Nun wird auch die Schweiz ein nationales Programm zur Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen bekommen. Das federführende Bundesamt für Gesundheit bündelt dafür die Kräfte von zwei Departementen und sechs Bundesämtern. Seit Kurzem sind die Eckpfeiler klar. Im Vordergrund stehen präventive Massnahmen zur Verhinderung von Resistenzen wie der sachgerechte Umgang mit Antibiotika in der Tierhaltung, die Verbesserung der Therapiedisziplin in der Humanmedizin und der Hygiene.
Die Swissnoso, die schweizerische Expertengruppe im Bereich Infektiologie und Spitalhygiene, schätzt, dass in Schweizer Spitälern jährlich rund 70'000 Patienten an einer Infektion mit einem resistenten Erreger erkranken und dass diese in rund 2000 Fällen zum Tode führt. Die Schweiz rangiert damit im Mittelfeld der europäischen Länder, vor den südlichen Ländern, wo das Problem wegen der schlechten Spitalhygiene dramatische Ausmasse angenommen hat, und den skandinavischen Ländern mit ihren tiefen Infektionsraten.
Bei den Resistenzen machen den Spitälern vor allem zwei Probleme zu schaffen, der Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA), und die Extended-Spectrum-Beta-Lactamase (ESBL). Der MRSA ist weit verbreitet und kann für Patienten, deren Gesundheit nach schweren medizinischen Eingriffen beeinträchtigt ist, lebensgefährlich werden. Bei der ESBL handelt sich um ein Eiweiss, das zur Zerstörung der Antibiotika führt. Trotzdem ist die Förderung der pharmazeutischen Forschung nach neuen Antibiotika im Antibiotikaprogramm der Schweiz nur am Rande ein Thema. «Die Rahmenbedingungen werden so gesetzt, dass wirksame Antibiotika zur Verfügung stehen», heisst es im letzten der acht Punkte des Programms.
Angst vor dem «Superkäfer»
Im Punkt der Forschungsförderung bleibt die Antibiotika-Initiative des Pharmalandes Schweiz deshalb wie diejenige der EU deutlich hinter dem zurück, was die USA in den letzten Jahren auf den Weg gebracht haben. Amerikanische Experten gehen davon aus, dass das Problem der «Superbugs», der selbst gegen die stärksten Antibiotika resistenten «Superkäfer», das Potenzial hat, bedeutende Errungenschaften der modernen Medizin zu unterlaufen. In den USA waren nach Angaben der Zulassungsbehörde FDA 2002 zwei Millionen Patienten von einer Antibiotikaresistenz betroffen, in 99'000 Fällen endete die Infektion deswegen tödlich. Die FDA geht davon aus, dass 70 Prozent der in den USA für Spitalinfektionen verantwortlichen Bakterien gegen mindestens eines der gängigen Antibiotika resistent sind.
Unter dem Titel «Gain» (für Generating Antibiotic Incentives Now), läuft in den USA seit Juli 2012 ein weitreichendes Anreizprogramm für die Antibiotikaforschung. Das vom Kongress verabschiedete Gesetz sieht unter anderem eine fünfjährige Marktexklusivität vor. Das heisst, das Präparat geniesst nicht nur Patentschutz, sondern es werden auch während fünf Jahren keine weiteren Medikamente mit dem gleichen Profil zugelassen. Zudem profitiert die Antibiotikaforschung wie die Erforschung vernachlässigter Krankheiten von der Möglichkeit einer beschleunigten FDA-Zulassung.
Inzwischen wird das Anreizprogramm bereits als zu wenig weit gehend kritisiert. Der President’s Council of Advisors on Science and Technology (PCAST), ein Beratergremium des amerikanischen Präsidenten, schreibt in seinem Bericht vom September zum Stand, dass die fünfjährige Marktexklusivität den Herstellern wirtschaftlich nur wenig bringe, weil sie mit der Patentfrist zusammenfalle.
Neues Massnahmen zur Forschungsförderung
Der PCAST schlägt dem Präsidenten deshalb vor, das Instrumentarium zur Forschungsförderung nochmals drastisch zu erweitern. Im Detail schlägt sie den Aufbau einer nationalen Infrastruktur zur Unterstützung und Durchführung klinischer Studien vor. Zudem soll die Zulassung von Präparaten ermöglicht werden, die nicht an einer breiten Patientengruppe getestet wurden, sondern nur an Patienten, die mit einem resistenten Erreger infiziert waren. Zudem denkt der PCAST über Möglichkeiten zur Entkoppelung von Absatz und Umsatz nach, um das Problem anzugehen, dass das Interesse der Hersteller an möglichst viel Absatz der medizinischen Notwendigkeit zuwiderläuft, Antibiotika im Sinne der Resistenzvermeidung möglichst restriktiv einzusetzen. Zur Diskussion gestellt wird die Entrichtung eines Pauschalbetrags für die Entwicklung von Reserve-Antibiotika oder die finanzielle Honorierung bedeutender Forschungsfortschritte. Im Raum stehen auch Überlegungen, der Industrie die Antibiotikaforschung mit «tradable vouchers», «handelbaren Gutscheinen», schmackhaft zu machen. Der Hersteller, der ein Antibiotikum entwickelt, erhält das Recht auf eine Patentverlängerung für eine bestimmte Zeit, von dem er entweder selbst Gebrauch machen kann oder das er verkaufen kann. Für Unternehmen, die kurz vor dem Patentablauf eines Blockbusters stehen, kann das höchst interessant sein. Ob die Vorschläge umgesetzt werden, ist noch offen.
