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Zu schwer und trotzdem gesund
Das metabolische Syndrom
Wenn bei Übergewichtigen der Stoffwechsel entgleist, sprechen Mediziner vom metabolischen Syndrom. Dies ist keine eigenständige Krankheit, sondern eine Kombination von verschiedenen, miteinander zusammenhängenden Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes. Neben Übergewicht zählen Bluthochdruck, schlechte Blutfett- und hohe Blutzuckerwerte zu diesen Faktoren. Forscher gehen davon aus, dass der Ausgangspunkt für das metabolische Syndrom in einer gestörten Leberfunktion liegt. Bei zu vielen Kalorien und Bewegungsmangel reagiert das Organ nur noch schlecht auf das Zuckerregulationshormon Insulin und lagert Fett ein. In der Folge können komplexe, bis jetzt noch nicht vollständig verstandene Veränderungen des Stoffwechsels eintreten, die letztlich zu einer Störung der Zucker- und Fettregulation im ganzen Körper führen. (fes)
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Mästen im Dienst der Wissenschaft: Obwohl die Versuchsteilnehmer bereits rund 100 Kilogramm schwer und mit einem Body-Mass-Index von 34 bis 35 stark fettleibig waren, sollten sie mehr statt weniger essen. Ihren bereits sehr nahrhaften Speiseplan stockten sie so lange um täglich 1000 Kalorien auf, bis ihr Körpergewicht um sechs Prozent gestiegen war. Um dies zu erreichen, schickten Forscher sie zum Essen in Fast-Food-Ketten wie Burger King, Kentucky Fried Chicken oder McDonald’s – nicht weil es dort besonders schmecken würde, sondern weil die Portionen immer gleich gross und mit exakten Inhaltsangaben versehen sind.
Einfach war das Unterfangen nicht. «Leute zu einer Gewichtszunahme zu bringen, ist ähnlich schwierig, wie sie zum Abnehmen zu bewegen», meint Elisa Fabbrini, Mitautorin der im «Journal of Clinical Investigation» veröffentlichten Studie. Dank der Unterstützung einer Diätassistentin erreichten dennoch die meisten die Gewichtsvorgabe innerhalb von rund sieben Wochen. Nach der Studie mussten die zusätzlichen Pfunde allerdings wieder weg. Ohne anschliessendes Abnehmprogamm wäre das Experiment kaum von einer Ethikkommission bewilligt worden.
Nicht zu viel Leberfett
Das ungewöhnliche Ernährungsexperiment von Forschern der Washington University School of Medicine in St. Louis (USA) hatte das Ziel, die Stoffwechselvorgänge bei stark Übergewichtigen zu entschlüsseln. Dabei stand eine Gruppe im Fokus: die gesunden Adipösen, auf Englisch auch «happy obese» genannt. Was wie ein Widerspruch klingt, beobachten Fachleute seit einigen Jahren: Betroffene, die trotz starkem Übergewicht gesunde Stoffwechselwerte haben. Beim Ernährungsexperiment gehörten 12 der insgesamt 20 Probanden zu dieser Gruppe der «happy obese». Anders als die meisten Adipösen hatten sie normale Blutfettwerte, keinen erhöhten Blutdruck und auch nicht zu viel Leberfett. Und sie hatten eine ähnlich gute Insulin-Empfindlichkeit wie Normalgewichtige – ein wichtiger Indikator für einen gesunden Stoffwechsel.
Die guten Werte änderten sich auch nicht, als diese Probanden im Verlauf des Versuchs an Gewicht zulegten. Nicht so bei den den restlichen acht Teilnehmern, typischen Adipösen, bei denen sich der Stoffwechsel deutlich verschlechterte. «Ein Teil der Adipösen scheint vor den nachteiligen Stoffwechseleffekten einer moderaten Gewichtszunahme geschützt zu sein», glaubt Studienleiter Samuel Klein. Aufgrund der Studienresultate vermutet er, dass es den gesunden Adipösen gelingt, zusätzliche Kalorien besser zu verarbeiten und in Hautfettgewebe statt in die Leber einzulagern.
Wie viele der stark Übergewichtigen zu den «Glücklichen» gehören, kann die aktuelle US-Studie natürlich nicht beantworten. Sie ist zu klein und eigentlich vor allem wegen der ungewöhnlichen Versuchsanordnung bemerkenswert. Grössere Untersuchungen kommen jedoch zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Samuel Klein geht von rund einem Drittel aller Adipösen aus, die trotz Übergewicht ein vorteilhaftes Stoffwechselprofil haben. David Fäh, Mediziner am Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich, hält dies allerdings für viel zu optimistisch. Er schätzt, dass rund jeder zehnte Übergewichtige trotz allem einen gesunden Stoffwechsel hat.
Vernachlässigter Lebensstil
Unklar ist auch, ob die gesunden Adipösen tatsächlich auch kein erhöhtes Risiko für typische Übergewichtsfolgen wie Diabetes, Herzinfarkt oder Schlaganfall haben. Eine vor zwei Jahren im «American Journal of Clinical Nutrition» publizierte italienische Studie, die 1700 Probanden während fast einem Jahrzehnt verfolgte, kam beispielsweise zum Schluss, dass das Risiko für Diabetes und Herzinfarkte bei allen Fettleibigen ähnlich hoch ist. «Möglicherweise verschlechtern sich die Risikowerte bei den sogenannt gesunden Adipösen einfach langsamer, was dann in Kurzzeit-Studien nicht erfasst wird», sagt Fäh. Allerdings finden andere Langzeituntersuchungen sehr wohl positive Effekte auf Lebenserwartung und Krankheitsanfälligkeit.
Und wie erklärt sich, dass die einen Übergewichtigen bessere Stoffwechselwerte haben als andere? Die Vererbung dürfte eine Rolle spielen. Aber vielleicht sind die Zusammenhänge auch banaler: Es könnte sein, dass Betroffene schlicht gesünder leben. Das heisst, sie bewegen sich viel, ernähren sich gesund und rauchen nicht. «Der Lebensstil ist ein wichtiger Aspekt, der in Studien aber oft nicht objektiv berücksichtigt werden kann», sagt Fäh.
Der Mediziner glaubt denn auch, dass man es ein Stück weit selber in der Hand hat, zu den gesunden Übergewichtigen zu gehören. «Der Gewichtsreduktion wird häufig eine zu hohe Priorität eingeräumt», sagt Fäh. «Langfristig sind die Erfolgsaussichten jedoch oft bescheiden.» Trotzdem lohne es sich, wenn Betroffene unabhängig vom Gewicht ihr Bewegungs- und Ernährungsverhalten ändern würden. Dies verbessere den Stoffwechsel und senke so das Risiko für Folgekrankheiten, so Fäh. «Am wichtigsten ist es, nicht weiter zuzunehmen.»
Bei all der Forschung zu den gesunden Adipösen bleiben noch viele Fragen offen. Um die Sache noch komplizierter zu machen, sind die Wissenschaftler auch noch auf das Gegenstück zu den «happy obese» gestossen: die Normalgewichtigen mit einem ungesunden Stoffwechsel wie Übergewichtige. Fäh findet, dass ihnen mehr Beachtung geschenkt werden müsste. «Betroffene fallen durch die Maschen», sagt er. Weil man es ihnen von aussen nicht ansieht, werden ihre Risikofaktoren bei Routineuntersuchungen oft vernachlässigt. Dabei bräuchte es gar nicht viel. «Eigentlich würde es genügen, auch bei äusserlich Gesunden den Blutdruck zu messen», sagt Fäh. (Tages-Anzeiger)
Erstellt: 13.01.2015, 18:49 Uhr
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