Zwischen Mitgefühl und Professionalität – Kölner Stadt





Wenn du am Beratungstelefon der Kölner Aidshilfe sitzt, klingelt es dann pausenlos?

Martina Geenen: (lacht) Nein, das ist ja kein Callcenter. Ich sitze alleine in diesem Büro, und es klingelt etwa zweimal in den zwei Stunden. Manchmal aber auch sechsmal oder keinmal.

Können die Leute nur in diesen zwei Stunden anrufen?

Martina: Ja, alle Aidshilfen bundesweit sind vernetzt, und egal aus welchem Bundesland man anruft, man wird an die zuständige Aidshilfe weitergeleitet. Es gibt tagsüber natürlich Hauptamtliche, die oft spezielleres Wissen haben und auch zu Beratungsgesprächen einladen. Genauso gibt es nur für Kölner eine Telefonberatung.

Warum rufen die Leute an?

Martina: Manchmal sind es Angehörige, die sich nicht trauen, ihre Verwandten selbst zu fragen, ob und wie man sich anstecken kann. Oder HIV-Positive, die Adressen von guten Ärzten benötigen. Manche, die in einer kritischen Situation sind und drei Monate auf den Test warten müssen, weil die Antikörper sich so spät bilden, wollen einfach darüber reden, um sich zu beruhigen. Häufig rufen die Leute an, um zu erfahren, ob sie sich angesteckt haben oder nicht, weil viele diese Grauzonen der Intimität nicht einschätzen können. Dann ist es auch einfach schön, wenn die Leute erleichtert sind und sagen: „Es ist so gut, dass es euch gibt.“

Wie bist du dazu gekommen, ausgerechnet dieses Ehrenamt zu übernehmen?

Martina: Ich habe ganz gezielt nach einer Aufgabe gesucht. Ich war total im Vordiplomstress, ich habe nur gelernt und wollte einfach mal was Richtiges machen. Vor allem etwas, was mit Menschen und später auch mit meiner Arbeit zu tun haben könnte. Ich bin dann zu einer Infoveranstaltung der Aidshilfe gegangen. Das hat mich überzeugt, denn dort wurde auch eine Einarbeitung und Betreuung geboten, statt die Ehrenamtler einfach mal machen zu lassen.

Wie lange wurdest du dann ausgebildet und auf die Aufgabe vorbereitet?

Martina: In drei Wochenendseminaren haben wir alles Mögliche über HIV und Aids gelernt. An ein paar weiteren Abenden wurden wir zu Telefonberatern ausgebildet. Dann haben wir noch ein paar Mal hospitiert. Als wir die ersten Male telefoniert haben, hat man dann bei uns hospitiert.

Hat es denn auch Vorteile für dein Psychologie-Studium, dass du das machst?

Martina: Ja, klar. Die Berater-Erfahrung bringt mir da schon viel. So ähnlich könnte ja auch mein Beruf später aussehen. Tatsächlich kann ich das Wissen aus dem Studium für diese Arbeit einsetzen, weil wir in der Uni auch Gesprächsführung hatten. Man lernt außerdem mit Menschen in verschiedensten Situationen und mit starken Gefühlen umzugehen. Zum Beispiel Leute, die aufgebracht oder traurig sind oder einem nicht zuhören wollen.

Fehlt dir dabei nicht die reale Nähe zu den Gesprächspartnern?

Martina: Einer unserer Ausbilder hat mal gesagt, dass man dem Gegenüber eigentlich recht nah ist, weil man ihm direkt ins Ohr spricht. Man ist nur auf das Zuhören und Reden konzentriert.

Was war bisher dein krassestes Erlebnis am Telefon?

Martina: Hm… Ich denke, dass ich das so genau gar nicht erzählen darf, weil wir die Anonymität der Anrufer wahren müssen und schließlich ja auch viele aus Köln bei uns anrufen. Obwohl – mein erster Anrufer ist mir im Gedächtnis geblieben. Es war eine Frau, die total aufgelöst war und richtig viel geweint hat.

Wie bist du dann damit umgegangen?

Martina: Es war ganz gut, dass ich da noch jemanden neben mir sitzen hatte, mit dem ich danach reden konnte. Ich habe halt die Fragen der Frau möglichst sachlich beantwortet. Es sind sehr intime Fragen, wenn man aber locker und sachlich fragt, kriegt man auch sachliche Antworten. Bei vagen Aussagen wie „Mein Penis war da unten, aber wir hatten keinen Sex“ muss man schließlich genauer nachfragen. Inzwischen habe ich da ein ganz gutes Gefühl entwickelt, die Balance zu halten zwischen Professionalität und Mitgefühl. Einmal im Monat haben wir auch ein Gruppentreffen, bei dem wir über Vieles reden und uns austauschen können.

Denkst du, du trägst durch deine ehrenamtliche Arbeit ein Stück dazu bei, das Thema Aids und HIV gesellschaftlich zu enttabuisieren?

Martina: Ja, irgendwie schon. Die, die anrufen, machen die Erfahrung, dass einer mal ganz normal und offen über diese Dinge reden kann. Allein das wirkt ja schon enttabuisierend. Im Freundeskreis redet man auch mal schneller über dieses Thema… (lacht). Wie oft ist das schon vorgekommen, dass Freunde zu mir gekommen sind und mich gefragt haben, ob sie sich auf diese oder jene Weise jetzt eigentlich angesteckt haben können oder nicht.

Was hältst du von solchen Behauptungen wie „Ich erkenne Aidskranke sofort“ oder dass man sich durch einen Händedruck anstecken kann?

Martina: Viele haben diese Art Restrisikodenken. Dieses Auf-Nummer-sicher-gehen-Verhalten lässt die Erkrankten aber total leiden. Eine Bekannte meinte einmal zu mir, ich solle in der Aidshilfe mal besser nicht aufs Klo gehen, wenn da auch Aidskranke seien.

Warum wird die Krankheit denn so tabuisiert?

Martina: Das hängt sicherlich damit zusammen, dass die meisten HIV mit Prostitution, Homosexualität und Drogen verbinden.

Hast du selber denn durch deine Aufgabe ein anderes Verhältnis zu HIV und Aids entwickelt?

Martina: Aber ja, ich habe durch diese Arbeit bei der Aidshilfe mein eigenes kleines Restrisikodenken abgebaut. Ich denke inzwischen auch, dass die Erkrankten sich nicht outen müssen, wenn sie nicht wollen. Ich finde auch die spielerische Umgangsweise der deutschen Aidshilfe, mit Kondomen gegen HIV und Aids zu werben, anstatt mit diesem Thema zu schocken, richtig super.

Würdest du gerne bei diesem Job bleiben?

Martina: Also, ich würde diese Beratertätigkeit gerne ausbauen, einfach weil das mit meinem Studium zusammenpassen würde. Eine Arbeit als Hauptamtliche, die persönliche Beratungen vornimmt, könnte ich mir gut vorstellen. Das ist alles in allem eine tolle Aufgabe.
Das Gespräch führte
Maria Bruske

Ehrenamt: Telefondienst am Abend



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