Helmbrechts - Marina Fraas war eine junge sportliche Frau mit 20 Jahren, als das Schicksal zuschlug.
Sie spielte damals in der Damenmannschaft des FC Eintracht Münchberg Fußball, als aktive Läuferin bei der IfL Helmbrechts nahm sie an den Wochenenden an Laufveranstaltungen in der gesamten Region teil, bis hin zu Halbmarathons. Und sie studierte im zweiten Semester an der FH Hof Internationales Management. Dann kam der 18. Mai 2010, der Donnerstag vor Pfingsten, und von einer Minute auf die andere war nichts mehr, wie es einmal war.
Marina kommt gegen Mittag in ihre Wohngemeinschaft in Hof, macht sich einen Tee und merkt beim Einschenken, dass sie auf der gesamten rechten Seite "von einem auf den anderen Moment kein Gefühl mehr hat. Sie ist alleine in der Wohnung und meint, sie habe sich einen Nerv eingeklemmt.
Abends um 20 Uhr ist es immer noch nicht besser. Marina weiß auch nicht, ob sie zwischendurch bewusstlos war. Sie versucht, ihre Eltern anzurufen, bringt aber erst am Freitagmorgen um 6 Uhr eine Verbindung zustande.
Ihre Mutter Heidi, selbst Krankenschwester, wird aus dem Bett gerissen und weiß gleich, dass etwas passiert sein muss. Marina merkt erst jetzt, dass sie nicht mehr sprechen kann; sie stöhnt nur noch in Telefon. Die Mutter setzt sich ins Auto und fährt nach Hof, unterwegs ruft sie den Rettungsdienst. Sie kennt aber die Hausnummer nicht, weil Marina erst umgezogen ist. Als die Mutter in Hof ankommt, wartet der Rettungsdienst schon in der Straße. Inzwischen sind 17 bis 18 Stunden vergangen.
Der Rettungssanitäter äußert gleich den Verdacht, dass es sich um einen "Apoplex" handeln könnte - um einen Schlaganfall. Die diensthabende Ärztin vermutet zunächst psychische Probleme; es käme öfter vor, dass jungen Frauen nicht sprechen. "Sie merkte nicht, dass die ganze rechte Körperhälfte runter hing", erinnert sich die Mutter heute. Weil das Klinikum Hof keine spezielle Organisationseinheit zur Erstbehandlung von Schlaganfallpatienten (Stroke Unit) hat, wird Marina Fraas notfallversorgt und anschließend nach Bayreuth ins Klinkum Hohe Warte verlegt.
Für die Eltern ist es ein Schock, als sie erfahren, dass Marina in Lebensgefahr schwebe und mindestens schwerstbehindert bleibe. "An Studieren ist gar nicht mehr zu denken", sagt eine Ärztin zur Mutter. Diese blieb die erste, entscheidende Nacht, in Bayreuth. Sie erschrickt, als ihre Tochter bei einem Memory-Spiel Fisch, Hund und Vogel nicht den richtigen Wörtern zuordnen kann.
Nach drei oder vier Tagen kann Marina Fraas schon in den Rollstuhl, den sie vier Wocen ertragen muss. Als Sportlerin gefällt ihr das ganz und gar nicht. Sie will laufen. Deshalb schlägt sie die Warnungen der Krankenschwestern aus und probiert das Gehen nach drei, vier Wochen, wenn sie alleine im Zimmer ist. Auch die Therapien während der Akut-Rehabilitation, die schon in den ersten Tagen beginnen, reichen ihr bald nicht mehr aus. "Ich bekam die gleichen Therapien wie eine alte Frau", erinnert sich die Helmbrechtserin.
Doch sie will sich nicht ausbremsen lassen. Gemeinsam mit ihren Eltern kämpft sie für mehr Reha-Einheiten. In der ersten Woche versucht sie auch, ein Buch zu lesen, aber das klappt wegen der Sprachdefizite (Aphasie) noch nicht.
Nach fünf Wochen Klinikaufenthalt in Bayreuth kommt Marina für vier Monate in eine Rehabilitationsklinik in Bad Staffelstein. Als sie und ihre Eltern auch hier mehr Therapieeinheiten fordern, bezeichnet ein Arzt die Patientin gegenüber ihrer Mutter als "Draufzahlgeschäft". Doch nicht alle Ärzte denken so. Ein Oberarzt, selbst ein Schlaganfall-Betroffener, rät zu einer Reha in Gailingen am Hochrhein. Dort ist ein neurologisches Rehabilitationszentrum für Kinder und Jugendliche.
Doch bevor sie dorthin verlegt werden konnte, gilt es, den Kampf mit der Krankenkasse zu bestehen. "Jeder Antrag wurde zunächst abgelehnt. Auch hier wurden junge und alte Leute in einen Topf geworfen", erinnert sich Mutter Heidi Fraas und räumt ein, "dass wir schon oft etwas aufmüpfig waren. Aber wir wollten doch unsere Tochter in ihren Bemühungen unterstützen."
