Dortmundern funktioniert die Gruppe nicht mehr. „Eine gestörte Selbstwirksamkeits-Erwartung ist in einer Mannschaft, wo immer eine Teamleistung abgerufen werden muss, besonders gravierend“, konstatiert der Experte.

Zu viel Angst frisst die Seele auf

Die große Spanne der Abrufbarkeit von Leistung ist ebenfalls reine Psychologie. Hier kommt ein weiterer Faktor ins Spiel, die richtige Balance zwischen Druck und Lockerheit. „Eine gewisse Ängstlichkeit optimiert die Leistung“, weiß der Bonner Mediziner.

Aber: Zu viel Angst frisst die Seele auf. „Man könnte vermuten, dass beim BVB diese enorme Erwartungshaltung durch Trainer und Vorstand einen solchen Stress in die Mannschaft bringt, dass auf suboptimalem Niveau gearbeitet wird. Auf mich wirkt das alles sehr, sehr verkrampft, da ist der Glaube an die eigene Selbstwirksamkeit erloschen. Das Team tritt wie eine Gruppe von Hasenfüßen auf, die an Vereinen scheitern, die sie früher mit 5:0 plattgemacht hätten.“

Lässt sich der Teufelskreis durchbrechen? Kollektives Nägelkauen à la Ronaldo dürfte kaum helfen. „Möglicherweise braucht der BVB eine spürbare Veränderung, um aus dieser Vorausschau des Versagens herauszukommen. Die Mannschaft braucht jetzt einen äußeren Impuls. Wenn ich Trainer wäre, würde ich von selber abtreten“, analysiert Prof. Hurlemann.

Monika Willer

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