Sie ging zu einem Psychotherapeuten, weil sie nicht wusste, warum sie auf weißem Bettzeug so schlecht schlafen kann. Sie will dem Therapeuten kaum etwas von sich erzählen, aber sie zeigt ihm ein Foto von sich als kleines Kind mit ihrer Mutter, gut gekleidet mitten im Krieg. Und sie sagt, dass sie sich aus irgendeinem seltsamen Grund an eine Treppe erinnere.
Damals ist Mia Roth schon über 50 Jahre alt. Eine Geschichtsprofessorin, die bis dahin keine Fragen an ihre eigene Geschichte gestellt hat: die eines jüdischen Mädchens, das unter der deutschen Besatzung mit Mutter und Großmutter unbehelligt Zagreb verlässt, über Split nach Rom zieht, nach dem Krieg zum Onkel nach London geht und von dort mit der Mutter nach Südafrika. Nach ihrem Vater hat sie nie gefragt.
Ihr Therapeut tut nichts anderes, als sie in einer leichten Trance vor ihrem geistigen Auge eine Treppe mit 20 Stufen hochgehen zu lassen und zu schauen, was geschieht. Da kommt die Erinnerung zurück: an den Raum, das Bett und die Art, wo und wie der Vater zu Tode kam. Wie die Mutter sie festhält und sie sich in einem Vorhang vergräbt.
In der Therapie öffnete sich eine Tür
Mehr sei hier nicht darüber gesagt. Denn das Buch, das Mia Roth darüber geschrieben hat, ist auch eine sehr spannende, persönliche Geschichte, die einen die Zeitläufe mehr verstehen lässt ("Überleben durch Vergessen, Die jüdische Geliebte, der Retter von der Gestapo und die kleine Zeugin", Verlag Carl Auer, 2015).
Mia Roth überlebte in einem bestimmten Ich-Zustand, einem Ego-State, wie Psychologen sagen (K. Fritzsche, W. Hartman, "Einführung in die Ego-State-Therapie", Verlag Carl Auer, 2010): einen, in dem sie nicht fragt, funktioniert und Steven Spielberg für seine Holocaust-Dokumentation eine Geschichte erzählt, die nicht stimmen kann, an die sie aber selbst glaubt. Das ist bei schwer traumatisierten Menschen oft so.
Das verstörte, erschrockene Kind war von ihrem Alltagszustand abgetrennt. Es hatte seine Erinnerungen tief in einer Kammer der schrecklichen Erlebnisse versteckt.
In der Therapie öffnete sich eine Tür. Ihr Therapeut Woltemade Hartman, einer der genannten Autoren, half ihr, sich ihren Erfahrungen zu stellen.
Erkenntnisse der Traumatherapie
Denn wer Schreckliches erlebt hat, kann nur zu sich selbst finden, wenn er das tut. Das sagen alle Erkenntnisse der Traumatherapie. Hartmann kommentiert es in einem Nachwort zu dem Buch seiner Patientin so: "Wir müssen wissen, woher wir kommen, um zu erkennen, wohin wir gehen." Wer das in einer bewegenden Geschichte nachvollziehen möchte, sollte das Buch von Mia Roth lesen.