Alles steht Kopf: Disney wagt Wissenschaft

Ein Gefühl tänzelt durch den Kopf, leichtfüßig, mit schwingendem Kleid und
blauem Glitzerhaar. Die feeifizierte Freude, die hell aufleuchtet, als das neugeborene Mädchen
zum ersten Mal Mama und Papa erblickt und den schönen Satz hört: "Du bist das Wunderbarste auf
der Welt, Riley."

Ein kitschiger Traum? Ein Drogentrip? Fast: ein neuer Disney-Film.
Alles steht Kopf
erzählt von der Kindheit der kleinen Riley, und zwar insbesondere von dem, was sich in dieser Zeit im Kopf des Mädchens abspielt. Dort befindet sich eine Art Kommandozentrale, in der fünf Emotionen miteinander ringen: Angst, ein dürres Männchen mit Pullunder, Wut, ein roter Hitzkopf, eine mäklige Zicke namens Ekel, Kummer, eine behäbige Heulsuse mit Oma-Brille, und natürlich Freude, die Kitsch-Fee. Deren Aufgabe ist es, Riley stets das Positive vor Augen zu führen.

Zugleich agiert sie als Anführerin der Truppe. Freude sorgt dafür, dass Kummer sich vom Steuerpult fernhält, damit sie Riley nicht traurig macht; dass Angst oder Ekel nur ans Ruder kommen, wenn Gefahren lauern (wie Stromkabel oder Brokkoli); und dass Wut seinen Auftritt erhält, wenn Riley Ungerechtigkeit droht ("kein Nachtisch? KEIN NACHTISCH?"). Kurzum, das Emotionen-Team steuert auf ein gemeinsames Ziel zu: Alle wollen, dass es Riley gut geht.

Das harmlos daherkommende Filmchen führt in ein ziemliches Minenfeld

Ein schönes Bild – klar, es ist Disney. Absolut Disney-untypisch ist allerdings die Perspektive des Films. Denn üblicherweise konzipieren die Märchenmacher Geschichten, die Gefühle
auslösen
sollen. Dieser Film macht die Emotionen selbst zum Thema. Und nicht nur das: Er analysiert und reflektiert auch ihre Bedeutung, und zwar mit fachlicher Unterstützung. Disney wagt sich in die Wissenschaft.

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Dieser Artikel stammt aus der ZEIT Nr. 39 vom 24.09.2015.

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Dieser Artikel stammt aus der ZEIT Nr. 39 vom 24.09.2015.
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Die Animationsfirma Pixar, die der Disney-Konzern aufgekauft hat, brüstet sich gern mit aufwendigen Recherchen, auch wenn es nur um optische Details geht. Pete Docter, der Regisseur von
Alles steht Kopf,
ging nun einen Schritt weiter: Er heuerte für den Film zwei Fachleute an, die Psychologen Paul Ekman und Dacher Keltner. Deren Wissen sei das Fundament der Handlung, wird in der Pressemappe erklärt. "Damit
Alles steht Kopf
realisiert werden konnte, mussten Künstler und Geschichtenerzähler regelrecht Hirnforscher werden", liest man da. "Intensiv" hätten die Filmemacher dazu die menschliche Psyche studiert. Der bunte Zeichentrickfilm kommt also mit einer ziemlich großen Bugwelle an Anspruch daher. Kann er dem gerecht werden?

Dazu sollte man zunächst bemerken, dass die Emotionsforschung ein heiß umkämpftes Terrain ist. Welche Kräfte unsere Gefühlswelt bestimmen, was sie prägt und wie sie sich verändert – all das sind Fragen, die zwischen Psychologen, Neurobiologen und Sozialforschern heute heftig diskutiert werden. Das harmlos daherkommende Filmchen führt daher in ein ziemliches Minenfeld.

Das beginnt schon mit der Theorie der sogenannten Basisemotionen, die dem Film zugrundeliegt. Demnach besitzt angeblich jeder Mensch einen Satz elementarer Emotionen, der angeboren und in jeder Kultur der Welt der gleiche ist. Das ist jedenfalls die Theorie von Paul Ekman, der mit seiner Firma Paul Ekman International rund um die Welt Kurse im Emotionenerkennen und Gesichterlesen anbietet und einer der einflussreichsten Psychologen der Gegenwart ist.

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