Von Christina Oxfort
WIESBADEN - Semestereröffnung der Volkshochschule Wiesbaden (VHS) im Rathaus – das steht für riesiges Besucherinteresse, einen komplett besetzten Stadtverordnetensitzungssaal und eine übervolle Zuschauerempore. So auch beim Vortrag des Psychologie-Experten und Sachbuchautors Holger Schlageter. Die Gäste wollten Antworten auf die Frage „Immer mehr! – Wie weit können wir gehen?“, interessierten sich für das Setzen, die Verschiebung und die Überschreitung von (Leistungs-) Grenzen und die Frage, wie es gelingen kann, durch ein realistisches Selbstbewusstsein und Selbstbild die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit, die eigene Kraft und die eigenen Stärken wie auch die eigenen Schwächen zu erkennen. Und damit zufrieden zu sein. Oder zu werden.
Chancen und Risiken
Der Referent setzte sich kritisch mit dem olympischen Leitsatz „Schneller, höher, stärker“, der längst nicht mehr allein dem Sport vorbehalten ist, auseinander, zeigte gleichermaßen die Chancen ebenso wie Risiken des Optimierungswunsches des Menschen auf und stellte fest: „Selbstoptimierung ist gesund. Selbstperfektionierung ist ungesund, überfordert und ist immer zum Scheitern verurteilt. Grenzen als fixe Linien beschneiden das Wachstum“, sagte Schlageter, doch Grenzverschiebungen kosteten auch. Und ein jeder müsse abwägen, ob die Überschreitung der eigenen Grenzen einen solch hohen Preis wie die Überforderung in Leben, Liebe und Arbeit und ein „Ausbrennen“ wert sei, sagte der Experte, der seinen Zuhörern ferner zur Entkopplung von Leistung und Selbstwertgefühl riet.
Grenze als „heiliger Ort“
Den Bogen von Nietzsches Übermenschen schlagend plädierte der Führungskräfte-Coach und Bestsellerautor für die gleichzeitige Grenzerweiterung und -begrenzung: Die volle Entwicklung der eigenen Möglichkeiten bis an die Grenze, und diese Grenze dann als „heiligen Ort“ zu erklären, der nicht mehr betreten werden dürfe. Dies sei auch ein Weg zu Reife, Glück und Zufriedenheit, die aus „schneller, höher, stärker leisten“ ein „schneller, höher, stärker zum gelungenen Leben“ machten – was wesentlich mit Gelassenheit, Loslassen und Anerkennung der eigenen Grenzen als mit Leistungssteigerung zu tun habe. Doch: „Wir brauchen beides. Leistung und Ruhe, Licht und Schatten, Sehnsucht und Überdruss, Selbstverwirklichung und Zurückstecken, Grenzsprengung und Grenzsetzung“, gab der psychologische Experte seinen Zuhörern mit auf den Weg.
Die erhellenden und gleichzeitig nachdenklich stimmenden Ausführungen Schlageters berührten auch Hartmut Boger, den scheidenden Direktor der VHS, der bald mehr Zeit für Selbstverwirklichung haben wird – und gleichzeitig bei „seiner“ letzten Semestereröffnung ebenso leidenschaftlich wie humorvoll für die Mitgliedschaft im Volkshochschulverein warb, eine Institution, die, wie Stadtrat Helmut Nehrbaß betonte, in Wiesbaden seit inzwischen mehr als 95 Jahren den „geistig Suchenden aller Schichten“ Zugang zu Bildung gewährt. Dass dies gelingt, setze ein vertrauensvolles Miteinander voraus. Und ein eben solches „Vertrauensverhältnis“ attestierte Wiesbadens Stadtverordnetenvorsteher Wolfgang Nickel beim Semesterauftakt dem Volkshochschuldirektor Hartmut Boger.