Überlebenskampf mit dem Badehandtuch

Bild: Archiv

Wir sichern uns Fensterplätze im Restaurant, reservieren Sitze in der Bahn, umzäunen unseren Garten oder besetzen mit Handtüchern gut platzierte Liegen. Doch warum? Das Buch "Warum Männer nicht nebeneinander pinkeln wollen und andere Rätsel der räumlichen Psychologie" zeigt anschaulich: Wir verhalten uns tagtäglich so, als lebten wir noch in der Steinzeit und müssten ums Überleben kämpfen. Hier vier kurzgefasste Beispiele von fünfzig im Buch enthaltenen:

 

Warum bloss immer hoch zum Chef?

Sprache ist verräterisch: Wer sich nicht Chef nennen kann, ist Untergebener. Will er das ändern, muss er die Karriereleiter erklimmen und aufsteigen. Mensch und Tier blicken auf zum Alphatier. "In allen Kulturen ist die erhöhte Position ein Zeichen von Dominanz", urteilt der Evolutionspsychologe Harald Euler. "Will ein Mann einer Gruppe von Personen, besonders anderen Männern, Befehle erteilen oder Anweisungen geben, dann ist es zweckmäßig, sich erhöht zu stellen." Auch Profi-Fotografen wissen das. Wenn sie einen Politiker mächtig erscheinen lassen wollen, lichten sie ihn von unten ab. Schwach hingegen wirkt jemand, wenn das Foto von schräg oben geschossen wird. Das ist pure Psychologie, die auch Redner nutzen, indem sie buchstäblich von oben herab sprechen. Und von dort schalten und walten auch Chefs am liebsten. "Wer oben ist, will sich nicht auf dem Kopf herumtanzen lassen", sagt der Hamburger Organisationspsychologe Jörg Felfe. Er wolle "sich vielmehr über die anderen erheben, herausstechen, andere überragen - im übertragenen wie auch im wahrsten Sinne des Wortes". Wer ganz oben ist, habe die Kontrolle und einen "freien Blick". Hoch gelegene Chefbüros gewähren mithin Übersicht und demonstrieren Macht. Deshalb heißt es fast nie: "Schulze, kommen Sie sofort mal runter zum Direktor!"


Weshalb wir Anschluss an die Gruppe halten wollen

Gerade war man noch mitten im Pulk des Wandertrupps marschiert, doch kaum hat man sich nur mal eben den Schuh gebunden, schon steht man allein im Wald. Und das blöderweise auch noch kurz vor einer Wegkreuzung. "Wohin, um Himmels willen, sind all die anderen jetzt bloß gelaufen?" Schon poltert wild das Herz im Brustkasten. "Was soll ich jetzt nur tun hier, ganz ohne Handy?" Unser vegetatives Nervensystem macht sich in solchen Fällen auf das Schlimmste gefasst, als lebten wir noch vor Tausenden von Jahren: Wer damals seine Gruppe verlor oder ausgeschlossen wurde, war leichte Beute für Raubtiere und so gut wie tot - deshalb die gespannten Muskeln, der Angstschweiß und der hämmernde Puls. Erfahrene Wanderführer wissen, dass manche Menschen Atemnot bekommen können, wenn sie den Anschluss verlieren. Sie haben "wie im Alptraum das Gefühl, trotz großer Anstrengungen einfach nicht mehr aufschließen zu können", sagt der Natursoziologe Rainer Brämer. Dann heißt es: Halt machen lassen und warten, oder der Wanderführer lässt sich zurückfallen. Auch das kann den keuchenden Nachzügler beruhigen.


Wieso wir im eigenen Revier souveräner sind

Was hat ein Dreistachliger Stichling mit einem Menschen gemeinsam? Ganz einfach: Beide kämpfen umso beherzter und erfolgreicher, wenn sie ihr eigenes Revier verteidigen. Das ist übrigens auch der Grund für den Heimvorteil im Sport: Auf dem heimischen Platz will man sich keine Blöße geben. Dieses verhaltensbiologische Erbe ist tief in uns verankert. Ob Tier oder Mensch: Wo man sich einmal niedergelassen hat, wohinein man Arbeit und Geld investiert hat, wo die eigenen Nachkommen leben, das will man unbedingt behalten. Der Gegner - ob im Sport oder auf anderen Feldern - mobilisiert seinerseits auf fremdem Terrain nur selten die letzten Kräfte, sondern zieht sich lieber zurück. Deshalb sollte man wichtige Verträge auch nicht in fremden Geschäftsräumen abschließen. "Ihr eigenes Büro bietet Ihnen oft einen enormen Vorteil, weil Sie sich auf vertrautem Terrain befinden", sagt Michael C. Donaldson, ein amerikanischer Anwalt für Medienrecht und Fachmann für Verhandlungsstrategien. Das eigene Büro sei die gewohnte Operationsbasis. "Hier liegen alle benötigten Informationen beisammen. Kollegen können Sie unterstützen, falls Sie auf deren Erfahrung und Hilfe zurückgreifen müssen. In dieser Umgebung werden Sie sich immer am wohlsten fühlen." Laden Sie ihren Verhandlungspartner also großzügig in Ihr Büro ein. Die Fremde wird ihn schwächen.

 

Warum wir in Kirchen schleichen und flüstern

Folgen Sie doch einmal jemandem, der auf eine größere Kirche zusteuert. Sobald er durchs Portal tritt, verändert sich sein Verhalten: Die Schritte werden gemessener, die Bewegungen feierlicher, der Blick richtet sich beeindruckt nach oben, und wenn der Kirchenbesucher nicht alleine ist, wird zwischen ihm und seinen Begleitern nicht mehr gesprochen, sondern geflüstert - selbst in einer ansonsten leeren Kirche. Doch warum dieser seltsame Wandel im Verhalten? Aus mathematischer Sicht lautet die Antwort: V = f(P,U). Diese Formel geht auf Kurt Lewin zurück, der 1890 nahe der damals noch preußischen Stadt Posen geboren wurde und 1933 in die USA emigrierte. Der Begründer der modernen Sozialpsychologie wollte mit seiner Gleichung lediglich darauf hinweisen, dass unser persönliches Verhalten sich ändert, wann immer wir in eine andere Umwelt überwechseln - zum Beispiel von der Straße in eine Kathedrale oder vom belebten Marktplatz in ein edles Restaurant mit Kristall-Lüstern an der Decke und feinem Porzellan auf den Tischen. Mit bestimmten Orten sind nämlich dazu passende Verhaltenstraditionen verknüpft, die wir von unseren Eltern und anderen Vorbildern lernen: Auf dem Pausenhof zum Beispiel darf gelärmt, auf dem Sportplatz gegrölt werden, im Zimmer des Schuldirektors oder in einem Krankenhaus hingegen eher nicht. Auch bewegen wir uns bei einem Begräbnis anders als beim Karnevalsumzug, und wir werfen in der Regel auch nicht mit Konfetti umher oder blasen auf Tröten. Sie können es ja mal ausprobieren und schauen, was passiert. Oder vielleicht doch lieber nicht ...

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