Reine Formsache? Design bei der Arbeit

Strategie: Reine Formsache? Design bei der Arbeit

13. Januar 2012

Wir alle sind bei unserer täglichen Arbeit von mehr oder weniger schönen Objekten umgeben. Auf diese wirkt man selbst ein und verändert sie dadurch. Auch Prozesse werden gestaltet, Webseiten designt, Schreibtische aufgeräumt. Daher lohnt ein Blick auf das Design bei der Arbeit. Psychologen und Designer beschäftigen sich dabei mit der Frage, wie ästhetische Urteile zustande kommen und was sie bei der Arbeit bewirken. Hier soll ein kleiner Überblick über Formschönheit im Arbeitskontext gegeben werden, über Produktdesign, Ästhetik, Service Design, Non Intentional Design und Arbeitsgestaltung.

Begriffe

Zunächst ein paar Begriffe. Das Design ist die künstlerisch-ästhetische Gestaltung von Objekten. Ästhetik bedeutet Schönheit oder Harmonie. Der Philosoph der Aufklärung Immanuel Kant sagt, Schönheit ist interesseloses Wohlgefallen. Gestaltung kann sich nicht nur auf Formgebung, sondern auch auf Abläufe oder ganze Umwelten beziehen. Man denke nur an Arbeits- oder Arbeitsplatzgestaltung.

Damit verbunden ist die Ergonomie, bei der es darum geht, Objekte an die physischen und psychischen Eigenschaften von Personen anzupassen. Von Usability – Gebrauchstauglichkeit oder im umfassenderen Sinne Benutzerfreundlichkeit – wird vor allem bei Software oder elektronischen Geräten gesprochen, wenn sie zielführend sind, wenig Aufwand bei gutem Ertrag versprechen und den Nutzer zufrieden stellen.

Produktdesign

Claus-Christian Carbon, Professor für Allgemeine Psychologie an der Universität Bamberg beschäftigt sich mit Produktdesignforschung. Er hat herausgefunden, dass Personen kurvenreiche Produkte mehr mögen als eckige. Beispiel Auto: Wenn man Personen die kantigen Automodelle der 1980er und die kurvig-aufgeblasenen der 2000er Jahre vorlegt, bevorzugen die meisten letztere. Die Entwicklung hin zu mehr Kurvenreichtum kann man auch am Mobiltelefon verfolgen. Verglichen mit den klobigen Ursprungsmodellen sind heutige Smartphones geradezu hingehauchte Hyperbeln.

Ästhetik

Mit der Ästhetik von Websites hat sich Meinald Thielsch, Diplompsychologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Münster, befasst. Er bezeichnet die Formschönheit einer Seite als dritte Dimension neben Inhalt und Usability. Alle drei sind eng miteinander verzahnt. Die Gestaltung erleichtert oftmals die Benutzerführung und damit den Zugriff auf Informationen. Elemente, mit denen die Websiteästhetik beeinflusst werden kann, sind Farbgestaltung, Layout, Typographie, Bilder, Graphiken und Animationen. Er weist auch darauf hin, dass sich ästhetische Urteile schnell bilden und stabil sind. Ein erster Eindruck verfestigt sich also rasch.

Gestalt

Max Wertheimer, Hauptbegründer der Gestaltpsychologie in Würzburg in den 1920er Jahren, wandte sich gegen die Auffassung, Formwahrnehmung von einzelnen Elementen abhängig zu machen. Vielmehr unterliegt die Anordnung oder Größe einzelner Elemente einer mehr oder weniger ausgeprägten Prägnanz. Diese ist gegeben, wenn sich aus den Elementen die einfachste und stabilste Gesamtform ergibt. Das Objekt hat damit eine „gute Gestalt“ und wird als harmonisch und angenehm erlebt.

Dimensionen

Morten Moshagen von der Universität Düsseldorf ist jedoch der Meinung, dass es sehr wohl einzelne Dimensionen gibt, die das ästhetische Urteil bedingen. Und zwar sind dies Einfachheit, Verschiedenartigkeit, Farbe und Kunstfertigkeit in der Ausführung. Zusammen mit Meinald Thielsch hat er einen Fragebogen zur ästhetischen Wahrnehmen von Websites entwickelt und konnte dabei die vier Dimensionen nachweisen.

Service Design

Jenseits von Fragebögen bewegt sich Birgit Mager, Professorin für Service Design an der Köln International School of Design (KISD). Sie hat in Deutschland das Service Design hoffähig gemacht, also die bewusste und kundenorientierte Gestaltung von Dienstleistungen. Als Methode hat sich der Customer Journey etabliert. Servicedesigner laufen dabei zusammen mit dem Kunden die Dienstleistungskette ab und fragen ihn, was er dabei denkt und fühlt. Birgit Mager entwickelte so zum Beispiel die Kölner „Überlebensstation für Obdachlose“ oder neue Services der Siemens-Betriebskrankenkasse für werdende Mütter.

