Quo vadis, Landreform? – Ukraine

Eine Landreform ist die letzte Möglichkeit eines Staates seine Probleme in ländlichen Regionen zu lösen. In letzter Zeit wurde in Expertenkreisen und Massenmedien eine Diskussion über die Schaffung eines Marktes für landwirtschaftliche Nutzflächen in der Ukraine laut. Als wichtigster Anlass dafür diente die Verabschiedung des Gesetzes „Über den Bodenmarkt“, das schon nach der ersten Lesung in der Obersten Rada am 7. Dezember 2011 angenommen wurde. Diesbezüglich haben sich schon Berufspolitiker wie auch Politologen, sowie Fachleute aus Gebieten von Bodenkunde bis Psychologie geäußert. Meiner Meinung nach fand aber ein seriöser professioneller Austausch über die ökonomischen Folgen der Landreform noch nicht statt. Verglichen mit dem von der ukrainischen Regierung vorgelegten Gesetzesentwurf, der viele Schwachstellen enthält, ist der heute in der Rada diskutierte Gesetzesentwurf überhaupt nicht annehmbar.

Ich denke, dass es vor dem Beginn einer jeden Wirtschaftsreform notwendig ist, öffentlich, offen und verständlich ihr ZIEL zu erklären. Denn die Ziele, die den Entwicklern dieser Landreform gestellt wurden, sind unbekannt und für keinen Bewohner ländlicher Gegenden verständlich: weder für die Besitzer entsprechender Nutzflächen noch für Landwirte. So kann diese Herangehensweise auch nicht zum Erfolg führen. Zum zweiten Mal denselben Fehler zu begehen wie mit dem Steuergesetzbuch, oder mit den Sozialleistungen für die Tschernobylliquidatoren und Afghanistankriegsveteranen der 1980-er Jahre ist sehr riskant, denn es würde die Interessen von mehr als einem Drittel der ukrainischen Bevölkerung betreffen sowie irreversible schädliche Folgen nach sich ziehen.

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Quid prodest? (Wem nützt es?)

In den ländlichen Gebieten der Ukraine leben fast 14 Millionen Menschen. Der ökonomische Trend zur Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion verdrängt unqualifizierte körperliche Arbeit und reduziert die Zahl der Arbeitsplätze beträchtlich. Das kann dazu führen, dass mehr als die Hälfte der derzeit in der Landwirtschaft Beschäftigten ihre Arbeit verlieren und sich unterhalb der Armutsgrenze wieder finden wird. Einige Millionen Menschen werden in eine ausweglose Situation geraten. In den Städten kann man im Falle eines Jobverlustes leichter einen anderen Arbeitsplatz finden oder seine Qualifikation ändern. Den Menschen auf dem Land dagegen steht für gewöhnlich keine andere Möglichkeit der Arbeit offen als in der Landwirtschaft. Deshalb sollte eine Landreform auch ein staatliches Förderprogramm beinhalten, das den unausweichlichen Transformationsprozess in der landwirtschaftlichen Produktion möglichst schmerzlos durchzustehen hilft, neue Arbeitsplätze im Bereich Dienstleistungen schafft (grüner oder Kulturtourismus, Kunsthandwerk etc.) und eine qualitativ abgesicherte und durchdachte Migration der Landbewohner in die Städte gewährleistet. Das Programm sollte durch staatliche Einnahmen aus Gewerbeanmeldegebühren wie auch aus Abgaben auf Erlöse aus Landveräußerung durch die Bauern finanziert werden. Sie sollte die Entstehung von hochqualifizierten Arbeitsplätzen fördern, eine Umschulung von im Agrarsektor beschäftigten und eine Subventionierung der Hypothekenkredite für städtisches Wohneigentum im Rahmen eines Förderprogramms „Preisgünstiges Wohnen“ für ehemalige Landwirte bieten.

Zu Aufgaben einer Landreform gehört auch die Anziehung von neuen Technologien in den Agrarsektor, was zu einer Preissenkung von Lebensmitteln beitragen würde, deren Anteil im Warenkorb der Ukrainer mehr als 55% beträgt. Möglich ist dies durch eine Errichtung von Wettbewerbsmechanismen auf dem Binnenmarkt, einen Anstieg der Exporterlöse und eine Gewährleistung von Geldwertstabilität. Die Agrarproduktion ist heute eines der führenden exportorientierten Wirtschaftszweige des ukrainischen Staates. Sie sichert die Stabilität der Hrywnja, den Zahlungsbilanzüberschuss und die Versorgungssicherheit des Landes. Übrigens sind es nicht die Regierung oder ihre Beamten, die für eine relativ niedrige Inflation in der Ukraine in 2011 verantwortlich sind, sondern Landwirte, die mit ihrer unermüdlichen Arbeit Rekordernten einfahren konnten.

