Neulich in unserem Garten. Ich sehe gerade, wo jetzt noch Herbstlaub rumliegt, und die kleinen Steinchen vom Streuen springen mir ins Auge und rufen mir zu, dass sie noch weggefegt werden müssen. Da steht meine Frau neben mir, schaut in die gleiche Richtung und sagt: "Schau mal, wie schön die Krokusse schon blühen!"
Wir sehen unsere Welt. Psychologen der Universität machten dazu jetzt ein interessantes Experiment (doi.org/10.5127/jep.033212). Sie verglichen die Wahrnehmung von Menschen, die sich vor Spinnen fürchten, mit der anderer Menschen im Labor. Dazu boten sie mit Hilfe eines Stereoskops dem rechten und dem linken Auge jeder Versuchsperson unterschiedliche Bilder, zum Beispiel dem einen Auge eine Spinne, dem anderen eine geometrische Form. Menschen können aber nicht zwei unterschiedliche Bilder gleichzeitig wahrnehmen. Sie entscheiden sich dann für eines und unterdrücken das andere. Forscher nennen das die binokulare Rivalität.
Das Ergebnis des Experimentes war eindeutig: Spinnenphobiker sehen häufiger als erstes das Spinnenbild, fast doppelt so oft im Vergleich zu denen, die sich nicht vor Spinnen fürchten. Ersetzten die Forscher das Spinnenbild durch eine Blume, unterschieden sich beide Gruppen nicht. Offensichtlich bestimmte die Angst die Wahrnehmung.
Wahrnehmung ist individuell höchst unterschiedlich
Objekte in der Welt besitzen einen Aufforderungscharakter, sagt der Philosoph Mark Johnson (The Meaning of the Body. Aesthetics of Human Understanding, The University of Chicago Press). Wenn wir etwas erkennen, beziehen wir uns auf sie. Und wie wir uns auf sie beziehen, hängt von unseren Gefühlen ab.
Wir nehmen die Welt nicht einfach so wahr, wie sie ist. Sondern so, wie sie uns erscheint. Zum Beispiel sehen Menschen die Welt in Gelb-Blau-Rot, andere Lebewesen hingegen nicht. Ein Patient des berühmten Neurologen Oliver Sacks (Eine Anthropologin auf dem Mars: Sieben paradoxe Geschichten, Rowohlt), der durch einen Unfall keine Farben mehr sehen konnte, sah die Welt nur noch "rattenfarbig" und begann, sich teilweise vor ihr zu ekeln.
Wer die Welt nicht farbig sieht, erlebt sie auch anders. Daher sagen wir zum Beispiel bei einer Depression, dass ein Mensch die Welt nur noch in Grau sieht. Wir meinen das bildlich. Aber vielleicht ist das ja nicht nur bildlich so.
Ich kann in den Garten schauen und die anstehende Arbeit oder die schöne Natur sehen. Glücklicher sind die, die ohne Angst schauen und die das Schöne sehen können.