Um Ablauf und Wirkung von Anleihekäufen durch Notenbanken ranken sich viele Mythen. Weit verbreitet ist die Vorstellung, dass die als quantitative Lockerung (Quantitative Easing, QE) bekannte Politik potenziell die Inflation anheizt oder sich Regierungen einfach so ihr Geld aus der elektronischen Druckerpresse ziehen, um ihre Staatsausgaben zu finanzieren.
Unkonventionell. Die unkonventionelle Strategie der Notenbanken soll aber in erster Linie die Wirtschaft stützen. Auch im Euroraum spielt die Europäische Zentralbank mit dem Gedanken, private und öffentliche Wertpapiere aufzukaufen. Ziel sei es, einen krisenhaften Preisverfall, eine Deflation, zu verhindern. Doch unter Volkswirten ist umstritten, ob die quantitative Lockerung überhaupt einen Beitrag dazu leisten kann, oder ob nicht doch eher die Lohnentwicklung eines Landes viel wichtiger für die Massennachfrage und damit auch die Preise ist. Es scheint dennoch so, dass die bescheidene Wirtschaftserholung in den USA und Großbritannien seit der Finanzkrise maßgeblich durch die Zentralbanken angeschoben wurde. Strittig bleibt dabei nur, ob die Anleihekäufe direkt oder eher psychologisch gewirkt haben.
In jedem Währungsraum gibt es neben Bargeld zwei Arten von Geld. Da ist zum einen Giralgeld, das elektronisch auf den Konten privater Individuen, Unternehmen oder Investoren wie Versicherungen und Pensionsfonds bei Geschäftsbanken liegt. Es wird täglich für Überweisungen und zum Bezahlen genutzt. Daneben gibt es noch Zentralbankgeld, das auf den Konten der Geschäftsbanken bei der Zentralbank liegt. Das Erste sind die Einlagen des Privatsektors. Und das Zweite sind die Zentralbankreserven der Banken, die die Institute dazu nutzen, Zahlungsströme zwischen den Banken zu verrechnen sowie um sie gegen Bargeld für ihre Kunden einzutauschen.
Gewöhnlich bekommen die Banken die Reserven von der Zentralbank zu einem bestimmten Zinssatz geliehen – das ist der Leitzins. Für einen festgelegten Zeitraum, zum Beispiel eine Woche, hinterlegen die Banken dabei Papiere wie Staatsanleihen als Sicherheiten. Konventionell funktioniert Geldpolitik so, dass die Notenbank über den Leitzins das Zinsniveau im Bankensektor und damit auch für das Kreditgeschäft mit Unternehmen und Haushalten steuert.
Dauerhaft. Bei der quantitativen Lockerung versucht die Notenbank auch dann noch die Kreditaufnahme und das Ausgabenverhalten des Privatsektors anzuschieben, wenn der Leitzins bereits nahe null liegt und nicht weiter sinken kann. Dazu erwirbt sie nicht mehr nur vorübergehend Anleihen von Banken, sondern kauft sie dauerhaft. Verkäufer der Wertpapiere sind nicht mehr allein Banken, sondern vor allem Finanzfirmen wie Pensionsfonds und Versicherungen – sie sind oft die größten Halter von Staatsanleihen, in denen die Ersparnisse ihrer Kunden anlegt sind.
Angenommen, ein Fonds verwaltet Wertpapiere im Wert von 100 Millionen US-$. Davon verkauft er nun Staatsanleihen für fünf Millionen $ an die Zentralbank – vermittelt durch seine Hausbank. Dafür bekommt der Fonds wiederum fünf Millionen $ an frischen Einlagen auf dem Konto seiner Geschäftsbank gutgeschrieben. Da der Fonds aber selbst kein Konto bei der Zentralbank unterhält, bekommt seine Geschäftsbank zugleich diesen Betrag an Reserven auf ihrem Zentralbankkonto gutgeschrieben.
Gewöhnlich wird der Fonds jetzt versuchen, die neuen Einlagen in höher verzinsten Anleihen oder Aktien anzulegen. Kauft der Fonds die Anleihen zum Beispiel von einer Versicherung, hat diese auf einmal fünf Millionen $ neuer Einlagen, die sie wiederum in anderen Wertpapieren anlegen kann. Somit wandert das zusätzliche Geld wie eine „heiße Kartoffel“ von Investor zu Investor – ohne dass auch nur ein Cent bei Unternehmen und Privathaushalten landen muss. Die Wirkung dessen könnte sein, dass dadurch die Kurse von Anleihen und Aktien steigen. Umgekehrt würden die Anleihezinsen sinken, was die Kreditaufnahme am Kapitalmarkt und bei Banken erleichtert.
Kontrolliert. Entgegen weitverbreiteten Vorstellungen arten die steigenden Reserven der Geschäftsbanken gar nicht zu einer unkontrollierbaren Kreditvergabe aus, was im Extremfall die Inflation anheizen kann. Denn die Banken können Zentralbankgeld gar nicht an Unternehmen oder Privathaushalte verleihen. Die Kreditvergabe kann dagegen anspringen, wenn Unternehmen weniger Zinsen zahlen müssen oder wenn sie sich mit steigenden Aktienkursen reicher fühlen und investieren wollen. Bei all dem hat aber immer noch die Geschäftsbank das letzte Wort, denn sie muss am Ende die Kreditrisiken abschätzen.
Spekulative Anleger können zudem dazu neigen, dass sie sich dank gesunkener Zinsen Dollar leihen, die sie umtauschen und wiederum in anderen Ländern mit höheren Zinsen anlegen. Das hätte den Nebeneffekt, dass ein Abwärtstrend am Devisenmarkt ausgelöst wird, was zugleich den Exporteuren hilft, mehr im Ausland zu verkaufen, und somit die Wirtschaft anschiebt.
Ökonomen warnen manchmal davor, dass bei Staatsanleihekäufen die Grenze zwischen Fiskalpolitik der Regierungen und der Geldpolitik unerlaubterweise überschritten werde. Diese Kritik zieht aber nur dann, wenn die Regierungen ohne diese Lockerungspolitik niemanden finden würden, der ihnen Geld leiht. Dies war bisher aber weder in den USA noch in Großbritannien der Fall.
Umstritten. Unter Ökonomen bleibt umstritten, ob und wie die Anleihekäufe die Wirtschaft stützen. „Was wir mit Sicherheit wissen ist, dass die quantitative Lockerung eine psychologische Wirkung auf die Marktteilnehmer hat, auch wenn keine direkte Verbindung zur Wirtschaft auftreten mag“, sagt der amerikanische Fondsmanager Cullen Roche. Dafür würde sprechen, dass in den USA mit jeder neuen QE-Runde paradoxerweise irgendwann die Zinsen und auch die Nettoinvestitionen gestiegen sind.
Hier liegt ein wichtiger Unterschied zum Euroraum, wo die Regierungen mit ihrer Austeritätspolitik die Investitionen noch immer abwürgen. Ändert sich daran nichts, bleibt es mehr als fraglich, ob ein Abrutschen in die Deflation hier durch QE verhindert werden kann.