Die im Jahr 2012 getroffenen Massnahmen haben ihre Wirkung aber auch so nicht verfehlt. Das zeigt die inzwischen wieder deutlich grössere Aktivität in der Antibiotikaforschung. Eine Zusammenstellung der amerikanischen Nicht-Regierungsorganisation PEW Charitable Trusts ist zu entnehmen, dass sich in den USA im September 2014 38 Wirkstoffe in der Pipeline befanden, die möglicherweise gegen resistente Keime wirksam sind. Zudem konnte die US-Zulassungsbehörde 2014 erstmals seit 2010 wieder neue Wirkstoffe zulassen. Es handelt sich dabei um das Präparat Tedizolid der auf die Erforschung von Antibiotika spezialisierten amerikanischen Cubist, das im Juni für akute bakterielle Infektionen der Haut und bei Lungenentzündungen zugelassen wurde, und um die zur Behandlung von Hautinfektionen zugelassenen Antibiotika Dalbavancin von Durata Therapeutics und Oritavancin von The Medicines Company.
Auch die beiden Basler Konzerne sind seit Kurzem wieder stärker in der Antibiotikaforschung engagiert. Roche hat 2013 vom Allschwiler Unternehmen Polyphor einen Wirkstoff einlizenziert, der die Resistenz des Pseudomonas aeruginosa überwinden soll, eines Erregers, der in den USA für jede zehnte Krankenhausinfektion verantwortlich ist und zu den sechs gefährlichsten Keimen gehört. Zudem hat Roche vor Kurzem weltweite Kooperationsvereinbarungen mit den Unternehmen Discuva und Spero abgeschlossen, um neue Antibiotika zur Behandlung lebensbedrohlicher Infektionen zu erforschen. Auch Novartis hat in den vergangenen Jahren ihr Engagement im Bereich der Antibiotikaentwicklung wieder verstärkt. Im kalifornischen Emeryville werden neben neuen, experimentellen Verfahren auch traditionelle medizinisch-chemische Ansätze zur Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen verfolgt. «Wir sind an dem Punkt, an dem der Alarm losgeht, wie bei einem Tornado», sagt Don Ganem, verantwortlich für die Erforschung von Infektionskrankheiten bei Novartis.
«Die amerikanischen Anstrengungen dürften beim Umdenken der Industrie entscheidend gewesen sein», sagt Jürg Zürcher, Biotechspezialist beim Beratungsunternehmen EY (ehemals Ernst Young). Fünf Jahre Marktexklusivität in den USA, dem nach wie vor mit Abstand wichtigsten Pharmamarkt, «das ist nicht zu unterschätzen». Wenn es einem Unternehmen gelinge, in den nächsten Jahren ein neues Antibiotikum auf den Markt zu bringen, das wirklich einen zusätzlichen Nutzen bringe, «dann kann es damit eine Menge Geld verdienen». Die Tatsache, dass die potenziellen Patientenpopulationen vergleichsweise klein seien, spreche nicht gegen ein Forschungsengagement. Das treffe zwar für die Spitalinfektionen zu, bei der zunehmenden Resistenzproblematik bei nicht lebensbedrohlichen Infektionen der Harnwege oder des Darms aber seien die Fallzahlen interessant. Zudem dürften die Unternehmen, ähnlich wie bei den «neglected diseases» davon ausgehen, dass Antibiotikaforschung auch für andere Bereiche Ergebnisse abwerfen dürfte, sagt Jürg Zürcher.
Aufatmen in der Klinik
Mit Genugtuung wird die Trendwende in der Antibiotikaforschung in der Spitalpraxis zur Kenntnis genommen, auch wenn lebensbedrohliche oder gar tödliche Infektionen mit resistenten Erregern in der Schweiz vergleichsweise selten sind. Maja Weisser, stellvertretende Chefärztin der Klinik für Infektiologie und Spitalhygiene des Basler Uni-Spitals, spricht «von wenigen Fällen pro Jahr, bei denen wir kaum mehr Behandlungsmöglichkeiten haben». Meist handle es sich dabei Patienten, die von Spitälern aus Ländern mit einer ausgeprägten Resistenzproblematik nach Basel verlegt würden, zum Beispiel Griechenland oder Italien. Die Infektiologin stellt fest, dass zunehmend auf ältere Präparate zurückgegriffen werden müsse, weil die neueren Breitbandantibiotika nicht mehr wirkten. Sie denke dabei an das Medikament Colistin, ein bereits in den 50er-Jahren zugelassenes, während Jahren kaum mehr gebrauchtes Antibiotikum, das nun wieder vermehrt zum Einsatz komme. Ganz selten komme es auch vor, dass man auf Off-Label-Produkte, das heisst auf noch nicht zugelassene Antibiotika, zurückgreifen müsse. Das müsse aber bewilligt werden und sei deshalb schwierig, weil man meist unter einem grossen Zeitdruck stehe. «Bei einer schweren Infektion zählt oftmals jede Minute.»
Allzu grosse Hoffnungen macht sich Weisser allerdings nicht. «Bis jetzt gibt es erst ganz wenige zugelassene Produkte. Die meisten Wirkstoffe sind noch in der Pipeline. Ihre klinische Wirksamkeit muss sich erst noch erweisen.»
(Basler Zeitung)
(Erstellt: 03.12.2014, 11:22 Uhr)