Eine effektive Agrarreform muss zur makroökonomischen und finanziellen Stabilität der Ukraine führen. Unter zivilisierten Bedingungen einer transparenten Geschäftstätigkeit wird das Volumen ausländischer Direktinvestitionen in den entstandenen Bodenmarkt und die Agrarproduktion der Ukraine einen bedeutenden Anteil am Gesamtzahlungsvolumen sichern, das für eine Bedienung der Auslandsschulden des ukrainischen Staates notwendig ist. Die Frage eines Zuflusses ausländischer Direktinvestitionen erfordert eine schnelle und unaufschiebbare Lösung, denn der Großteil der staatlich garantierten Rückzahlungen der Auslandsschulden hat einen kurzfristigen Charakter und kann damit bald zu einer ernsthaften Bedrohung der nationalen Sicherheit avancieren.

Die Schaffung eines modernen Marktes für Land würde auch zahlreiche positive Nebeneffekte haben, unter denen man folgende herausgreifen kann:

  • Einsatz von innovativer Strategien, im Besonderen im Bereich der Energieeinsparung;
  • Errichtung von transparenten Verwaltungsinstitutionen;
  • Entstehung einer finanziellen Basis der Sozialsphäre auf dem Land;
  • Entwicklung der Infrastruktur in ländlichen Gebieten.

Ab initio nullum, semper nullum (Aus anfänglichem Nichts bleibt immer ein Nichts)

Der Gesetzesentwurf „Über den Bodenmarkt“ stellt einen wirklichen Quell an Gefahren für Bewohner der ländlichen Gebiete in der Ukraine dar. Zu seinen wesensmäßigen Schwachstellen kann man die Idee der Gründung einer „Staatlichen Bank für Land“ zählen, die Kredite für „Prioritätsprojekte“ im Agrarsektor monopolistisch für 3% unter dem Zinssatz der Ukrainischen Nationalbank vergeben würde. Auf einen konkreten Zinssatz der Notenbank wird nicht verwiesen, was für die „Kompetenz“ der Urheber des Gesetzesprojekts spricht. Eine Einlagenbasis respektive eines solch geringen Zinssatzes anzuziehen ist nicht realistisch, sodass die einzige Geldquelle der „Bank für Land“ eine Refinanzierung durch die Nationalbank sein kann, d.h. eine durch nichts gedeckte Emission des nationalen Kreditgeldes durch die Zentralbank.

Das Bankensystem des Landes leidet heutzutage am Mangel an verlässlichen Kreditnehmern, die auch Besitzer von landwirtschaftlichen Nutzflächen sein könnten. Genauso schleierhaft ist die Zukunft von denjenigen Banken, die das Geld schon in die Agrarproduktion investiert haben, das Geld, das u.a. auch aus Einlagen von Millionen ukrainischer Bürger stammt. Diese Einlagen stellen keine zusätzliche Belastung für den Staatshaushalt und das Finanzsystem des Landes dar.

Vielleicht, so meinen die interessierten Staatsbediensteten, würden die exklusiven Rechte einer „Staatlichen Bank für Land“ dabei helfen ihre Korruptionsstrategien in Ruhe zu realisieren: einen Aufkauf des Landes von Bauern unter Wert und eine Konzentration der Landflächen in einer Größenordnung von 10-15 Mil. Hektar. Das Ziel eines solchen Geschäfts wäre eine weitere Spekulation mit ukrainischem Land auf den Weltmärkten. Ich bin aber überzeugt, dass kein staatlicher Investitionsfonds aus China, Ländern Südostasiens, des Persischen Golfs und anderer reicher Länder sich mit „schmutzigen“ Aktiva würde befassen wollen.

Außerdem werden Bankengründungen durch das Gesetz „Über Banken und Bankenwesen“ reguliert und sollten daher nicht durch das Gesetz „Über den Markt für Land“ bestimmt werden, da es dem geltenden Recht widerspricht. Die Urheber des Projekts geben ihren bürokratischen „Neuerungen“ die einzigartige Möglichkeit Land als Pfand zu nehmen. Ich bezweifle sehr stark die Effektivität eines solchen Instituts. Ich möchte diejenigen fragen, die eine persönliche Bereicherung unter Ausnutzung eines staatlichen Mechanismus im Blick haben, ob es schon vielen Gerichtsvollziehern gelungen ist Waschmaschinen und Kühlschränke, die mithilfe von Konsumentenkrediten gekauft wurden, zu konfiszieren? Können Sie sich nur vorstellen, was geschehen würde, wenn zu einer Dorffamilie Gerichtsvollzieher kommen, um ihr an die Hypothek verpfändetes Land wegzunehmen, selbst in Begleitung eines Dutzends bewaffneter Soldaten? Wie würde eine regierungsnahe politische Partei nach einer Reform in der Bevölkerung dastehen? Die Antwort ist offensichtlich.

