Psychologen erforschen eine neue Art der Therapie: Menschen mit einer Angststörung sollen in einer virtuellen Realität ihrer schlimmsten Furcht begegnen und sie überwinden.
© Andrew Winning/Reuters
Das Bild dieser mexikanische Rotknie-Vogelspinne kann mehr Angst machen, als das Wissen um die Anwesenheit einer solchen.
Der Ort, an dem Albträume wahr werden, ist mit grau meliertem PVC ausgelegt. In der Ecke steht ein Tisch mit PC-Monitoren, an der Wand ein Holzregal – auf den ersten Blick alles unauffällig. Wäre da nicht dieses Ungeheuer. Eine Spinne, groß wie ein Hamster, sitzt mitten im Raum. Unablässig hebt und senkt sie ihre langen Beine und lässt ihren fetten rotbraunen Hinterleib beben. Erst duckt sie sich und präsentiert das helle Kreuz auf ihrem Rücken, dann bäumt sie sich drohend auf und kommt näher.
»Eine richtige Kreuzspinne«, sagt Andreas Mühlberger stolz. Die krabbelnde Kreatur ist am Computer entstanden und wird von zwei 3-D-Projektoren auf einen Bildschirm in der Wand geworfen – sie ist nur ein virtuelles Wesen. Äußerst echt sind allerdings die Schauer, die sie einem über den Rücken jagt. »Gut so«, sagt Mühlberger. Der Psychologe von der Universität Würzburg erforscht die emotionale Wirkung von virtuellen Welten.
Er gehört zu einer wachsenden Gruppe von Wissenschaftlern, die eine neue Variante der Verhaltenstherapie erkunden: die Konfrontation in simulierten Realitäten. Diese Darstellungen erinnern an Computerspiele, nur geht es hier nicht ums Vergnügen. Angstpatienten sollen ihrer Furcht begegnen und sie überwinden. Mittels spezieller Monitorbrillen oder 3-D-Projektoren tauchen sie in Welten ein, die ihnen das Gefühl geben, in schwindelnder Höhe über eine Brüstung zu lugen, in einem Flugzeug zu fliegen oder in einen Schrank eingesperrt zu sein. Sogar virtuelle Cafés gibt es, in denen Menschen mit Sozialphobie Small Talk üben sollen. Und in den USA versetzen Therapeuten Soldaten zur Überwindung von Traumata an virtuelle Kriegsschauplätze.
Die Wissenschaftler wollen so die Versorgung von Angstpatienten verbessern, Wartezeiten verkürzen und Betroffene erreichen, die sich einer herkömmlichen Therapie verweigern. Für einige Angststörungen hat sich das Verfahren schon als erfolgreich erwiesen. Nebenbei liefern die Ergebnisse erstaunliche Einblicke in eine Eigenart der menschlichen Wahrnehmung: unsere massive Beeinflussbarkeit durch Bilder.
Mit Flugangst im Simulator
Andreas Mühlberger hat sich in Würzburg ein kleines Arsenal an Folterinstrumenten zugelegt. In einem zweiten Labor setzt er Personen mit Flugangst in einen hydraulisch gesteuerten Sitz, der an ein Jahrmarktgefährt erinnert. Das Gerät kann vibrieren und bedrohliche Schieflagen einnehmen, während der Patient mittels einer Spezialbrille mit eingebautem Monitor visuell in ein Flugzeug versetzt wird. Dreht er seinen Kopf, bewegt sich das Bild auf dem kleinen Monitor automatisch mit. Beim Blick aus dem virtuellen Fenster etwa sieht er bei Start oder Landung die Landschaft vorbeiziehen. Mühlberger kann auch Durchsagen der Stewardess oder Gewittergrollen einspielen und auf Turbulenzen umschalten.
Es ist eine Erfolgsstory der Verhaltenstherapie, Ängste mithilfe von Konfrontation zu überwinden, der Nutzen ist seit Langem belegt. Bisher müssen Patienten dafür aber echte Spinnen anfassen, überfüllte Kaufhäuser betreten, auf Kirchtürme oder in ein Flugzeug steigen. Sie lernen dabei, dass ihnen nichts zustößt und die Angst mit der Zeit von allein abnimmt. »Die Methode ist sehr effektiv«, sagt Mühlberger, »aber leider wird sie in der Praxis zu selten angewendet.« Für viele Therapeuten seien Ausflüge schon aus Zeitgründen kaum möglich. Außerdem hätten viele Patienten so große Angst, dass sie sich der Konfrontation verweigerten.
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