10.03.2012 | 17:53 | von Veronika Schmidt (Die Presse)

„Es ist nicht wichtig, ob ein Kind ein schönes Kinderzimmer hat, sondern, wie die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung ist“, sagt Brigitte Seifert. Die Vorarlbergerin arbeitet am Institut für Forensisch-Psychologische Begutachtung (IFPB) in St.Gallen in der Schweiz: Hier werden unter anderem Gutachten zu Fragen des Kindeswohls, zum Beispiel bei Trennung und Scheidung von Eltern, oder im Rahmen des Kindesschutzes erstellt.

„Das sind extreme Konflikt- und Stresssituationen“, sagt Seifert. „Und daher gibt es auch wenig empirische Forschung, nach welchen Kriterien Sachverständige vorgehen sollten.“ Schließlich müssen die Eltern freiwillig zustimmen, dass sie an einer Studie teilnehmen – und bei einer Scheidung bzw. wenn einem wegen psychischer Krankheit eventuell das Kind weggenommen wird, hat man wahrlich andere Sorgen. „Familienrechtliche Gutachten haben sehr weitreichende Folgen. Die Empfehlung des Sachverständigen ist meist Grundlage, wie der Richter entscheidet“, sagt Seifert.

Doch wie soll man ohne festgeschriebene Standards die Eltern-Kind-Beziehung beurteilen? Daher setzt Seifert in ihrer Dissertation (Uni Innsbruck, Psychologie, Betreuer Cord Benecke) einen ersten Schritt zur empirischen Forschung bei der Beurteilung von Obsorgezuteilungen. Bisher werden Diskussionen wie zum Beispiel die Frage „Gehört das Kind zu seiner Mutter?“ zu emotional geführt. Die Analyse von 44 Elternpaaren und ihren Kindern (bei gerichtlich beantragten kinderpsychologischen Gutachten) zeigte, dass meist traditionelle Rollenmuster die Empfehlung beeinflussten. Bei Müttern, die sich nicht „mütterlich“ um das Kind kümmern, wird das Kind eher dem Vater zugesprochen. Bei Vätern, die nicht durchgreifend auftreten, wird das Kind eher der Mutter zugesprochen.

Auch die Diskrepanz in der Einschätzung der Eltern-Kind-Beziehung zwischen den Betroffenen und dem Gutachter spielt eine Rolle: Sieht eine Mutter ihre Beziehung zum Kind ganz anders als die Gutachterin, wird das Kind öfter dem Vater zugesprochen. Der Willen des Kindes jedoch kann oft nicht direkt ins Urteil einfließen, da selten klar ist, ob das Kind nur der Mutter oder dem Vater gegenüber loyal sein will oder wirklich seinen Wunsch äußert, wo es hinwill. In den analysierten Fällen wurde jedenfalls dem Wunsch des Kindes öfter entsprochen, wenn es zur Mutter wollte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.03.2012)

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