Am allerschönsten sind die Indianergeschichten von Marx

Manche Studenten haben mehr Lücken als Wissen

Sigmund Freud war vor kurzem in einer Talkshow auf RTL, meint sie. Souveräner Auftritt. Das müsse für sie ja dann von besonderem Interesse gewesen sein, denke ich mir, hat dieser Typ ihrem Fach doch immerhin einige nicht ganz irrelevante Aspekte hinzugefügt. Psychologie studiert sie, auf Lehramt.

Noch einen: Letzthin in der Vorlesung "Investigativer Journalismus", veranstaltet vom Institut für Publizistik der Universität in Wien, ich unterhalte mich, eher kurz, mit einer Kommilitonin: Profil, nein, leider, sagt ihr nichts, und Florian, wie?, Klenk - nie gehört.

Zu diesem Zeitpunkt befinden wir uns in der Hauptstadt eines Landes, dessen Presselandschaft entspannt an einem Nachmittag durchmessen werden kann, wobei die Sparte "Investigativer Journalismus" in einer Viertelstunde abgehakt werden könnte, deren herausragende und fast alleinige Vertreter Florian Klenk von der Wiener Stadtzeitung Falter und die Wochenzeitschrift Profil sind. Ach, sie macht auch erst den Bachelor. Na dann.

Natürlich könnte man jetzt von Blackouts, von einer unglücklichen Verkettung bildungsdefizitärer Umstände sprechen, diese beiden Beispiele jedoch bestätigen und illustrieren sehr scharf konturiert meinen schon vormals gewonnenen Eindruck, dass es viele, im Studienplan teils auch schon recht fortgeschrittene Studenten gibt, denen es - gelingen will ich nicht sagen - möglich war, sich, wie in einer isolierenden Blase, durch ihr Studium zu tauchen, nicht wissend, in welchen Gewässern sie sich eigentlich herumtreiben.

Sollte ein Studium junge Menschen nicht bis zu einem gewissen Grad auf den Beruf vorbereiten und ihre Art zu denken, zu analysieren, die Welt kritisch zu betrachten, schärfen? Klar - die Uni Wien ist von Harvard ungefähr so weit entfernt wie Brigittenau von Manhattan. Dennoch erstaunt es jedes Mal aufs Neue, wenn man Kommilitonen mit Wissenslücken der Größe einer Grand-Canyon-Schlucht auf freiem Uni-Feld begegnet. Wie gering muss ihr Interesse an dem Fach sein, das sie jahrelang studieren? Oder sind sie einfach nicht in der Lage zu studieren, was sie studieren?

Klarheit darüber könnten Aufnahmetests schaffen. Außerdem sollte die Studienberatung forciert werden. So könnte bei den Betroffenen ein Nachdenkprozess angeregt werden. Dann müsste in einer höhersemestrigen Geschichtevorlesung auch nicht mehr die Frage gestellt werden, ob Karl May den Kommunismus erfunden hat - wirklich erlebt!

Das Wissen über den Unterschied zwischen Marx und May sollte wirklich schon lang vor der universitären Ausbildung erworben worden sein. Kurios ist vor allem, dass dem Studenten selbst sein Unwissen bislang nicht aufgefallen ist und er auch von niemandem darauf hingewiesen wurde. Es würde sich also lohnen, ab und an den Realitycheck anzutreten. (fsc, UNISTANDARD, 3.5.2012)

 

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