Aggression hat viele Gesichter. Sie kann sich auf Gegenstände richten, andere Menschen oder auch gegen sich selbst. Jemanden beschimpfen, schlagen, verleugnen, bestehlen, Gerüchte über ihn in die Welt setzen oder jemandem nicht zu helfen, obwohl man die Möglichkeit dazu hätte, sind nur einige der Möglichkeiten, anderen bewusst Schaden zuzufügen.
Die Gründe für aggressives Verhalten sind vielfältig und im Wirrwarr einer konkreten Situation oft nicht klar erkennbar. Forscher beschäftigen sich seit Jahrzehnten damit, die Bedingungen, Auslöser und Folgen menschlicher Aggression zu sortieren und erklärbar zu machen.
So weiß man, dass Aggression gegen einen anderen Menschen umso wahrscheinlicher wird, je wütender man ist und je mehr man eine konkrete Person als Auslöser dafür verantwortlich macht. Wut kann immense Energien freisetzen – und im schlimmsten Fall endet eine solche Auseinandersetzung tödlich.
Frustration und Provokation lösen Ärger aus
"Weltweit sterben jedes Jahr 1,43 Millionen Menschen an den Folgen von Gewalt", sagte Ute Habel vom Universitätsklinikum in Aachen zum Auftakt der Symposiums "Aggression und Impulsivität aus neurobiologischer Perspektive" auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde in Berlin.
Die Psychologin beschäftigt sich vor allem damit, was genau im Gehirn passiert, wenn Menschen aggressiv werden. Sie teilt Gründe für Aggressivität in zwei Typen ein: "Aggression lässt sich sowohl durch Frustration als auch durch Provokation auslösen", sagte sie.
Um das zu untersuchen, ließ sie in einer Studie Versuchspersonen in einem Magnetresonanztomografen aus durcheinandergewürfelten Buchstaben Wörter bilden und zahlte ihnen pro Wort 50 Cent. Allerdings war das manchmal überhaupt nicht möglich: Je länger der Versuch dauerte, desto weniger Wörter ließen sich tatsächlich aus den Buchstaben bilden.
Habel frustrierte die Probanden also absichtlich, sorgte aber dafür, dass sie sich selbst dafür verantwortlich fühlten. "Sie müssen sich mehr anstrengen; andere lösen diese Aufgaben ohne Probleme", bekamen die Teilnehmer zu hören, wenn sie sich ärgerten.
Wut erleichtert impulsives Handeln
In einer zweiten Studie sollten Teilnehmer die gleiche Aufgabe lösen, jedoch wurde ihnen für jede falsche Antwort 80 Cent abgezogen. In diesem Fall provozierte nicht das eigene Versagen den Ärger, sondern die Bestrafung durch einen anderen Menschen.
Dem Gehirn war der Unterschied allerdings ziemlich egal, es reagierte auf die Frustration und auf die Provokation jeweils gleich. Zum einen reduzierte sich die Aktivität in einem Teil des Gehirns direkt hinter der Stirn.
Dieses ACC genannte Areal ist eine Art Konfliktmanager und dafür zuständig, Probleme zu melden und zu lösen. Gleichzeitig kontrolliert und reguliert es unsere Reaktionen – eine verminderte Aktivität bedeutet also höhere Bereitschaft zu impulsivem Verhalten.
Dagegen erhöhte sich die Aktivität der Amygdala, auch Mandelkern genannt. Sie hat unter anderem die Funktion, Bedrohungen schnell zu erkennen und Abwehrreaktionen einzuleiten. Angst und Aggression sind daher beide eng mit einer Aktivierung verknüpft.
Im Kampf werden Gefühle unterdrückt
Wenn aus der anfänglichen Wut dann aber aggressives Verhalten wird, ändert sich das Muster, wie Habels Kollege Klaus Mathiak zeigen konnte. Er schaute Versuchsteilnehmern dabei zu, wie sie sich im Magnetresonanztomografen bei Ballerspielen gegen ihre Gegner verteidigten. Dabei fand er heraus, dass die Amygdala nun wiederum fast ausgeschaltet wurde.
"Ich will ja nicht mit Angst reagieren, sondern mit guter kognitiver Kontrolle", erklärte Mathiak den Befund. Stattdessen wird dann der vormals deaktivierte ACC wieder aktiv, und zwar vor allem jene Teile, die bei der Risikovorhersage helfen, Konsequenzen von Fehlern vorwegnehmen und Problemlösungen vorantreiben.
Gefühle werden also bei der Ausübung von Gewalt weitgehend unterdrückt. Und noch eine wichtige Entdeckung machte Mathiak: Ein Erfolgserlebnis, das mit Gewalt zusammenhängt, wird im Gehirn anders gespeichert als eines, das ohne Gewalt entstanden ist. Wir lernen also, wann Gewalt zum Erfolg führt – und wann nicht.
Gewalt als Erfolgsstrategie
Wer als Kind oder Jugendlicher häufiger die Erfahrung macht, dass Gewalt eine erfolgreiche Strategie darstellt, seine Ziele zu erreichen, wird sie so schnell nicht wieder aufgeben. Das gilt besonders dann, wenn das Kind wenige Alternativen zu dieser Strategie kennengelernt hat.
Individuelle Eigenschaften haben großen Einfluss auf die Bereitschaft, auf Aggression Gewalt folgen zu lassen: erlernte Strategien, kulturelle Werte und Einstellungen gegenüber anderen, aber auch die jeweilige Breite an Fähigkeiten und bestimmte Persönlichkeitszüge wie Risikobereitschaft, geringes Selbstwertgefühl oder Extraversion spielen eine Rolle.
Kommen diese Eigenschaften mit potenziell frustrierenden oder provozierenden Alltagssituationen zusammen, zeigen sich erhebliche Unterschiede: Was für den einen beleidigend ist, kann für den anderen eine Banalität sein.
Anonymität erleichtert Aggression
Auch die genaue Beschaffenheit der Situation ist wichtig. Je anonymer das Umfeld und je geringer die möglichen Konsequenzen, desto mehr wird Aggressionen freier Lauf gelassen. Beispiel Straßenverkehr: Hier kommen Zeitdruck, Anonymität und eine Vielzahl frustrierender oder provozierender Situationen zusammen.
Ein gewisses Maß an Aggression ist sinnvoll; es dient dem Selbstschutz und hilft dabei, eigene Wünsche und Bedürfnisse durchzusetzen und sich abzugrenzen. Menschen, deren Aggressionspotenzial aber weit über dem ihrer Mitmenschen liegt, laufen Gefahr, durch geplante oder unkontrollierte Gewaltausbrüche zu Straftätern zu werden.
Drei Typen bei Straftätern
Der Hirnforscher Gerhard Roth von der Universität Bremen und bis 2011 Präsident der Studienstiftung des deutschen Volkes, unterscheidet dabei drei verschiedene Typen. Die erste Gruppe ist jene, die in ihrer Sozialisation gelernt hat, dass Gewalt für sie eine Erfolgsstrategie ist.
Die zweite Gruppe sind Menschen, die sich schnell bedroht oder abgelehnt fühlen, und ihre Impulse darauf nur sehr schwer kontrollieren können. Laut Roth fallen in diese Kategorie 70 Prozent aller Gewalttäter.
Die dritte und letzte Gruppe sind die sogenannten Psychopathen: Sie werden geplant gewalttätig und handeln dabei oft besonders brutal. Im Gegensatz zu anderen empfinden diese Menschen kein Mitgefühl – sie leiden nicht unter Schuldgefühlen und bereuen ihre Taten in aller Regel nicht.
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