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Reiche haben weniger Mitgefühl
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Artikel zum Thema
- «Es kommen nicht so viele reiche Deutsche nach Zürich»
- Aktivisten besuchen Reiche an der Upper East Side
- Schweiz mit Abstand reichstes Land der Welt
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Die Klassengesellschaft im Film «Titanic» scheint arg romantisiert: Oben auf dem teuren Erste-Klasse-Deck versuchen sich die Spitzen der Gesellschaft bei steifen Festen gegenseitig zu beeindrucken und die Töchter reich zu verheiraten. Unten in der dritten Klasse geht es rauer, aber herzlicher zu. Und natürlich wächst nur hier die wahre Liebe. Bloss ein Hollywood-Klischee? Nicht ganz. Diesen Schluss legen neue Forschungsergebnisse nahe, die der Psychologie-Professor Dacher Keltner von der University of California in Berkeley jetzt zusammengefasst hat: Menschen aus den unteren Schichten sind grosszügiger und erkennen besser, wie es anderen geht.
Dabei hätten die unteren Zehntausend genügend Gründe, weniger an andere zu denken, argumentiert Keltner. Sie leben oft in sehr anstrengenden Verhältnissen. Laut Forschungsergebnissen sind ihre persönlichen Beziehungen überdurchschnittlich stressig, und natürlich haben sie weniger abzugeben als Bessergestellte.
Wer mehr hat, spendet weniger
Trotzdem spenden Arme offenbar einen höheren Anteil ihres Einkommens als Reiche. Eine Umfrage der Dachorganisation der amerikanischen Wohltätigkeitsverbände hat ergeben: Haushalte mit einem Jahreseinkommen unter 25'000 Dollar spenden 4,2 Prozent ihres kümmerlichen Budgets, Familien mit mehr als 100'000 Dollar hingegen geben nach eigenen Angaben nur 2,7 Prozent ab.
Ein ähnliches Bild ergab eine Untersuchung von Wohltätigkeitsforschern der in San Francisco ansässigen New Tithing Group, die sich nicht auf Selbstauskünfte verlassen wollten und Steuererklärungen von unter 35-Jährigen auswerteten. Diejenigen mit einem Jahreseinkommen von unter 200'000 Dollar spendeten 1,9 Prozent ihres Vermögens. Wer mehr kassierte, stiftete dagegen nur ein halbes Prozent. Das galt sogar für die jungen Grossverdiener mit einem Jahresverdienst von über zehn Millionen. Neureiche Internet-Unternehmer scheinen nicht besonders spendabel zu sein.
Entlarvendes Diktator-Spiel
Keltner und seine Kollegen haben sich diese merkwürdige Verteilung der Grosszügigkeit im psychologischen Labor genauer angesehen. Einmal liessen sie Studenten das sogenannte Diktatorspiel spielen. Das geht einfach: Die Versuchsperson erhält zehn Spielpunkte, die hinterher in Geld getauscht werden. Die Punkte soll sie mit einem Partner teilen, den sie nie kennen lernen wird – und der in Wirklichkeit gar nicht existiert. Einen Grund zum Abgeben gibt es nicht, ausser dem Gerechtigkeitsgefühl des Probanden. Das Ergebnis: Teilnehmer, die sich selbst auf der sozialen Stufenleiter tiefer einstufen, teilen fairer. In dieser Studie gaben Ärmere also nicht nur relativ zu ihrem bescheidenen Besitz mehr ab, sondern auch in absoluten Zahlen.
Nun könnte es natürlich sein, dass nicht der fehlende Wohlstand an sich sozialer macht, sondern irgendetwas, was damit zusammenhängt. Vielleicht sind Angehörige der Unterschicht ja religiöser oder politisch weiter links und geben deshalb mehr. Keltners Team wollte aber wissen, welche Folgen es hat, wenn sich jemand in der Gesellschaft unten sieht. Deshalb erzeugten die Forscher dieses Gefühl in einer weiteren Studie auf subtile Weise künstlich. Studenten bekamen das Bild einer Leiter mit zehn Stufen gezeigt. Ganz oben sollten sie sich die Leute vorstellen, denen es am besten geht: mit dem meisten Geld, der besten Ausbildung und den angesehensten Berufen.
