Zwei Kolleginnen im gleichen Betrieb. Beide haben bereits mehrere Phasen der „Rationalisierung“ im Unternehmen überstanden, erlebten, wie die Belegschaft schrumpfte und dennoch die gleiche Fülle an Arbeit erledigt werden musste. Auch die Aufgaben für die beiden Frauen sind gewachsen. Nach Feierabend müssen Haushalt und Kinder versorgt werden. Zeit für sich selbst bleibt kaum. Auch die Beziehung mit den Ehepartnern leidet unter dem permanenten Druck.
Zwei Menschen: Zwei Schicksale
Eine der Frauen steckt diesen Stress dennoch ganz gut weg, schafft es sogar, die Mehraufgaben für sich als Ansporn zu sehen. Die andere hingegen bricht unter der Dauerbelastung zusammen, erleidet einen chronischen Erschöpfungszustand, heute allgemein als „Burn Out“ bekannt.
Ein anderes Beispiel: Zwei junge Männer hatte beide eine äußerst schwierige Kindheit. Ihr Vater trank regelmäßig und schlug alkoholisiert öfter auch einmal zu. Einer der beiden hat das scheinbar folgenlos überstanden, er ist berufstätig, hat Familie, führt ein unauffälliges Leben. Der andere wiederum hat die schrecklichen Erlebnisse der frühen Jahre nicht verarbeiten können; er wurde selbst zum Alkoholiker.
1. Sport: Stress setzt Energie im Körper frei, die abgebaut werden will. „Bewegung ist die einzige Möglichkeit, damit sich die Energie nicht gegen den Körper richtet“, erklärt Diplom-Psychologe Lutz Hertel, der Vorsitzender des Deutschen Wellnessverbandes ist. Gut gegen Stress eignet sich Ausdauersport wie Laufen oder Fahrradfahren. „Bloß kein Mannschafts- oder Wettkampfsport, denn das ist wieder Stress, weil es um das Gewinnen geht.“
Zweimal jeweils ähnliche Vorgeschichten, zweimal mit ganz unterschiedlichen Folgen. Warum das so ist, warum einige Menschen seelische Belastungen, Stress, Dauerdruck oder traumatische Erlebnisse besser verkraften, während andere psychisch krank werden – die Ursachen dafür sind noch nicht geklärt.
Um diese Zusammenhänge zu ergründen und zu untersuchen, haben die Johannes Gutenberg-Universität und die Universitätsmedizin Mainz jetzt das „Deutsche Resilienz Zentrum Mainz“ gegründet. In dieser fachübergreifenden Einrichtung werden Neurowissenschaftler, Mediziner, Psychologen und Sozialwissenschaftler zusammenarbeiten. Es ist das erste Zentrum in Europa überhaupt, dass sich der Erforschung der seelischen Widerstandskraft – der Resilienz, wie es im Fachjargon heißt – widmet. „Es schließt damit eine wichtige Lücke in der Forschungslandschaft, sagt Professor Babette Simon, Medizinischer Vorstand der Universitätsmedizin Mainz.
Eigens für das neue Zentrum werden in den kommenden beiden Jahren auf dem Campus der Uniklinik und der Universität zwei Gebäude mit insgesamt 3500 Quadratmetern Fläche errichtet. Sie sollen Arbeits- und Büroräume sowie etliche Labore für Experimente beherbergen. Die Kosten von rund 42 Millionen Euro teilen sich der Bund und das Land Rheinland-Pfalz.
Gerade in einer Zeit, „in der das Tempo der technischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen sehr hoch“ sei und viele Menschen über zunehmenden Stress klagten, sei die „Erforschung der Ursachen psychischer Erkrankungen und die Entwicklung präventiver Konzepte“ von besonderer Bedeutung, sagte die rheinland-pfälzische Wissenschaftsministerin Doris Ahnen (SPD) am Donnerstag bei der Vorstellung des Konzepts.
Psychische Erkrankungen haben „lange Vorläufe“
Dieses habe einen neuartigen Ansatz, erklärte Professor Klaus Lieb, Direktor der Mainzer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Das Motto, das die Wissenschaftler sich für ihre Arbeit am Resilienz-Zentrum gegeben hat, heißt: „Verstehen, Vorbeugen, Verändern“. Bisher, so Professor Lieb, habe sich die klinische Forschung in Psychologie und Psychiatrie stark an den Krankheiten orientiert und somit erst dann angesetzt, „wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist“. Psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder Sucht hätten aber „lange Vorläufe“. Dabei spielten traumatische Ereignisse oder belastende Lebensumstände eine wesentliche Rolle. Die jedem Menschen innewohnende seelische Widerstandskraft helfe, solche schwierigen Phasen zu bewältigen und psychisch gesund zu bleiben. Allerdings scheint sie individuell unterschiedlich ausgeprägt zu sein. Dass einige Menschen trotz starker Belastungen nicht krank werden, lasse vermuten; „dass protektive Mechanismen, also Schutz- und Selbstheilungskräfte existieren, welche die Entwicklung von stressbedingten Erkrankungen verhindern“, erläutert der Wissenschaftler.
Am Deutschen Resilienz-Zentrum wollen die Forscher diese Mechanismen entschlüsseln. Dabei sollen unter anderem die bisher bekannten schützenden Faktoren wie etwa eine gut funktionierende Emotionsregulation und Impulskontrolle untersucht werden. Ein „starker Fokus“, so Klaus Lieb, liege dabei auf der Neurobiologie. Um das alles zu untersuchen, soll „eine Vielzahl von Technologien“ zum Einsatz kommen, unter anderem bildgebende Verfahren wie die Kernspintomographie.
Auch eine großangelegte Studie ist im Zuge der Forschungsarbeit bereits in die Wege geleitet. Dabei sollen 5000 junge Studienteilnehmer über mehrere Jahre begleitet werden, um Stressfaktoren, denen sie im Laufe der Zeit ausgesetzt sind, und deren Auswirkungen auf die psychische Gesundheit zu erfassen. Die Wissenschaftler hoffen, auf diese Weise Eigenschaften des Gehirns und geistige Fähigkeiten herausfiltern zu können, die wichtige Schutz-Mechanismen in Bezug auf psychische Erkrankungen darstellen. Auf Basis dieser Erkenntnisse sollen später Präventionsprogramme entwickelt werden.