Anderthalb Tage Stress in Toulouse- Einsatzkräfte und Täter im Adrenalin-Rausch

Im nervenzermürbenden Polizeieinsatz vor dem Haus des mutmaßlichen Attentäters in Toulouse standen beide Seiten eineinhalb Tagen unter extremer Anspannung und Dauerstress. Es gab Schusswechsel, Polizisten wurden verletzt, der Attentäter starb letztendlich.

Polizisten, insbesondere die Spezialeinheiten, die in solchen Fällen an vorderster Front stehen, sind auf solche Einsätze vorbereitet. Wer in so eine Einheit kommt, hat sich ohnehin schon als sehr belastbar erwiesen. Im Training erwerben die Polizisten dann einerseits das Fachwissen, wie sie vorgehen müssen, um zum Beispiel ein Haus zu stürmen. Andererseits lernen sie, in den Extremsituationen konzentriert zu bleiben.

Dabei hilft ihnen auch die Biologie: In so einer Situation schießen große Mengen Adrenalin und andere Stresshormone durch den Körper, um die Konzentration aufrecht zu erhalten. Blutdruck, Herzfrequenz und Blutzuckerspiegel steigen, die Fettreserven werden angezapft und der Speichelfluss vermindert. Der ganze Organismus befindet sich im Alarmzustand und ist bereit für Kampf oder Flucht. „Die Ausschüttung von Stresshormonen sorgt dafür, dass sich die Aufmerksamkeitsspanne verlängert“, sagt Notfallpsychologin Clivia Langer. „Grundbedürfnisse wie Hunger und Durst werden zurückgedrängt.“

Auch Empfindungen und Gefühle spielen in diesem Moment keine Rolle. „Es macht keinen Sinn, während des Einsatzes zu überlegen, wie es einem selber oder den Kollegen gerade geht. Es zählen nur Effizienz und Konzentration“, sagt Clivia Langer.

„Die eingeübten Routinen in Kombination mit der gespannten Aufmerksamkeit sorgen dafür, dass sie den Einsatz erfolgreich meistern können“, sagt Langer. In den Schichtpausen werden die Betroffenen in Ruhe gelassen und noch keine Gespräche geführt. „Solange der Einsatz noch nicht abgeschlossen ist, geht es darum, dass die Einsatzkräfte in den Pausen schlafen, essen und trinken“.

Auch der Täter befindet sich im Einsatz

Die Psychologin sieht ähnliche Mechanismen bei Mohammed Merah. „Auch der mutmaßliche Täter befand sich in einem Einsatz, sein Körper leistete in dieser Ausnahmesituation mehr als sonst. Deshalb schaffte er es auch, lange wach zu bleiben“, sagt Lange. „Im Unterschied zu den Einsatzkräften steht er jedoch allein da, kann sich nicht im Team absprechen.“ Das Schlafdefizit des Mannes wirke sich irgendwann aus, dann lasse die Konzentration unweigerlich nach. „Die Polizisten dagegen arbeiten in Schichten, um Fehler zu vermeiden.“

„Dass die Polizisten eine klare Aufgabe haben, hilft ihnen“, sagt Traumatherapeut Frank Waldschmidt, der Polizisten psychologisch ausbildet. „Sie können etwas tun, während die Öffentlichkeit nur zusehen kann und sich ohnmächtig fühlt.“

Die mediale Aufmerksamkeit und der politische Druck spielen während des Einsatzes direkt keine große Rolle, sagen Waldschmidt und Manfred Langer vom Zentralen Psychologischen Dienst der Polizei Bayern. Erstens werde der Tatort in der Regel von der Öffentlichkeit abgeschirmt. Zweitens seien die Polizisten auf ihren Einsatz konzentriert.

Experten halten Schuldgefühle für normal

Die Aufarbeitung der Ereignisse und die psychologische Nachsorge erfolgt erst, wenn alles vorbei ist. „Spezialeinsatzkräfte werden schon in ihrer Ausbildung auf die Zeit nach solchen Einsätzen vorbereitet“, sagt Waldschmidt. Die Polizisten wüssten dann, welche körperlichen und psychischen Reaktionen nach den Einsätzen auftreten könnten, zum Beispiel Schlafprobleme, Konzentrationsstörungen oder Schuldgefühle. „Man spricht das vorher durch, unterhält sich auch mit Leuten, die das schon durchgemacht haben“, sagt Waldschmidt. „Es ist wichtig zu wissen, dass solche Reaktionen normal sind, die Polizisten dürfen nicht die Angst bekommen, dass sie nicht mehr funktionieren.“

In der Regel würden die Symptome nach kurzer Zeit von selbst verschwinden. Beamte, die damit nicht fertig werden und denen die Unterstützung ihrer direkten Kollegen nicht reicht, können sich in Deutschland an die Polizeipsychologen wenden. „Sie führen Gespräche mit den Beamten“, sagt Waldschmidt. Außerdem sei es sinnvoll, deren Familien zu erklären, was sie tun können – etwa für Ablenkung und Normalität wenigsten in der Familie sorgen.

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