Dann folgte die Frage: Wo würdest du dich im Vergleich selbst einstufen? Die Studenten gaben sich bei dieser Testanordnung einen eher bescheidenen Platz. Die Kontrollgruppe in diesem Experiment, die sich mit denen ganz unten zu vergleichen hatte, empfand sich als etwas Besseres. Wie sich zeigte, ist das Gefühl, sozial unten zu stehen, bezüglich des Verhaltens tatsächlich entscheidend. Die Gruppe, die sich als schwächer empfand, forderte, dass man 4,7 Prozent seines Einkommens spenden sollte. Die subjektiv reiche Gruppe hingegen plädierte für 3 Prozent.
Keine kulturellen Unterschiede
Aber warum sind Menschen grosszügiger, wenn sie arm sind oder sich auch nur so fühlen? Weil wenig Begüterte aufeinander angewiesen sind, sagen die Forscher. Reiche können für sich selbst sorgen, Arme nicht. Psychologie-Professor Keltner ist selbst in einer armen Gegend aufgewachsen und beschreibt das Lebensgefühl so: «Es gibt immer einen, der dich irgendwohin mitnimmt oder auf dein Kind aufpasst. Man muss sich einfach gegenseitig helfen.»
Dieses Prinzip zeigt sich auch kulturübergreifend. Joseph Henrich von der University of British Columbia und seine Kollegen baten Angehörige von 15 verschiedenen Stammesvölkern zum «Ultimatum-Spiel». Ein Spieler erhält dabei ein bis zwei Tageslöhne, doch er darf sie nur behalten, wenn er einem anderen einen fairen Anteil abgibt. Findet der andere das Angebot zu niedrig, gehen beide leer aus.
Angehörige des indonesischen Lamerala-Stamms, die fürs Überleben aufeinander angewiesen sind, boten im Schnitt 58 Prozent – wollten also mehr abgeben als behalten. Die Angehörigen des peruanischen Machiguenga-Stamms hingegen, die ökonomisch kaum aufeinander angewiesen sind, offerierten nur 26 Prozent. Doch auch Reiche können grosszügig sein, wenn es gelingt, ihr Mitleid zu wecken. Das tat Keltners Team, indem es Versuchsteilnehmern einen Filmausschnitt über Kinderarmut zeigte. Anschliessend konnte ein jeder einer vermeintlichen anderen Versuchsteilnehmerin helfen: Er konnte entscheiden, wie viele zeitaufwendige Aufgaben er der offensichtlich gestressten Frau zuschob und wie viele er selbst erledigte. Ohne den Film übernahmen Teilnehmer aus der Oberklasse kaum mehr als unbedingt nötig. Nach dem mitleidserregenden Film dagegen machten sie einen Grossteil der Arbeit selbst. Probanden aus bescheidenen Verhältnissen dagegen halfen auch ohne Film. Offenbar brachten sie genügend Mitleid mit.
Egozentrisches Verhalten
Arm sein lässt Menschen aber nicht nur bereitwilliger helfen, es befähigt sie auch, die Nöte anderer überhaupt wahrzunehmen. In weiteren Studien Keltners erkannten Versuchspersonen, die nur einen Highschool-Abschluss hatten, die Gefühle anderer besser als die Gebildeteren und somit besser Bezahlten.
Diese interessieren sich auch nicht besonders für die Gefühle ihres Gegenübers. Als Keltners Team jeweils zwei Studenten zum Kennenlernen zusammenbrachte, spielten diejenigen aus besseren Verhältnissen eher mit irgendwas herum, kritzelten nebenbei oder schauten nach neuen Nachrichten auf dem Handy. «Unsere Daten sagen, dass man nicht erwarten kann, dass Reiche etwas zurückgeben», folgert Keltner aus den Studien, «das ist psychologisch unwahrscheinlich.» Der Wohlstand führe zum Gegenteil: «Was Reichtum, Bildung und Prestige und eine gute Position im Leben einem geben, ist die Freiheit, sich auf sich selbst zu konzentrieren.» (Tages-Anzeiger)
Erstellt: 21.11.2011, 19:28 Uhr
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13 Kommentare
susanna kim
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Habe während dem Studium mal bei einem Treuhänder gejobbt, daher wundert mich das Fazit des Artikels nicht. Personen, die mehrere Millionen Einkommen pro Jahr versteuert haben kamen gerade mal auf 150.- Abzüge bei den gemeinnützigen Spenden. Einfach nur peinlich! Jeder Mittelständer zahlt weit mehr Spenden.
