Schon bevor wir den ersten Atemzug taten, umgab uns Musik. Denn selbst Ungeborene im
Mutterleib reagieren auf Klänge. Und die Erregung, die Musik in uns auslöst, teilen wir mit
Menschen in jedem Winkel der Welt. Es existiert keine einzige Kultur ohne Musik. Warum
sprechen Klänge und Melodien, die eigentlich gar nichts bedeuten, uns dermaßen an?
Diana Deutsch untersucht seit über vier Jahrzehnten, wie wir Musik hören und was dabei in
uns geschieht. Sie gilt als die große alte Dame der Musikpsychologie und ist Professorin an
der Universität von Kalifornien in San Diego, wo wir uns auch verabredet haben. Als ich den
fensterlosen Raum betrete, fallen mir zuerst enorme Lautsprecherboxen und eine Reihe von
Computern und Synthesizern ins Auge. Dann erst sehe ich meine Gesprächspartnerin, die an den
Knöpfen herumdreht.
Stefan Klein: Frau Deutsch, können Sie sich ein Leben ohne Musik vorstellen?
Diana Deutsch: Das wäre ein trauriges Leben.
Klein: Musik macht Sie glücklich?
Deutsch: Nein, das ist zu einfach. Musik berührt mich zutiefst. Aber weder macht sie mich glücklich noch traurig. Das sind die falschen Adjektive.
Klein: Was bedeutet Ihnen denn die Musik?
Deutsch: Wenn ich am Klavier sitze, fühle ich mich, als ob ich an einem Torbogen stehe. Vor mir erstreckt sich ein riesiges Land, schneebedeckt, Meilen um Meilen. Ich sehe das tatsächlich vor mir. Und ich muss nur in den Schnee hineinlaufen, das ganze Land gehört mir. Hier brauche ich mich um nichts mehr zu sorgen. Jetzt kann ich tun, was ich will, spielen, womit ich will. Übrigens empfinde ich genauso, wenn ich im Tonstudio experimentiere.
Klein: Ich glaube, ich weiß, welche Freiheit Sie meinen. Am intensivsten habe ich sie als
Jugendlicher erlebt. Am Klavier konnte ich die Welt, die mir damals so unerträglich
erschien, völlig vergessen – und mich selbst dazu. Ging es Ihnen genauso?