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«Zürich war der erste Aussenposten der Psychoanalyse»
Interview: Lukas Meyer-Marsilius.
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Peter Schneider, Zürich hat angeblich die höchste Dichte an Psychoanalytikern weltweit. Gibt es in Zürich spezielle Neurosen?
Das glaube ich nicht. Für Sigmund Freud war es wichtig, von Wien aus Fäden zu spinnen, um zu zeigen, dass die Psychoanalyse keine lokale Marotte war – eine zum überzüchteten Wiener Bürgertum passende, selbst zur Hysterie neigende Therapie. Die Exportfähigkeit der Psychoanalyse war für ihn Ausweis der Wissenschaftlichkeit seiner Theorie. Darum war es für ihn so wichtig, ins protestantische Zürich – und auch in die USA – zu expandieren. Durch den Kontakt zwischen Freud und C. G. Jung wurde Zürich zum ersten Aussenposten der Psychoanalyse. Hier konnte dank Jung und Eugen Bleuler, die als Ärzte an der Psychiatrischen Universitätsklinik Burghölzli arbeiteten, auch die Psychiatrie für die Psychoanalyse gewonnen werden. Und der Pfarrer Pfister verwendete die Psychoanalyse für seine pädagogischen Ambitionen. Von da an ist Zürich immer ein wichtiger Platz für die freudsche Analyse und natürlich auch für die Jungianer geblieben.
Und wie konnte sich das in den letzten 100 Jahren halten?
Die Psychoanalyse ist eine der Disziplinen, die sich nicht vor allem übers Akademische fortgepflanzt hat, sondern an der Universität immer einen eher marginalen Platz hatte. Sie hat sich immer über privat geführte Ausbildungsinstitute tradiert. Da war Zürich stark, alleine durch die Psychoanalytiker aus der ersten Phase hatte Zürich eine grosse Anziehungskraft. Heute gibt es immer noch das Freud-Institut und das Psychoanalytische Seminar.
Warum zwei verschiedene Institute?
Es gab Mitte der Siebzigerjahre eine Spaltung, als ein linker – oder sagen wir: sich im Sinne der 68er antiautoritär verstehender – Flügel sich löste vom (späteren) Freud-Institut, das in der internationalen Vereinigung verblieben ist. Das war aber kein inhaltlicher Streit, sondern es ging um Ausbildungsmodalitäten. Durch diesen linken Zweig hat das Psychoanalytische Seminar im Laufe der Jugendbewegung der Achtzigerjahre grossen Zulauf gekriegt, Zürich wurde mit Parin, Morgenthaler und Erdheim zum Zentrum der Ethnopsychoanalyse. Ausserdem gibt es – was auch nicht gerade häufig ist – eine psychoanalytische Weiterbildung an der Universität, die von Professorin Brigitte Boothe geleitet wird. Das trägt zur Anziehungskraft von Zürich für angehende Psychoanalytiker sicherlich bei. Und die Psychoanalytiker, die hier ausgebildet werden, haben nicht unbedingt Lust, irgendwo anders hinzugehen, weil Zürich als Stadt natürlich interessant ist.
Brigitte Boothe, die den Lehrstuhl für Klinische Psychologie innehat, wird bald emeritiert. Ist das ein Problem für die Psychoanalyse, wenn sie an der Universität nicht mehr vertreten ist?
Die Psychoanalyse verliert so ein universitäres Standbein und damit eine Vertretung gegenüber den künftigen Psychologen und Psychologinnen. Aber noch ist die neue Lehrstuhlbesetzung nicht geklärt. Der internationale Trend geht allerdings dahin, dass es immer weniger Lehrstühle für Psychoanalyse gibt, so auch an der Universität Bremen, wo ich als Privatdozent einer der letzten Mohikaner bin, die innerhalb der Psychologie noch Psychoanalyse lehren.
Was ist der allgemeine Stand der Psychoanalyse? Sie wird ja immer wieder für tot erklärt.
Es praktizieren in Zürich doch recht viele Psychoanalytiker. Und es hängt immer von der Gesundheits- und Versicherungsgesetzgebung ab. In Deutschland ist es so, dass die Psychoanalyse eines der Verfahren ist, für das die Krankenkasse zahlt, und zwar auch in der Länge, die Psychoanalysen brauchen. Es wird jetzt auch in der Schweiz die Frage sein, wie weit Psychotherapie zur Grundversicherung gehört, und ob dann die Psychoanalyse mit ihrem spezifischen Angebot wie in Deutschland eben auch zu den Anbietern gehören wird. Klar gibt es die einerseits die verbreitete Ansicht vom «Altmodischwerden» der Psychoanalyse, aber andererseits muss man sagen, dass die Psychoanalyse ihrerseits viele andere Psychotherapien infiltriert hat, sodass man nicht genau sagen, ob sie jetzt verschwindet oder sich auf unerwartete Art auch ausgebreitet hat.
Fänden Sie es begrüssenswert, wenn die Psychoanalyse in der Grundversicherung drin wäre?
Soweit sie sich als Krankenbehandlung versteht – ja. Aber im Unterschied zu anderen Therapieformen ist die Psychoanalyse eben auch Kulturtheorie.
Was hat die Psychoanalyse anderen Psychotherapien voraus?
Ihre Stärke ist, dass sie sich nicht mit ihren klinischen Anwendungen deckt. Sie ist eine Theorie des Psychischen überhaupt. Sie beschäftigt sich damit, wie dieses konflikthafte Psychische sich nicht nur in psychischen Krankheiten, sondern in allen kulturellen Phänomenen und in gesellschaftlichen Institutionen zeigt. Das wiederum wird ihr von anderer Seite als für die Klinik überflüssiger Ballast angekreidet.
Merkt man den Einfluss der Psychoanalyse denn auch ausserhalb dieser Schulen, in der Gesellschaft?
In der Schweiz ist die Psychoanalyse in der Öffentlichkeit sehr präsent. So etwas merkt man zum Beispiel, wenn in einer Diskussion über gesellschaftliche Themen aus psychoanalytischer Perspektive argumentiert wird. Und in den Geisteswissenschaften gehört die Psychoanalyse immer noch zum unverzichtbaren Bildungskanon. Da kann man nicht sagen, dass die Psychoanalyse auf dem Rückzug ist. (Bernerzeitung.ch/Newsnet)
Erstellt: 02.10.2012, 10:08 Uhr
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