Für die meisten Menschen gibt es ihn wohl nie: den richtigen Moment zum Abschiednehmen. Wer einen geliebten Menschen verliert, wird von einer Wucht an Gefühlen übermannt, die er vorher nicht mal erahnen konnte. Dabei gibt es nicht die eine Trauer, kein Richtig oder Falsch. Jeder trauert anders, und auch keine tiefe Trauer zu spüren, ist kein Tabu. „Manchmal fühlen sich Menschen schlecht, weil sie nicht besonders traurig sind. Aber auch das ist normal. Es besteht kein Zwang zur Trauer“, sagt die Psychologie-Professorin Dr. Rita Rosner.
Die Trauer in Phasen strukturieren
Damit Trauernde sich an einem „Wegweiser“ festhalten können, seien Modelle hilfreich, die Trauer in Phasen strukturieren. Es gibt verschiedene Modelle, eines ist das von der Psychologin und Trauerforscherin Verena Kast. Kast beschreibt vier Phasen der Trauer. In der erste Phase „Nicht wahrhaben wollen“ sind viele Menschen wie erstarrt, fast schon apathisch. Dieser Zustand gleicht einem Schock, es ist einfach unvorstellbar, dass der Mensch nicht mehr da ist. Darauf folgt die Phase der „aufbrechenden Emotionen“. Ganz unterschiedliche Gefühle wie Wut, Angst oder Schmerz dringen hier hervor. „Suchen und sich trennen“ zeugt von einer starken gedanklichen Auseinandersetzung mit der gemeinsamen Vergangenheit. Manche Menschen führen in dieser Phase regelrecht Zwiegespräche mit dem Verstorbenen. Einen neuen „Selbst- und Weltbezug“ lernen Trauernde in der letzten Phase. Der Verlust soll hier bestenfalls soweit akzeptiert sein, dass man den Verstorbenen „in sich trägt“, aber das Loslassen gelingt.
Im Zentrum für Kinder- und Jugendtrauerarbeit lernen Mädchen und Jungen, wie sie schwere Schicksalsschläge verarbeiten können.
So schlüssig Phasenmodelle klingen, sie erheben keinen Anspruch darauf, dass alle Menschen die Seiten der Trauer so erleben. „Die Phasenmodelle sind empirisch nicht nachgewiesen. Dies liegt aber auch daran, dass sie methodisch schwer nachzuweisen sind“, sagt Rita Rosner. Trauerphasen verlaufen zudem nicht klar voneinander abgegrenzt, sondern eher wellenförmig.
Wenn Menschen unter einer komplizierten Trauer leiden
In einem Punkt ist sich die Trauerforschung aber einig: Es gibt Verläufe, die kompliziert sind und professioneller Hilfe bedürfen. Doch ab wann leidet man unter einer komplizierten Trauer? Rosner beschreibt es als eine Stagnation, in der sich Betroffene befinden. „Wenn man länger als ein Jahr stark leidet und es nicht besser wird, sondern eher schlimmer. Wenn es so schlimm ist, dass man seine täglichen Aufgaben nicht mehr bewältigen kann.“ Die Wahrscheinlichkeit, dass der Verlauf kompliziert werde, sei manchmal höher, wenn der Tod eines geliebten Menschen plötzlich eintrete. Trauer ist ein stark reglementierter Bereich, sagt Rita Rosner. Die Kultur prägt das ganz persönliche Trauerverhalten des Menschen. Einige Grundsätze seien aber mittlerweile von der psychologischen Forschung aufgehoben worden.
„Die verzögerte Trauer gibt es so nicht“
Den Ratschlag, dass man am besten sofort und heftig trauern müsse, damit sich nichts aufstaue, könne man so nicht mehr vertreten, sagt die Psychologin. „Die verzögerte Trauer gibt es so nicht. Wenn dann ist das ein seltenes Phänomen.“ Vielmehr sei heute klar, dass es einfach Menschen gibt, die so widerstandsfähig sind (resilient), dass sie einfach nicht stark trauern. Auch Ablenken sei völlig in Ordnung, solange es einen gesunden Wechsel zwischen Verarbeitung und normalen Weiterleben gebe.
In vielen Städten und Gemeinden, gibt es Trauer- und Selbsthilfegruppen, die Betroffene unterstützen.
Zu finden sind die Trauergruppen auf der Internetseite
http://www.selbsthilfenetz.de
Unter der Suchfunktion „Finden“ werden mit dem Stichwort „Trauer“ die entsprechenden örtlichen Gruppen aufgelistet.
Biologisch gesehen ist Trauern auf den ersten Blick nicht vorteilhaft. Wenn wir an unsere Vorfahren zurückdenken, so wäre ein trauernder Mensch in der Steinzeit leichte Beute und würde schlicht verhungern. Auch heute bedeutet tiefe Trauer eine Schwächung des Körpers. Trotzdem hat sich die Trauer in der Evolution durchgesetzt. Rita Rosner erklärt dies mit dem Bindungsverhaltenssystem, das angeboren ist. Die Bindung zu den Eltern ist überlebensnotwendig. Wir spüren instinktiv eine Abhängigkeit zu Bindungspersonen. Deswegen protestieren kleine Kinder, wenn die Mutter weggeht – und diese Bindung ist nicht auflösbar. Sie bleibt, auch wenn der Mensch nicht mehr lebt. Dies sei auch der Unterschied zwischen Menschen aus der engen Familie, die sterben oder Freunden und Kollegen, von denen wir Abschied nehmen müssen. „Die Trauer ist eine andere“, so Rosner.
Unterstützen und Fürsorge zeigen
Viele Mitmenschen fühlen sich hilflos gegenüber dem Trauernden. Wie soll man ihm helfen, mit ihm umgehen? „Jeden in seiner eigenen Art der Trauer lassen und darin unterstützen“, sagt die Psychologin. Menschen die akut trauern, solle man unterstützen und Fürsorge zeigen – aber nicht versuchen umzukrempeln. Erst wenn es nicht besser wird, der Zustand sich immer weiter verschlechtert, sei professionelle Unterstützung wichtig.
In den Familien kommt es zu Zerwürfnissen, weil jeder anders trauert. „Der eine möchte die Sachen des Verstorbenen aufbewahren, der andere möchte am liebsten alles, was ihn erinnert, verbannen“, sagt Rita Rosner. Auch Kindern solle erklärt werden, was passiert und den Tod nicht mystifizieren. „Man sollte ihnen einen kindgerechten Abschied ermöglichen“. Das heißt auch, wenn das Kind es möchte, es mit auf die Beerdigung zu nehmen. Ihm zu erklären, dass Weinen und Trauern völlig normal ist.