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isabella jaller
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erstaunt mich nun gar nicht. ist nichts neues. wir sehen es auch im alltäglichen leben. seit so viele reiche in die CH gekommen sind, hat der umgang bezüglich höflichkeit, hiflsbereitschaft und respekt sich negative verändert. ich ärgere mich darüber und geben mir dennoch mühe... aber diese reichen, die nur wegen dem geld kommen, helfen nicht wirklich.
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Hans Kurz
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Wie es so schön heisst: Bei den Reichen lernt man sparen.
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Rima Kauf
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Na ja, verwunderlich ist dieser Kommentar nicht. Schon der Volksmund sagt: Bei den Reichen lernt man sparen.
Bin selber in einer Hilfsorganisation und bekam von einem Bekannten (Multimillionär) fr. 20.00 Spende auf einen Aufruf........Also, reich sein ist dev. unsozial. Punkt.
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Schorsch Baschi
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Genau aus diesem Grund sollten die Reichen und Superreichen auch drastisch mehr Steuern bezahlen. Und wenn denen das nicht passt, können sie ja weiterziehen. Das sagt diese Kaste ja immer, wenn es um ihren Profit geht. Es sind reine Egomanen und alles was die tun ist nur zu ihrem Vorteil.
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Lea Hueber
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Schon mal überlegt, dass vielleicht die Armen nicht sozialer sind, weil sie arm sind, sondern arm, weil sie sozialer sind? Das wäre meine Theorie; um reich zu werden braucht man eine gewisse Skrupellosigkeit, die gewisse Leute nicht haben und es deshalb nie zu viel Geld bringen.
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Sonja Maier
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Frau Huber, den Verdacht habe ich auch. Ich kenne einige aus armen Verhältnissen stammende v.a. junge Menschen, und die sehen es als spassig an, andere abzuzocken. Null Mitgefühl, Hauptsache die eigene Kasse stimmt. Man nennt diese jungen Menschen Banker-Kundenberater. Jemanden etwas schenken (und sei es eine Schachtel Pralinen zum Geburtstag) finden die als Verschwendung und unnötig.
Ronnie König
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Dutti widerlegt ihre Behauptung. Es folgt Gates. Lesen sie mal das Stiftungsbuch. Manchmal brauchts ein ganzes Reichenleben bis man die soziale Chance erkennt.
monika weinfeld
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... geld verdirbt den charakter. eine weisheit, die schon lange besteht und nun, so scheint es zumindest, wissenschaftlich bewiesen wurde. es ist an der politik die reichen egos zur wohltat und zur (monetären) solidarität zu zwingen. denn, wenn wir auf deren almosen warten, werden wir nur enttäuscht. ein legitimes fazit dieses artikels.
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James Lehmann
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Sehr interessante Studie. Mal soviel dazu, dass die Reichen eine grosse Stütze unserer Gesellschaft sein sollen. Sie konzentrieren sich anscheinend eher auf sich selber. Deshalb muss die Zivilgesellschaft auch den Mythos aufgeben, dass wir alles nur den Reichen zu verdanken haben. Fast alle wichtigen Erfindungen wurden von Studierten aber nicht reichen Leuten gemacht.
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Ruth Meier
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Warum wundert es mich nicht, dass die Reichen weniger Mitleid haben als die Armen?
Der Artikel passt wunderbar zu demjenigen "Luchsinger wollen bleiben". Wenn man die Leserbriefe liest, wird genau das beschrieben, wenn auch in anderen Worten. Ein grosser Teil der Schweizer finden es gut und richtig, dass ein 89-jähriger aus einer gewohnten Umgebung ausziehen muss. Mensch, wo habt ihr das Herz?
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