Der Artikel erschien am 03.01.2014, um 06:00
Ein Spinne im Netz. Foto: dpa
Von Katja Bär
Psychologen des Otto-Selz-Instituts für Angewandte Psychologie der Universität Mannheim haben herausgefunden, dass Menschen mit einer Angstphobie vor Spinnen (Arachnophobiker) Spinnen anders sehen als gesunde Menschen. Es ist die erste Studie, die wissenschaftlich belegt: Wie die Welt für Angstpatienten aussieht, liegt im Auge des Betrachters.
Pro Sekunde strömen Millionen von Sinnesreizen auf den Menschen ein. Nur einen Bruchteil davon nehmen wir bewusst wahr. Welche, entscheidet unser Gehirn. Evolutionsbedingt filtert es vor allem jene Reize heraus, die für unser Überleben wichtig sind - wichtig sind Reize, die Gefahr signalisieren. Nur so schaffen wir es, in Gefahrensituationen blitzschnell zu reagieren.
Dieses System gilt in besonderem Maße für Menschen mit Phobien, sei es mit einer Angst vor engen Räumen, vor dem Autofahren oder vor Tieren wie großen Hunden oder Spinnen. Sie reagieren heftiger auf phobierelevante Reize als Menschen ohne diese Ängste. Personen mit Spinnenphobie berichten zudem häufig, dass sie die Tiere größer, beeindruckender und bedrohlicher wahrnehmen.
Dass das nicht alles nur Einbildung ist, haben die Mannheimer Wissenschaftler jetzt bewiesen. "Wir können mit unserer Studie belegen, dass phobierelevante Reize die visuelle Verarbeitung im Gehirn steuern. Es handelt sich bei den An gaben der Patienten also weder um Übertreibung noch um Einbildung", erklärt Professor Dr. Georg W. Alpers, Inhaber des Lehrstuhls für Klinische und Biologische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Mannheim. "Alles deutet darauf hin, dass individuelle Unterschiede zwischen Menschen - in unserem Experiment waren es zwei Personengruppen - beeinflussen, wie sie ihre Umwelt wahrnehmen."
In ihrer Studie haben die Mannheimer Psychologen Dr. Antje Gerdes und Professor Georg W. Alpers jeweils zwanzig Menschen mit Spinnenphobie und nichtängstliche Kontrollprobanden getestet. Dazu haben sie mit der Methode der so genannten binokularen Rivalität gearbeitet, bei der über ein Stereoskop jeweils auf das linke und das rechte Auge zwei unterschiedliche Bilder projiziert werden. Im Experiment war es das Bild einer Spinne oder einer Blume gepaart mit dem neutralen Bild einer geometrischen Form.
"Es ist nicht möglich, dauerhaft zwei verschiedene Bilder gleichzeitig wahrzunehmen. Sie stehen in einem Wettstreit, den das Gehirn zugunsten eines Bildes entscheidet - ohne dass wir darauf bewusst Einfluss nehmen können", erklärt Prof. Alpers. Während ein Bild zeitweise dominiert, wird das andere unterdrückt und für die Wahrnehmung unzugänglich. Kurzum: Es wird nicht gesehen. Mit ausgeklügelten Methoden haben die Forscher weiter belegt, dass dem Bericht der Probanden, was sie sehen, getraut werden kann. Dazu präsentierten sie unterschiedliche Mischbilder und simulierten damit den Wettstreit der Bilder in den eigentlichen Testdurchläufen.
Das Forschungsergebnis ist eindeutig: Menschen mit Angst nehmen das Bild der Spinne früher, länger und damit dominanter wahr als gesunde Probanden. In der Hälfte aller Durchgänge sahen die Phobiker zuerst das Spinnenbild. Das ist doppelt so oft wie bei gesunden Kontrollprobanden. Außerdem sahen sie es im Schnitt um die Hälfte länger. Bei der Variante mit dem Blumenbild gab es bei ängstlichen und nichtängstlichen Probanden hingegen keine signifikanten Unterschiede in der Wahrnehmung.
Die Mannheimer Wissenschaftler führen das Ergebnis auf die emotionale Bedeutung der Spinnen für die Patienten zurück. "An der Instanz im Gehirn, wo entschieden wird, welches Bild Einzug in die bewusste Wahrnehmung erhält, spielen Emotionen wie Angst offenbar eine große Rolle", erläuterte Antje Gerdes. "Das Spinnenbild gewinnt bei Menschen mit einer Phobie dadurch früher und häufiger den Wahrnehmungswettstreit ge- gen das neutrale Bild." Dies ist den Mannheimer Forschern zufolge die erste Studie, die belegt, dass unterschiedliche Patientengruppen relevante Merkmale der Welt unterschiedlich sehen. "Alle Probanden bekommen dieselben Bilder auf die Netzhaut projiziert. Je nachdem, welche Bedeutung sie für den Probanden haben, werden sie im Wahrnehmungsapparat jedoch unterschiedlich verarbeitet. Das ist eine phänomenale Leistung des Gehirns", unterstrich Prof. Alpers.
Dieser Befund sei auch für die therapeutische Praxis von großer Bedeutung, fügte Dr. Gerdes hinzu: "Unsere Ergebnisse können vielen Therapeuten dabei helfen, ein größeres Verständnis für diese Krankheit aufzubringen. Die Patienten übertreiben nämlich wirklich nicht, wenn sie davon berichten, wie bedrohlich sie Spinnen wahrnehmen. Wir haben in unserer Studie gezeigt: Wenn ein Mensch sich vor etwas sehr stark fürchtet, hinterlässt das bei ihm eine andere Wahrnehmung."