Psychologische Unterstützung für die Zukunft Libyens

Ein psychosoziales Zentrum für Kinder und Jugendliche eröffnet in Tripolis mit österreichischer Unterstützung

Das Libya Youth Center im belebten Stadtteil Dahra in Tripolis liegt an einer vielbefahrenen Straße. Das Gebäude fällt vor allem durch seine Hausnummer auf - in Tripolis eine Seltenheit. Hier soll ab Anfang April traumatisierten Kindern und Jugendlichen ein stabiles und sicheres Umfeld geboten werden, um die Erlebnisse des letzten Jahres zu verarbeiten. Trotz der zentralen Lage des großflächigen, verschachtelten Gebäudes hat man das Gefühl, in eine Oase einzutreten: Neben den freundlichen und bunten Bereichen für Kinder und Jugendliche findet sich im Hinterhof sogar ein kleiner Garten, der schon bald zu einem Spielplatz umfunktioniert wird.

Die Koordinatorin des Projekts, die 31-jährige Vorarlbergerin Nina Borufka, sieht von ihrem Büro aus in den Hinterhof. "Wir sind sehr stolz auf das Gebäude und die grünen Flächen. Die schöne Atmosphäre soll einen Beitrag zum Gelingen der Therapie leisten." Sie ist bereits seit dem 12. November 2011 im Land und hat sich schon an die arabischen Gepflogenheiten gewöhnt. Nach der monatelangen Vorbereitungsphase kann Borufka die offizielle Eröffnung des Kinder- und Jugendzentrums kaum mehr erwarten.

Traumaarbeit

Das Libya Youth Centre soll Kindern und Jugendlichen in Libyen eine Hilfestellung zur Verarbeitung der traumatischen Erlebnisse der kriegerischen Auseinandersetzungen des vorangegangenen Jahres bieten. Mit dem Projekt wird das erste derartige Therapiezentrum in Libyen geschaffen. Ein Team von vier internationalen und drei libyschen Mitarbeitern ist ab Anfang April direkt in das Projekt involviert.

Erste Anlaufstelle des Teams sind die Schulen, da vor allem Lehrer mit den Folgen der Nachkriegssituation überfordert sind. "Sie wissen zum Beispiel nicht, wie sie mit der gesteigerten Aggression der Schüler oder deren Ängsten und Problemen umgehen sollen", sagt Borufka. In Zusammenarbeit mit dem Bildungsministerium wurden zahlreiche Aktivitäten für die Schüler organisiert.

Bei ihren bisherigen Schulbesuchen erlebten die Sozialarbeiter und Psychologen keine Berührungsängste oder Vertrauensprobleme der Schüler. "Viele Kinder erkundigen sich bereits, wann wir wieder zu ihnen kommen", freut sich die Koordinatorin über die positive Resonanz. "Sie warten darauf, dass wir endlich unsere Tore für sie öffnen." Neben der Behandlung traumatisierter Kinder wird ein besonderes Augenmerk auf die Aus- und Weiterbildung der Bezugspersonen der Schüler gelegt. Lokale Sozialarbeiter und Lehrer werden von internationalen Experten dafür sensibilisiert, auffälliges Verhalten der Kinder zu erkennen und darauf zu reagieren. Indirekt soll über die Sozialarbeiter der Kontakt zu den betroffenen Kindern und Jugendlichen aufgebaut werden.

Willkommene Hilfe

Über die breite Akzeptanz des Themas Traumaarbeit in der Gesellschaft waren die Mitarbeiter
des Kinder- und Jugendzentrums überrascht, sagt Borufka und spricht damit die generelle
Tabuisierung psychologischer Hilfestellung im Land an. Der Kontakt zu
jungen Widerstandskämpfern, die nach Monaten an der Front zurück ins
Leben finden möchten, bestärkte sie in der Dringlichkeit
ihrer Aufgabe. "Viele von ihnen haben mittlerweile erkannt, dass eine Therapie den einzigen
Weg darstellt, um sich aktiv an der Konfliktbewältigung und am
Wiederaufbau des Landes zu beteiligen." Um auch dieser Gruppe die nötige psychologische Betreuung zu ermöglichen, erhöhte das Team um Borufka die Altersgrenze auf 25 Jahre.

Aber das Team muss auch mit zahlreichen Hürden kämpfen. Als besonders
schwierig gestaltete sich in der Vergangenheit die Suche nach
qualifizierten Arbeitskräften im Bereich Psychologie und Sozialarbeit.
So lassen sich kaum gut ausgebildete und erfahrene
nationale Experten auf diesem Gebiet finden und müssen erst gezielt aus- und weitergebildet werden. Bei internationalen
Fachleuten scheitert die Möglichkeit der Mitarbeit meist an der
sprachlichen Barriere. "Im therapeutischen Bereich ist es zwingend
notwendig, dass die Psychologen die Muttersprache der Kinder
beherrschen", so die Vorarlbergerin.

Laut Projektplan sollen bis zum Oktober 2013 rund 1.200 Kinder und Jugendliche im Alter von sechs bis 25 Jahren psychologisch betreut werden. Nina Borufka rechnet schon vor der offiziellen Eröffnung damit, dass das Projektziel überschritten werden wird.  Ein Gefühl der Hilflosigkeit macht sich bei der Vorarlbergerin breit: "Es ist frustrierend zu wissen, dass man so vielen Kindern und Jugendlichen nicht helfen kann, da die Zahl der Betroffenen enorm ist. Man muss jedoch den Weg gehen, auf den man sich vor dem Projekt festgelegt hat, ansonsten leidet die Qualität des Projekts darunter." (Caroline Wirth, derStandard.at, 28.3.2012)

Hintergrund

Ursprünglich wurde der Aufbau und Betrieb des psychosozialen Zentrums für Kinder und Jugendliche, die unter den Kriegshandlungen in Libyen besonders gelitten haben, vom Mineralstoffkonzern OMV initiiert. Das Hilfswerk Austria International wurde aufgrund seiner Erfahrungen als Kooperations- und Umsetzungspartner eingesetzt. Die Kooperation startete im Oktober 2011, das Projektvolumen liegt bei zwei Millionen Euro. Planmäßig soll das Zentrum nach 24 Monaten an die libyschen Behörden übergeben und von diesen weiterbetrieben werden.

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