Non Intentional Design

Uta Brandes hat Psychologie und Soziologie studiert und lehrt ebenfalls an der KISD im Fach Gender und Design. Sie hat den Begriff Non Intentional Design (NID) geprägt. Designt wird danach auch jenseits großer Absichten, wenn man sich z.B. aus Büchern einen Untersatz für seinen Bildschirm bastelt oder seinen Schreibtisch mit Fotos seiner Lieben verschönert. Gerade hat sie mit Michael Erlhoff das Buch „My desk is my castle“ veröffentlicht, Resultat einer internationalen Studie, in der die Forscher insgesamt 700 Schreibtische in verschiedenen Ländern untersucht haben.

Sie kommen zu dem Schluss: „Schreibtische sind die Spiegel der eigenen Seele und der Gesellschaft, in der ich lebe. Gerade in unserer schnelllebigen Arbeitswelt suchen wir die Möglichkeit, auch im Büro die eigene Individualität auszuleben und unser Territorium zu markieren.“ Hier auf Wirtschaftswoche online kann man einige eigenwillige Schreibtischdesigns aus aller Welt bewundern. André Sheydin, der an der KISD Interfacedesign studiert hat, hat in seiner Vordiplomsarbeit Beispiele zu Non Intentional Design gesammelt, z.B. Flaschenkorken als Laptopständer.

Arbeitsgestaltung

Arbeitsgestaltung oder Work Redesign widmet sich der Neuorganisation von Arbeitstätigkeiten. Ziel ist es, dass eine Person wieder folgende fünf Vorzüge von Arbeit genießen kann: Vielfalt der Tätigkeiten, Zusammenhang der Aufgaben, Bedeutsamkeit, Autonomie und Feedback. Michael Campion und seine Kollegen haben in einem Beitrag in der Fachzeitschrift Human Resource Management einige Hürden beschrieben, die bei einer guten Arbeitsgestaltung überwunden werden müssen, z.B. individuelle Unterschiede, mit denen Mitarbeiter auf Anreicherung ihrer Arbeitstätigkeit reagieren.

Fazit: Design und Ästhetik sind im Arbeitsalltag allgegenwärtig. Oft nehmen wir Gestaltungsprinzipien, wenn überhaupt, nur beiläufig wahr. Aber es kann hilfreich sein, genauer hinzuschauen und zu überlegen, ob einem das Büro, in dem man arbeitet, wirklich gefällt. Immerhin wird dort ein Großteil der Lebenszeit verbracht, die man über sich ergehen lassen oder genießen kann. Und entsprechend dem Non Intentional Design lässt dich das Vergnügen mehren: andere Bilder an die Wand, Schreibtisch neu organisieren oder sich selbst ein wenig stylen?

Wirtschaftspsychologie aktuell.de

Weiterführende Informationen:

Michael A . Campion, Troy V. Vumford, Frederick P. Morgeson and Jennifer D. Nahrgang (2005). Work redesign: eight obstacles and opportunities (PDF). Human Resource Management, 44, 4, 367–390.

Claus-Christian Carbon (2010). The cycle of preference: Long-term dynamics of aesthetic appreciation (PDF). Acta Psychologica, 134, 233–244.

Manfred Engeser (2011). Büro-Organisation: Was der Schreibtisch über Sie verrät. Wirtschaftswoche online.

Astrid Funck (2007). Von Obdachlosen lernen (PDF). Brand eins, Schwerpunkt: Ideenwirtschaft, 5/2007, 112-116.

Rafael Jaron Meinald T. Thielsch (2009). Die dritte Dimension: Der Einfluss der Ästhetik auf die Bewertung von Websites (PDF). Planung Analyse, 1/2009, 22-25.

Morten Moshagen Meinald T. Thielsch (2010). Facets of visual aesthetics (PDF). International Journal of Human-Computer Studies, 68(10), 689-709.

André Sheydin (2008). Anleitungen zum Non Intentional Design: Vorkommen im World Wide Web und Konzeption eines NID-Archivs (PDF). Vordiplom an der Köln International School of Design.

Meinald T. Thielsch (2008). Ästhetik von Websites: Wahrnehmung von Ästhetik und deren Beziehung zu Inhalt, Usability und Persönlichkeitsmerkmalen. Münster: MV Wissenschaft.

Max Wertheimer (1923). Untersuchungen zur Lehre von der Gestalt (PDF). Psychologische Forschung: Zeitschrift für Psychologie und ihre Grenzwissenschaften, 4, 301-350.

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