Am Aschermittwoch ist alles vorbei und die Psychologie der Kurse – wallstreet


 |  23.02.2012, 09:30  | 
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Am Aschermittwoch ist alles vorbei, so heißt es im Karneval. Sollte diesmal auch die Rally zum Karnevalsende ihr vorläufiges Hoch gesehen haben? Heute ist der DAX 0,9 % im Minus. Die US-Indizes hingegen kämpfen noch mit der Nullmarke. 

Der heutige Kursverlust des DAX wird hauptsächlich mit einem schlechteren Einkaufsmanagerindex deutscher Unternehmen begründet. So sank der Wert im Februar unerwartet auf 50,1 Punkte, nach zuvor 51 Punkten.  Werte über 50 signalisieren eine Expansion, Werte unter 50 eine Kontraktion der Wirtschaft.

Aber ganz ehrlich, glauben Sie, dass Anleger aufgrund dieser Nachrichten Positionen verkaufen? Ok, vielleicht passen einige institutionelle Anleger ihre Positionsgröße an die wirtschaftlichen Rahmendaten an. Aber sicherlich nicht in einem solchen Maße.

Nein, hier spielen verschiedene andere Faktoren eine  größere Rolle. Zum einen, wie bereits geschrieben, das nun verabschiedete nächste Hilfspaket für Griechenland, zum anderen die psychologisch wichtige 7.000er Marke.

Psychologisch wichtige Marken

Als geneigter Leser des Steffens Daily haben Sie schon oft miterlebt, wie relevant solche psychologisch wichtigen Marken für den Kursverlauf sind. Somit stellt sich die Frage, warum das so ist. Dazu ein kleiner Ausflug in die menschliche Wahrnehmung:

Eigentlich lernt doch jeder Trader sehr schnell, dass man Stopps und Kaufpositionen niemals auf solche Marken legen soll. Wenn man bei einer Aktie bei 70 Euro im Gewinn aussteigen will, sollte man als Verkaufskurs 69,92 Euro oder ähnliches wählen. Einen Stopp setzt man nicht auf 10,00 Euro, sondern auf 9,93 Euro oder, je nach Kaufkurs, auf 9,87 Euro. Warum lernt man das so schnell? Weil man an solchen Marken oft genug entweder dummerweise  nicht verkaufen konnte, weil die Kurse vorher wieder nach unten drehten, oder unglücklich ausgestoppt wurde.

Also fragen wir uns, warum der Mensch so gerne solche Marken für seine Limits nutzt.

Raumhaftes Denken

Wir Menschen denken  in durchaus begrenzten Vorstellungsräumen. Das bedeutet, wenn wir uns zum Beispiel eine sehr große Entfernung vorstellen, die wir im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr überblicken können, unterteilen wir diese Entfernung in kleinere, überschaubare Abschnitte (Räume). Das machen wir nicht nur mit Strecken, sondern unsere gesamte Vorstellung ist raumhaft. Wir schachteln, sobald etwas unseren Wahrnehmungsbereich übersteigt, die Wirklichkeit in aneinandergrenzende Wahrnehmungs-Räume.

Begrenzungen als notwendige Orientierung

Das ist der Grund, warum wir „Begrenzungen“ suchen, die wir dazu nutzen können, alles was wir erdenken in kleinere, überschaubare „Räume“ zu unterteilen. Und es sind eben diese Grenzen, bei denen wir es uns einfach machen - in denen wir  auffällige Markierungen nutzen, um dieses raumhafte Denken quasi zu kartographieren.

Die Notwendigkeit dessen wird erkennbar, wenn wir uns überlegen, wie wir uns in der Natur zurechtzufinden. Hier sucht das menschliche Gehirn ebenfalls markante Bezugspunkte, um sich zu orientieren: Ein Hügel, ein Weg, ein bestimmter Baum – solche auffälligen Objekte werden genutzt, um die Welt in begreifbare Abschnitte (Räume) zu zerlegen.

Die markanten Zahlen

Und genau das machen Anleger auch mit Kursen. Ein Kurs von 96,31 Euro ist wenig markant, missfällt also dem kartographierenden raumhaften und nach Einfachheit strebenden Denken des Menschen. 100,00 Euro, das ist eine wichtige Marke (Deshalb kosten Waren auch zum Beispiel 49,99 statt 50,00 Euro. Bei 50 Euro beginnt der neue, teurere Raum). Ganz unbewusst, wenn also Käufe und Verkäufe in den Markt gelegt werden, orientieren sich gerade die Anfänger an diesen Marken.  Meistens, weil sie sowieso schon mit der Frage überfordert sind, wo sie denn aussteigen sollen. Und gerade diese Überforderung lässt das Gehirn auf instinktives Verhalten zurückgreifen.

