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Mit angelegter Krawatte interpretieren Probanden harmlose Sätze stärker und feindseliger.
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Mit angelegter Krawatte interpretieren Probanden harmlose Sätze stärker und feindseliger.
Im Jahr 1996 veröffentlichte der amerikanische Psychologe John Bargh die Ergebnisse eines bald danach legendären Experiments. Seine Testpersonen sollten aus vorgegebenen Wörtern einen Satz bilden, um sich danach zu einer anderen Stelle des Versuchsraums zu begeben. Gemessen wurde die Zeit, die sie sich dafür nahmen. Bargh stellte fest: Wenn unter den Wortvorgaben viele aus dem Bereich des Älterwerdens waren - „Florida“, „allein“, „grau“, „Falten“ -, verlangsamte sich, verglichen mit einer Kontrollgruppe, bei den Probanden die Geschwindigkeit des Ortswechsels.
Autor: Jürgen Kaube, Jahrgang 1962, stellvertretender Leiter des Feuilleton.
Das schlug in der Sozialpsychologie ein. Es öffnete sich ein ganzes Feld an Experimenten, die man durchführen kann, um solche sogenannten Bahnungs- oder Prägungseffekte („Priming“) zu untersuchen. Denn dazu mussten ja nur die beiden Komponenten des Versuchs variiert werden. Statt Vokabeln des Älterwerdens konnte man Versuchsteilnehmer auch aggressiver oder höflicher Sprache aussetzen und anschließend ihr Verhalten beobachten. Oder man konfrontierte sie mit Sätzen, in denen Fleischessen eine Rolle spielt. Und so weiter. Auch die Umkehrung des Versuchs wurde durchgeführt: Erst langsam laufen lassen, dann untersuchen, ob die Aufmerksamkeit für Vokabeln steigt, die mit Altsein assoziiert sind.
Man brachte die Probanden dazu, die Unwahrheit zu sagen
Schon vor Bargh hatten Psychologen den inzwischen berühmten Anker-Effekt entdeckt, der eintritt, wenn irrelevante Informationen zur Entscheidungsfindung allein deshalb hinzugezogen werden, weil sie da sind. Nun aber, nach Bargh, gab es auf dem Gebiet der befremdlichen Einflussvermutungen kein Halten mehr. Demnach kreuzen die Leute angeblich konservativere Meinungen an, wenn man sie bittet, den Fragebogen mit angelegter Krawatte auszufüllen. Sie interpretieren harmlose Sätze wie „Der Handelsvertreter klopfte, aber Eugen öffnete nicht“ stärker als Beschreibung eines feindseligen Verhaltens, wenn man sie vorher Worten wie „beleidigt“ und „unfreundlich“ aussetzt.
Man brachte Probanden dazu, die Unwahrheit entweder zu sagen oder zu schreiben, und schaute, ob danach ihr Bedürfnis steigt, sich entweder den Mund zu spülen oder die Hände zu waschen. Eine Studie behauptete sogar, Testpersonen gäben mehr korrekte Antworten auf Wissensfragen, wenn sie vorher aufschrieben, was ihnen alles zu einem Professor im Unterschied zu einem Hooligan einfalle.
Solche Befunde haben nicht nur die Eigenschaft, dass sich die Psychologie mit ihnen als praktische, um nicht zu sagen: technische Disziplin der Werbewirtschaft anzudienen vermag. Sie bringen auch eine Flut von lustigen „So einfach ist das“-Sachbüchern über alltägliche Irrationalitäten hervor, obgleich es im Alltag gar nicht so oft vorkommt, dass man Sätze mit „Florida“ bilden und danach durchs Zimmer laufen muss.
Die Liste nachgewiesener Betrugsfälle wächst
Gut fünfzehn Jahre nach der Publikation der Experimente Barghs, im Januar 2013, kamen andere Forscher, die versuchten, sie zu wiederholen, zu einem nicht minder aufschlussreichen Ergebnis. Hier waren es nämlich die Uhren, auf die der Geschwindigkeitseffekt zurückging. Stoppte man mittels Infrarotsensoren, ergab sich kein Bewegungsunterschied der geprägten Gruppe. Teilte man hingegen einem menschlichen Zeitnehmer mit, welche Gruppe geprägt worden war, ließ der die Uhr etwas großzügiger laufen. Das genügte, um den statistisch signifikanten Effekt zu erzeugen. In anderen Studien, die versuchten, Barghs Ergebnisse zu überprüfen, stellte sich dieser kein einziges Mal ein. In wieder anderen zeigte sich, dass nur diejenigen langsamer wurden, die nichts gegen Altsein hatten.
Inzwischen ist nicht nur die Liste vergeblicher Replikationsversuche lang. Es wächst auch die der nachgewiesenen Betrugsfälle. Der Fall des niederländischen Psychologen Diederik Stapel, der mittels Datenfälschung „nachwies“, dass unsaubere Umgebungen stereotype Einstellungen begünstigen, ist nur die Spitze des Eisberges.
Mal klappen die Versuche, mal nicht
Die Verführung, erstaunliche Zusammenhänge nachzuweisen, ist offenbar erheblich. Außerdem scheinen bei psychologischen Laborforschungen dieselben Versuche mal zu klappen und mal nicht. Das macht den Stand der Erkenntnis nicht nur abhängig von der Bereitschaft der Forscher, solchen Studien des Typs „X hängt mit Y zusammen“ einen wissenschaftlichen Sinn zuzuweisen.
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Es macht ihn auch abhängig von ihrem Willen oder Unwillen, die eigenen Ergebnisse zu überprüfen. Oder umgekehrt von ihrer Neigung, möglichst schnell zu publizieren, um abzuwarten, ob sich jemand anderes die Mühe der Testwiederholung macht. Insofern wäre es gar nicht unpraktisch, auch die Forscher ab und zu an Worte wie „grau“ und „mühselig“ zu erinnern.
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Jerry Adler, „The Reformation: Can Social Scientists Save Themselves?“, Pacific Standard, April 2014.
Quelle: F.A.S.
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