Schließlich kommt die Genehmigung. Über fünf Monate ist Marina Fraas beim Hegauer Jugendwerk, "es war das Beste, was ich während meiner Rehabilitation erfahren habe". Therapie und Schule werden in Einklang gebracht, und die Patientin lernt, mit Links zu schreiben. Auch mit dem Laufen klappt es wieder einigermaßen. Sehr gut tut ihr die psychotherapeutische Betreuung, "ich lernte meine Krankheit zu bewältigen". Trotzdem weint sie oft, insbesondere wenn Mutter oder Freund angerufen haben. "Sie bauten mich auf, durchzuhalten. Was ich in diesem Moment, über 500 Kilometer von zu Hause weg, nicht begriffen habe."
Es folgen vier Monate ambulante Reha, wieder in Bayreuth in der Hohen Warte. Mehrmals wöchentlich fährt sie sie mit dem Taxi von Helmbrechts nach Bayreuth. Während dieser Zeit machte sie sich auch auf die Suche nach einem Studienplatz. Schon während der Reha in Gailingen hat sie beschlossen, nicht weiter internationales Management zu studieren. "Da geht es nur um Geld, Macht und Prestige. Alles andere, wie Gesundheit, Familie, Freunde, bleibt auf der Strecke." Marina Frass entscheidet sich für Neuro-Psychologie oder - als Plan B - für Soziale Arbeit. Ihre Wahl fällt auf Magdeburg-Stendal, "eine kleine familiäre Uni". Als Härtefall kann sie trotz ihrer Aphasie und der halbseitigen Lähmung Psychologie studieren. Auch darum müssen sie und ihre Eltern kämpfen.
Im Januar 2012 plötzlich ein Rückschlag. Es sind Semesterferien, Marina ist zu Hause. Plötzlich ein Pochen im linken Ohr, wie beim ersten Schlaganfall. In Bayreuth in der Klinik die Diagnose: eine sogenannte Dissektion der Halsschlagader, was beinahe zu einem Schlaganfall auf der gesunden Seite geführt hätte.
Beim Stöbern im Internet stößt sie auf Professor Brandt, er leitet eine Forschung über Dissektionen im Halsbereich bei jungen Menschen. Ein genetischer Fehler kann die Ursache sein. Marina wendet sich an ein humangenetisches Labor, das bestätigt: Möglicherweise hat sie die Veranlagung zur Dissektion geerbt. Doch die Forschungen sind noch nicht weit genug gediehen, um Endgültiges sagen zu können. Nochmals geht Marina für sechs Wochen zur Reha nach Konstanz. "Hier hat man mich wieder aufgebaut."
Marina Fraas will mit ihrer Krankengeschichte Menschen Mut machen, sich nicht aufzugeben und auch nicht alles zu glauben, was Ärzte sagen. "Man muss an sich selbst glauben und Selbstbewusstsein aufbauen, auch wenn man von ganz unten anfängt.
Ihr Ziel ist es, einmal eine ambulante Neuro-Psychologie-Praxis zu führen. In diesem Jahr wird sie ihren Bachelor machen, und dann für den Master vier weitere Semester Studium dranhängen.
Man muss an sich selbst glauben.
Marina Fraas
Die ganze rechte Körperhälfte hing herunter.
Mutter Heidi Fraas erinnert sich
Als Freunde, Verwandte und Bekannte von Marina Fraas' Schlaganfall erfuhren, waren sie geschockt. Manche wussten nicht, wie sie sich verhalten sollten, und trauten sich nicht, ihre Eltern anzusprechen. "Wichtig war", erzählt Marina Fraas, "dass mich Eltern, Schwester und Freund immer unterstützten und mir Mut zusprachen." Auch ihre beste Freundin hielt immer zu ihr. "Obowohl ich zuerst nicht mehr sprechen konnte , hat sie immer gewusst, was ich wollte." Andere näherten sich nach und nach wieder an. Wenn Leute denken, sie sei "nicht normal", weil sie nicht mehr so spricht wie früher, kann sie mittlerweile darüber hinwegsehen.
Sogenannte spontane Dissektionen sind die zweithäufigste Ursache für einen Schlaganfall bei jungen Erwachsenen. Die meisten Patienten werden aus völliger Gesundheit heraus getroffen. Dissektionen sind Einrisse der inneren Arterienwand, die zu einem Gefäßverschluss führen können. Sind hirnversorgende Arterien davon betroffen, ist häufig ein Hirninfarkt die Folge. Verschiedene Faktoren erhöhen zwar das Risiko von Dissektionen der Halsgefäße, wie etwa mechanische Verletzungen durch Schleudertraumen oder chiropraktisches Einrenken. Sie bieten für viele Fälle jedoch keine vollständige Erklärung. Quelle: Kompetenzzentrum Schlaganfall