Der "Evening Sale" bei Christie's in New York entpuppte sich als umsatzstärkste Einzelversteigerung in der Geschichte des Kunstmarkts: ein Abend mit Kunstwerken von Andy Warhol im vollen Auktionssaal
Es ist der Moment, in dem der Mann mit dem Auktionatorenhammer alle Register seiner Kunst zieht, sich weit übers Pult lehnt, den Unterarm aufgestützt, um die Bietenden im Saal zu mustern wie ein dynamischer Motivationsredner, der eine Kunstpause einlegt, um seine Worte wirken zu lassen.
Bisher war es immer zügig vorangegangen, höchstens ein paar Sekunden bis zum nächsten Zuschlag, dann kommt der Wettlauf ins Stocken: 68 Millionen Dollar sind aufgerufen für den Triple Elvis, Andy Warhols verdreifachten Elvis Presley, der breitbeinig dasteht und eine Waffe auf den Betrachter richtet, als wäre er ein Revolverheld im Wilden Westen.
"Gebt mir siebzig! Höre ich siebzig?", ruft Jussi Pylkkänen und zeigt mit ausladender Geste auf den Warhol. Prompt kommt das nächste Gebot, übers Telefon hat ein Sammler einem Christie's-Mitarbeiter sein Gebot eingeflüstert. Einer von vielen weltweit verteilten Kunden, die das Rennen nur aus der Ferne verfolgen und doch seine Hauptakteure sind. "71 Millionen", verkündet Pylkkänen zufrieden und fragt zu seiner Rechten, ob man nicht drauflegen wolle. "Lassen Sie den Mut nicht sinken, gehen Sie einfach drüber, dann gehört es Ihnen."
Bei 73 Millionen saust schließlich das verstümmelte Hämmerchen aufs Mahagonipult. Rechnet man das Aufgeld für das Auktionshaus hinzu, sind rund 82 Mio. Dollar zu zahlen, der höchste Preis dieses Abends. Es folgt ein weiterer Warhol, ein vierfacher Marlon Brando. Herausfordernd cool blickt er auf einem Motorrad sitzend in eine Kameralinse und entlockt einem Käufer 69,6 Millionen Dollar. Beide Warhols stammen aus dem Fundus des deutschen Casinobetreibers Westspiel und finden vorerst anonyme Besitzer.
New York, inmitten der Wolkenkratzerschluchten Manhattans, 49th Street. Vor dem Betonklotz von Christie's glitzert ein verknotetes Fabelwesen, der überdimensionale orange Balloon Monkey von Jeff Koons - ein Blickfang für Passanten. Drinnen sitzen an die sechshundert Bietende, "the one percent", wie Amerikaner die Spitze der Wohlstandspyramide nennen würden. Die Kleidung: Haute Couture, hier und da Pelz, auch Jeans und Turnschuhe.
Vom Euro bis zum Rubel
Es haben sich nicht nur New Yorker unter einer elektronischen Tafel versammelt, die in sieben Währungen anzeigt, was gerade geboten wird: vom US-Dollar über Euros, Hongkong-Dollars bis hin zum russischen Rubel. Die Gebote sind international; an den Telefonen geben wohl Ostasien und der Mittlere Osten den Ton an.
Brett Gorvy, Chef für zeitgenössische Kunst bei Christie's, wird danach stolz verkünden, dass Sammler aus 43 Ländern mitsteigerten, eine geografische Breite, die den globalen Kunstmarkt vor Augen führe. Fast 853 Mio. Dollar lautet die Bilanz des Abends, der höchste je in der Geschichte des Kunstmarktes bei einer einzelnen Auktion erzielte Umsatz.
Die Delle der Finanzkrise ist längst überwunden. Gorvy liest Namen vor, Namen aus der Rubrik "Auktionsweltrekorde", was bedeutet, dass Werke dieser Künstler noch nie für mehr Geld versteigert wurden. Georg Baselitz, Martin Kippenberger, Ed Ruscha, Cy Twombly - sie alle haben gerade neue Bestmarken erzielt.
Lässigkeit im Millionenduell
Der Mann mit dem Hammer besitzt das Talent, dem Duell der Millionen etwas Lässiges zu geben, etwas Heiteres, als ginge es in erster Linie um den Spaß. Der Finne Pylkkänen hat in Oxford studiert, sein Englisch lässt keinerlei Akzent erkennen. Als er ausgebildet wurde zum Auktionator, hat man ihm eingeschärft, er dürfe sein Kinn nicht zu hoch recken, das könne schnell arrogant wirken. Die Psychologie des Lockens, der 50-Jährige mit den jungenhaften Gesichtszügen beherrscht sie perfekt. "Nein, lieber doch nicht?", ruft er einem zögernden Bieter zu. "Sehe ich da ein Kopfschütteln? Ob Sie's später vielleicht bereuen?" Manchmal reicht schon eine in gespielter Enttäuschung hochgezogene Augenbraue, manchmal eine dynamische Handbewegung um den Wettstreit neu anzufachen.
An wen der Elvis und Marlon Brando gingen? Brett Gorvy drechselt wohlklingende Sätze, ohne wirklich etwas zu sagen. Es handle sich um zwei verschiedene Bieter, beide seien sich ihrer Verantwortung bewusst, beide seien bereit, die Bilder öffentlich auszustellen. Was man fürs Erste weiß: Beide gingen an die Telefone. (Frank Hermann, DER STANDARD, 14.11.2014)