05.02.2015
0:1 gegen den FC Augsburg. Krise bei Borussia Dortmund. "Die Störungen sitzen tief und fest drin in den Systemverästelungen", sagt unser Experte Reinhard Rehberg und analysiert die Situation beim Tabellenletzten. "Hier geht es auch um Psychologie."
Borussia Dortmund? Tabellenletzter. Das ist nicht eine kleine missliche Momentaufnahme. Das hat sich für den Spitzenklub längst ausgewachsen zu einem strukturellen Problem.
Zehn Niederlagen in 17 Spielen. Kein anderer Bundesligist hatte in der Hinrunde öfter verloren. Diese Systemstörungen sollten in der vierwöchigen Winter-Vorbereitung repariert werden. Doch das von den Spielern nahezu seelenlos erduldete 0:1 im ausverkauften Signal-Iduna-Park gegen den nicht mehr als mittelprächtig aufspielenden FC Augsburg hat gezeigt: Das Problem ist überhaupt nicht behoben, die Störungen sitzen tief und fest drin in den Systemverästelungen. Wir sprechen hier vom Champions-League-Finalisten von 2013, vom Deutschen Meister von 2011 und 2012, vom deutschen Vize-Meister von 2013 und 2014.
Zum Verzweifeln. Jürgen Klopp. Foto: dpa
Spielstil über Jahre in Europa gefeiert
Und wir sprechen von Jürgen Klopp. Ein Trainer, der in Dortmund aus einer ruinösen Startposition heraus über sechs Jahre einen in ganz Europa gefeierten Spielstil entwickelt hat. Der eine als unbeugsam geltende Mannschaft gebaut hat, die – als emotional permanent unter Starkstrom stehendes Kollektiv - eine Botschaft vermittelt hat: Wir befinden uns auf einer Mission!
Tabellenletzter: elf von 19 Spielen verloren – nur vier von 19 Spielen gewonnen.
Rein sportlich betrachtet wird man diesem Absturz nur bedingt näher kommen. Viele Langzeitverletzte und sehr zügig wieder eingesetzte Rekonvaleszenten ohne Form. WM-Spieler ohne Vorbereitung. Den Weltklassemittelstürmer Robert Lewandowski verloren, einen Mann, der nicht nur getroffen, sondern auch noch die Bälle angesogen und verteilt hat im Angriffszentrum, diese überragende individuelle Qualität war im Transfersommer nicht zu finden auf dem internationalen Markt.
Dazu der im Vollgasmodus durchgezogene Pressing- und Umschaltspielstil, auf den einige Gegner inzwischen passende Antworten gefunden haben. Auch das kann eine Rolle spielen. Aber das sind Gründe, die vielleicht den Rückstand zum übermächtigen FC Bayern vergrößert und den Vorsprung vor anderen finanzkräftigen Klubs verringert haben. Aber das sind keine Gründe, die erklären, warum Borussia Dortmund Letzter ist.
Es geht auch um Psychologie
Hier geht es (auch) um Psychologie. In dieser Mannschaft ist das Feuer erloschen. Ein Kollektiv, das sich darüber definiert hat, diesen Profijob anders anzugehen als alle anderen, das auf diesem Weg von Sieg zu Sieg geeilt ist, findet keine Mittel, mit ausbleibendem Erfolg umzugehen. Das von Jürgen Klopp implantierte Wertesystem, das jeden Spieler jeden Tag stolz gemacht hat, in einer besonderen, in einer außergewöhnlich besonderen Mannschaft zu spielen, hat im anhaltenden Misserfolg Risse bekommen.
Das mag begonnen haben mit der WM in Brasilien. Fünf Dortmunder kehrten zurück als Weltmeister. Lediglich Mats Hummels war Stammspieler. Aber bei der Jubelorgie in Berlin wurden auch die Mitläufer Roman Weidenfeller, Erik Durm, Matthias Ginter und Kevin Großkreutz gefeiert wie Helden. Wenn die genannten Spieler, von denen keiner seitdem auch nur zu einer Normalform gefunden hätte, diesen Status auch nur ansatzweise in den Klubkader getragen haben, dann ist das Gift gewesen für das bis dahin nicht zu erschütternde Zusammengehörigkeitsgefühl. Dazu kommen die diversen Schlagzeilen um Marco Reus, der einzige, der im Angriff auf einem Lewandoswki-ähnlichen Niveau spielen könnte: die WM verpasst, ständig verletzt, Millionenangebote von sämtlichen Spitzenklubs in Europa, das Führerscheingetöse.
Ungute Bilder setzen sich im Kopf fest
Und wenn sich dann nach diversen Niederlagen und immer wieder neuen Rückschlägen die unguten Bilder in den Köpfen festsetzen – wir Menschen neigen nun mal dazu, negativen Erlebnissen eine größere, eine nachhaltiger wirkende Bedeutung beizumessen als Glücksmomenten – dann lässt sich das nur korrigieren über ein wehrhaftes, willensstarkes, auf gemeinsame Werte eingeschworenes, unter Feuer stehendes Kollektiv. Das ist in Dortmund nicht mehr erkennbar.
Die Resignation ausdrückende Körpersprache von einstigen Säulen wie Mats Hummels, Neven Subotic oder Marco Reus in der Augsburg-Partie sprach Bände. Verloren gegangene Überzeugung, weggebrochenes Selbstvertrauen, negative Gedanken, eine zerbröselte Teamstabilität. All das kann sogar einstige Seriensieger zu – im sportlichen Sinne traumatisierten – Dauerverlierern machen. Mag sein, dass Jürgen Klopp, der anerkannte Spezialist für Problemlösungsstrategien, ankämpft gegen einen Systemabsturz.