Was zahle ich zuerst zurück? Die Psychologie des Schuldenmanagements

Wer Schulden hat, ist damit nicht allein. Gemäss dem schweizerischen Bundesamt für Statistik haben gut 14 Prozent der schweizerischen Haushalte mindestens einen Konsumkredit aufgenommen. Bei der Hälfte dieser Haushalte betragen die Verbindlichkeiten über 10.000 Franken.

Nehmen wir also theoretisch an, Sie gehören zu jenen Schweizerinnen und Schweizer, die 10.000 Franken Schulden zu tilgen haben. Und nehmen wir auch an, diese verteilen sich auf drei verschiedene Gläubiger: Einem schulden Sie 1000 Franken zu 4 Prozent Zinsen, einem anderen 2000 Franken zu 8 Prozent Zinsen und einem dritten 7000 Franken zu 16 Prozent Zinsen.

Wenn Ihnen pro Monat 1000 Franken zur Verfügung stehen, um diese Schulden zu tilgen: Welchem Schuldentopf widmen Sie die grösste Aufmerksamkeit, um insgesamt so schnell wie möglich alle Schulden loszuwerden?

Die rationale Antwort auf diese Frage ist einfach: Die grösste Summe mit den höchsten Zinsen muss vorrangig bedient werden. Alles andere wäre ineffizient und Geldverschwendung.

Systemfehler beim Rückzahlen von Schulden

Doch der Mensch handelt in vielen ökonomischen Angelegenheiten nicht rational. So hat auch eine Forschergruppe um den Verhaltensökonomen Dan Ariely beobachtet, dass viele einen anderen Weg wählen, um mit einer Schuldensituation ähnlich der oben beschriebenen zurecht zu kommen. Sie zahlen zuerst den geringsten Betrag mit den niedrigsten Zinsen zurück.

Die Forscher nennen dieses beobachtete Phänomen “Debt account aversion”. Es ist typisch für viele Menschen, die mehrere Kreditkonten gleichzeitig bedienen müssen. Der Weg zur Schuldenfreiheit ist für sie oft lange und teuer – da erscheint es ihnen als grosse Erleichterung, wenn ein Posten frühzeitig getilgt werden kann.

Hauptsache, einfach und überschaubar

Der Grund dafür ist im Umstand zu suchen, dass Menschen ihr Leben gerne einfach und überschaubar haben. Wenn eine grosse Aufgabe zu komplex wird, teilen sie sie in mehrere kleinere Teile, mit denen sie leichter zurecht zu kommen glauben. Ein kleiner Schuldenberg weniger lässt zwar die Welt überschaubarer erscheinen, doch gleichzeitig muss mehr Geld über einen längeren Zeitraum zurückgezahlt werden.

Die Frage, welche Schulden Menschen zuerst zurückzahlen, ist für Politik und Finanzdienstleister gleichermassen relevant. Für die Politik, um Rahmenbedingungen zu schaffen, die das Finanzverhalten des Einzelnen verbessern können. Für Finanzdienstleister, weil sie bessere Produkte anbieten können, wenn sie wissen, wie ihre Kunden mit Darlehen umgehen.

Aus den Ergebnissen einer der Versuchsanordnungen von Ariely und Kollegen lässt sich ableiten, wie man Kunden zu effizienterem Schuldenmanagement verhilft: Wenn Menschen klar vor Augen geführt wird, welche Geldsummen hinter den diversen Zinssätzen stecken und wie sich diese über die Jahre entwickeln, entscheiden sie sich eher für effiziente Rückzahlungsstrategien anstatt für den kleinsten und am leichtesten zu bedienenden Schuldentopf. Es zahlt sich also aus, abstrakte Berechnungen in greifbare Zahlen umzurechnen.

Auch kleine Erfolge führen ans Ziel

Trotzdem gilt: Das schnelle Erreichen von kleinen Zielen muss dem Gesamterfolg nicht schaden. Oft steigert sich die Motivation, ein Ziel zu erreichen sogar, wenn wir dem Ziel nur einen kleinen Schritt näher kommen. Zum Beispiel wissen wir aus den Experimenten zum Bonusmarkenprogramm eines Coffee Shops, dass Kunden die zehn erforderlichen Marken für einen Gratis-Kaffee dann am schnellsten beisammen haben, wenn sie eine 12er-Karte bekommen, in denen bereits zwei Marken kleben. Das motiviert sie stärker als eine leere 10er-Karte.

So gesehen ist es für manche Menschen vielleicht gar kein Nachteil, wenn sie beim oben eingeführten Beispiel zuerst die niedrig verzinsten 1000 Franken zurückzahlen. Der Erfolg kann sie dazu bewegen, auch bei den grösseren Brocken nicht das Ziel aus den Augen zu verlieren.

Schlagworte: Behavioral Finance, Debt Account Aversion, Schulden, Schuldenmanagement, Verhaltensökonomie

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