Akademiker als Taxifahrer: Einmal ums Klischee, bitte

Taxi fahren, das klingt nach Notlösung. Nach klassischem Nebenjob, um die Zeit bis zum Ende des Studiums, der Ausbildung oder der Selbstfindungsphase zu überbrücken. Akademiker, die nach ihrem Abschluss weiter Taxi fahren, werden oft verspottet: die Fallhöhe zwischen einer geistigen Ausbildung und der eher praktischen Arbeit im Auto scheint die Menschen zu überfordern.

Dabei hat das Klischee, dass ein Großteil der Geisteswissenschaftler später einmal Taxi fährt, noch nie gestimmt. Und obwohl es keine klassische Ausbildung zum Taxifahrer gibt, ist eine fundierte Ortskenntnis von Straßen, Hotels und Abkürzungen in einer deutschen Großstadt nicht zu unterschätzen.

Im KarriereSPIEGEL erzählen drei Hochschulabsolventen, warum sie Taxi fahren und weshalb sie lieber auf der Straße unterwegs sind, als hinter dem Schreibtisch zu sitzen.

  • Der Psychologe: "Auch im Taxi breiten die Leute ihre Seelen aus"


  Uwe Fromm *, 52, ist studierter Psychologe und fährt seit 30 Jahren Taxi

Uwe Fromm*, 52, ist studierter Psychologe und fährt seit 30 Jahren Taxi

"Meinen Taxischein habe ich 1982 während meines Psychologiestudiums gemacht. Damit habe ich mir den Auszug von zu Hause finanziert. Nacht acht Jahren absolvierte ich meine Prüfungen, nur meine Diplomarbeit schrieb ich nicht. Mein Studium habe ich 2006 doch noch abgeschlossen. Sogar mit einer eins.

Die ganze Zeit über bin ich Taxi gefahren. Erst als ich mein Studium beendet hatte und eine Stelle als freiberuflicher Psychologe bekam, hörte ich auf - vorerst. Ein halbes Jahr arbeitete ich mit psychisch kranken Arbeitslosen. Ich hatte Spaß, die Bezahlung war auch nicht schlecht. Dann wurde mir eine Leitungsposition angeboten. Ich nahm an, im Nachhinein ein Fehler: Ich urteile ungern über andere und hatte Hemmungen, Diagnosen zu stellen.

Ich war frustriert. Nach einem halben Jahr habe ich gekündigt und bin wieder Taxi gefahren. Das war nicht nur ein finanzieller Einbruch. In meinem Freundeskreis und der Familie gibt es fast nur Akademiker, da entsteht schon eine Art Versagensgefühl, obwohl eigentlich niemand negativ reagiert hat. Anfangs haben Freunde mir noch Stellenanzeigen geschickt. Inzwischen wissen die meisten, dass ich zufrieden bin. Ich habe eine Familie, das gibt mir sehr viel. Und ich mag es, draußen unterwegs zu sein, mag den Kontakt zu den Menschen. Am schönsten ist, dass ich relativ viel Freiraum habe und mein eigener Herr bin.

Psychologie ist mein Hobby

Ich erlebe ja auch spannende Geschichten. Man hat die ganze Welt im Taxi. Günter Jauch, Jogi Löw, Obdachlose und Betrunkene, Wirtschaftsbosse, Chinesen, Inder. Ich führe viele interessante Gespräche, auch wenn es meistens oberflächlich bleibt.

Meine Kollegen wissen, dass ich Psychologe bin. Ein paar von ihnen haben selbst ein abgeschlossenes Studium. Bei den Kunden bin ich dagegen sehr vorsichtig. Es ist ja sowieso ein Phänomen, dass die Leute im Taxi ihre Seele ausbreiten, da würde die Tatsache, dass ich Psychologe bin, nur Öl ins Feuer gießen. Manchmal fragen die Fahrgäste aber auch: 'Sie sind doch nicht hauptberuflich Taxifahrer?' Früher habe ich dann immer gesagt, dass ich eigentlich Diplom-Psychologe bin, heute sage ich, dass ich Taxifahrer bin und Psychologie mein Hobby ist. Ein Fahrgast hat einmal zu mir gesagt, dass ich mich unter meinem Niveau verkaufe. Das hat mich damals sehr getroffen, heute würde ich darüber stehen.

Immer wieder entdecke ich Parallelen zwischen den Berufen: Auch mir erzählen die Leute Privates und oft höre und sehe ich Dinge, die nicht für mich bestimmt sind - das reicht von Geschäftsinterna bis hin zu betrunkenen Prominenten. Die Leute fühlen sich im Taxi irgendwie anonym. Mein psychologisches Wissen hat mir auch schon öfter geholfen: Einmal wurde ich von einem Verrückten mit einer Waffe bedroht, ein anderes Mal habe ich einen Zuhälter im Gefängnis abgeholt. Er wollte seine ehemalige Freundin zur Rechenschaft ziehen. Ich konnte beide beruhigen."

* Name von der Redaktion geändert

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