Die Masse liegt immer falsch

Wenn Sie den Steffens Daily bereits länger lesen, wissen Sie, dass die Masse an den Börsen extrem oft falsch liegt. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass ein Verhalten, welches sich an das Verhalten der Masse anlehnt, meistens ungünstig ist. Sie müssen eigentlich nur, um erfolgreich zu traden, konträr zum menschlichen Standard-Verhalten vorgehen (wenn das so einfach wäre). Und das ist der eigentliche Grund, warum Sie schon per se solche Marken meiden sollten wie die Pest. Aber es ist natürlich auch der Grund, warum diese Marken trotzdem eine derart hohe Relevanz haben.

Der ungewollte Paradigmenwechsel

Dieses raumhafte Denken wird noch verstärkt, wenn es um die wirklich „großen“ Zahlen geht: 1.000 Punkte in einem Index oder 10.000 Punkte, aber auch 5.000 Punkte, sowie 10 Euro, 100 Euro, 500 Euro und 1.000 Euro bei Aktien. Es gibt einen gewissen Respekt vor diesen Marken, einfach weil das Überwinden auch eine Art Paradigmenwechsel darstellt. Es wird ein neuer Raum „entdeckt“ oder aufgetan, wie ein neuer Kontinent oder ein neuer Planet…

Auch dazu ein Beispiel: In den 1960er bis 1980er-Jahren scheiterte der Dow Jones knapp zwei Dekaden an der 1.000-Punkte-Marke. Unter anderem auch, weil eine Generation von Anlegern ihr ganzes Leben lang lediglich mit dreistelligen Kursen gehandelt hatten. Eine vierstellige Zahl, also ein neuer Raum, schien einfach zu gewagt, die Zahl zu groß. Ein nachhaltiges Überwinden wäre damit ein zu heftiger Paradigmenwechsel gewesen. Damals war es noch offensichtlich, denn in den Medien wurden Kurse über 1.000 Punkte als luftleerer Raum, Himmel oder Universum betitelt. Sie hatten etwas Unerreichbares. Unterschätzen Sie also nie die Kraft der psychologisch wichtigen Marken!

Anfänger abfischen

Aber es gibt noch einen weiteren Grund gerade bei Aktien, der sehr wichtig ist. Natürlich wissen die erfahrenen Trader und institutionellen Anleger, dass Anfänger ihre Stopps oder andere Limits auf diesen Marken platzieren. Dieses Wissen nutzen sie aus.

Dazu ein Beispiel: Stellen wir uns eine Aktie vor, in der viele unerfahrene Anleger investiert sind. Sie fällt in die Nähe der 10-Euro-Marke. Nun sagt die Erfahrung, dass an der 10-Euro-Marke viele Anleger einen Stopp platziert haben. Sprich, wenn die Marke fällt, werden viele Verkaufsaufträge in den Markt kommen.

Nun können ein oder mehrere Institutionelle Anleger auf die Idee kommen, diese Aktie über 10,00 Euro zu shorten. Dazu verkaufen sie eine große Menge an Aktien, die sie sich zuvor geliehen haben (Leerverkauf). Diese verkauften Aktien müssen sie natürlich irgendwann zurückkaufen (um sie zurückzugeben).

Durch diese Verkäufe drücken sie stetig die Kurse nach unten. Wenn diese Anleger jetzt die gleiche Menge an Aktien zurückkaufen würden, würde der Kurs wieder nach oben springen. Sie hätten dann wahrscheinlich nicht nur keinen Gewinn gemacht, sondern auch einen Verlust erwirtschaftet, da nicht genügend Verkäufer da sind, denen sie diese Aktien abkaufen könnten.

Da sie jedoch annehmen, dass bei 10 Euro viele Stopps liegen, hoffen sie darauf, die Aktien den Anfängern abnehmen zu können, die dort ihre Stopps platziert haben. Sprich sie hoffen, dass sie mit dem Verkaufsdruck, der durch die Stopps entsteht, ihre Short-Position, also ihre verkauften Aktien zurückkaufen können. Geschieht das, wird dieser Rückkauf eben nicht mehr dazu führen, dass die Kurse wieder sprunghaft ansteigen. Kurz: Es entsteht ein beachtlicher Gewinn.

Und dieses oder ein entsprechendes Verhalten erklärt, warum es an diesen psychologisch wichtigen Marken so oft zu Fehlsignalen kommt! Und das ist auch ein weiterer Grund, warum Sie es einfach vermeiden sollten, diese Marken zum einfachen Ein- oder Ausstieg zu nutzen.

Viele Grüße

Jochen Steffens

(Quelle: www.stockstreet.de)






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