Die unmittelbare ökonomische Folge der Annahme dieses Gesetzesentwurfs würde ein Stopp oder eine Kündigung der Mietverträge über landwirtschaftliche Nutzflächen mit großen Spielern auf dem Agrarmarkt sein, die nicht nur hauptsächliche Produzenten und Exporteure landwirtschaftlicher Güter sind, sondern auch große Steuerzahler in die Staatskasse. Ein Großteil von ihnen haben schon mit Initial Public Offering begonnen, will heißen, haben schon ausländische Portfolioinvestitionen durch eine Emission von Börsenwertpapieren angelockt und haben Hunderte Millionen Euro vor allem aus den Rentenfonds der Länder der EU erhalten.

Es stellen sich viele Fragen zu einer Qualität der Marktbeziehungen, einer Gleichstellung von Teilnehmern des Finanzmarktes und anderen Grundanforderungen an eine wirtschaftliche Sicherheit. Mehr noch, eine unsachgemäße Intervention von Agrarlobbyisten in den Gesetzgebungsprozess, der den Finanz- und Bankensektor reguliert, stellt eine ernsthafte Bedrohung für die Versorgungssicherheit des Staates dar.

Timeo danaos et dona ferentes (Ich fürchte die Danaer, auch wenn sie Geschenke bringen)

Noch im Jahr 2001 wurde bei der Annahme des ukrainischen Gesetzbuches über Land bestimmt, dass eine Landreform mit der Schaffung eines Liegenschaftskatasters von Ukraine und der Festlegung eines Mindestpreises für ein Hektar Land beginnen muss. Heute erklärt die Regierung, dass das Arbeitstempo an der Schaffung eines Liegenschaftskatasters rapide zugenommen hat. Es würde folglich besser sein, wenn die Urheber des Gesetzentwurfs und die Volksvertreter erst diese Arbeit beenden, anstatt als Nichteingeweihter die ganzen ungeahnten Schwierigkeiten dieser Arbeit auf sich zu nehmen. Denn dem zur Debatte stehenden dem Volumen nach großen Gesetzentwurf fehlt gerade das Wichtigste: die Festlegung eines Mindestpreises für Land. Mehr noch, die Information über einen durch das Gesetz und nicht durch Regierungsbeamte festgesetzten Preis für landwirtschaftliche Nutzflächen muss in jeder Region von Ukraine jedem interessierten Bürger zugänglich sein.

Heute zahlen ukrainische Landpächter, das weiß ich aus eigener Erfahrung, 5 bis 7% des standardmäßig geschätzten Wertes für landwirtschaftliche Nutzflächen, der durchschnittlich 18-19.000 Hrywnja pro Jahr beträgt. Dieser Preis ist in Verwaltungsvorschriften und Gesetzgebungsakten niedergelegt. Unklar ist, wer und wofür heute an einer Preissenkung für Land interessiert ist, um zwei- bis dreimal größere Flächen zu kaufen. Eine dringende Notwendigkeit zu einer Beschleunigung des Besitzerwechsels des Landes ist jetzt nicht vorhanden. Wer dringend Land kaufen wollte, würde es auch zu einem höheren Preis machen, was allgemein nicht wohlhabenden Landbewohnern nur nützen würde. Andererseits würde eine Mindestpreisregelung Spekulationsgeschäfte mit Land verhindern. Vielleicht erhofft sich ja einfach jemand dabei Landgrundstücke zu seinen Gunsten aufzukaufen und sich aus der Verantwortung zu stehlen, indem er sie auf denjenigen übertrug, der dieses Gesetz nach seiner Verabschiedung durch das Parlament gegenzeichnen soll. Ich bin überzeugt, dass es denjenigen nicht gelingen wird, die am Ausrauben des ukrainischen Volkes beteiligt sind.

Salus populi suprema lex (Das Gemeinwohl ist das höchste Gesetz)

Ein Vorzugsrecht zum Erwerb eines Landgrundstücks sollte folgendem Personenkreis offen stehen: Besitzern von anliegenden Grundstücken und Bearbeitern dieser Grundstücke. Ausländer sollten, wegen der starken sozialen Aversion unserer Mitbürger gegen einen solchen Schritt, kein Recht zum Landerwerb haben. Aber laut einer Norm aus Artikel 3 des erwähnten Projekts der Legislative werden auch territoriale Körperschaften in Vertretung ihrer Organe der Selbstverwaltung zu Subjekten des Marktes für landwirtschaftliche Nutzflächen. Es ist interessant, woher in den örtlichen Haushalten das Geld zum Erwerb von Land kommen soll. Anstatt den Mitgliedern ihrer Selbstverwaltungskörperschaft qualitative öffentliche Dienstleistungen anzubieten, gibt man den örtlichen Verwaltungschefs eine Quelle zur Korruption in die Hand, z. B. für einen freiwilligen Verzicht an der Teilnahme am Aufkauf von Land. Das widerspricht unmittelbar dem verfassungsmäßigen Verständnis über die Aufgaben der Selbstverwaltungsorgane. Außerdem wird die öffentliche Hand laut Gesetz als ein gleichberechtigtes Wirtschaftssubjekt angesehen. Entsprechend dürfen die Vertreter staatlicher Stellen keinerlei Privilegien haben, denn ihr Vorhandensein wird mit dem einfachen und allgemeinv