30.01.15, 10:26
Psychologie
In wenigen Stunden schaffen, was sonst Tage oder Monate dauert: Ein Psychologe behauptet, zwei Fremde ließen sich sicher verkuppeln. Sie müssten sich dafür nur durch diesen Fragenkatalog arbeiten.
Von
Hannes Stein
Foto: pa/blickwinkel/M
New York. Vor mehr als 20 Jahren fand ein US-Psychologe namens Arthur Aron den Schlüssel, die Geheimformel, den Stein der Liebesweisheit – kurz und gut, er fand heraus, wie man wildfremde Menschen dazu bringt, dass sie sich ineinander verlieben. Er testete seine Methode mit seinen Psychologiestudenten, als das Semester schon mehr als einen Monat alt war. Zwei Wochen vor dem Test kündigte er an, dass er stattfinden würde, und bat Freiwillige, sich zu melden.
Beinahe alle Studentinnen und Studenten wollten teilnehmen. Aron teilte sie nach dem Zufallsprinzip in Zweiergruppen ein. Dann mussten die Studenten sich innerhalb von eineinhalb Stunden durch einen Katalog von 36 Fragen arbeiten. Es gab noch ein Paket von 36 anderen Kontrollfragen, die als Grundlage für einen Small Talk dienen sollten. Das Ergebnis der Studie war glasklar: Es ist ziemlich unwichtig, ob zwei Menschen miteinander übereinstimmen – das gilt sogar für wesentliche Überzeugungen.
Es ist auch irrelevant, ob sie voneinander erwarten, dass der jeweils andere sie mag. Was Menschen einander nahebringt, ist, dass sie ihre Herzen öffnen – oder, um im Jargon der Wissenschaft zu sprechen: "Ein wichtiges Muster, das mit der Entwicklung einer starken Beziehung zwischen Ebenbürtigen zusammenhängt, ist die anhaltende, eskalierende, gegenseitige, personalistische Selbstoffenbarung."
Unter den 36 Fragen, die die einander wildfremden Paare durchnehmen mussten, waren unter anderem diese: "Wenn du unter allen Menschen auf der Welt wählen könntest, wen würdest du gerne zum Essen einladen?" – "Würdest du gerne berühmt sein? In welchem Bereich? " – "Hast du insgeheim eine Vermutung, wie du sterben wirst?"
In wenigen Stunden dahin, was sonst Monate dauert
Mandy Len Catron, eine Schriftstellerin, die an der University of British Columbia im kanadischen Vancouver lehrt (unter anderem – wie passend – bringt sie ihren Studenten bei, wie gefährlich es ist, Liebesgeschichten zu schreiben), wollte die Probe aufs Exempel machen. Sie traf einen Mann in einer Bar, den sie vom Sehen kannte. Sie war ihm gelegentlich an der Kletterwand im Fitnessstudio begegnet. In der Bar tranken die beiden Bier und befragten einander.
Es fing schön harmlos an, aber als sie bei der Aufgabe angekommen waren, drei Dinge aufzuzählen, die sie miteinander gemeinsam hatten, schaute er sie an und sagte: "Ich glaube, wir sind beide aneinander interessiert." Und schon befanden sie sich mitten auf dem Glatteis der Intimität und konnten nicht zurück.
Sie erzählten einander, wann sie das letzte Mal geweint hatten und gestanden, was die eine Sache sei, die sie gern von einem Wahrsager wüssten. Das Experiment erinnerte Mandy Len Catron an die berühmte Geschichte von dem Frosch, der im Wasser hocken blieb, bis er darin gesotten wurde, weil das Wasser sich so langsam erhitzte. Gleichzeitig schien ihr aber, dass sie einen Prozess, der normalerweise Wochen oder sogar Monate in Anspruch nimmt, innerhalb von Stunden durchlief.
Am schwersten fielen Mandy Len Catron nicht jene Momente, in denen sie etwas von sich selbst mitteilen sollte, sondern jene Augenblicke, in denen sie etwas über den fremden Mann ihr gegenüber sagen musste. Zum Beispiel (Frage 22): "Nennt abwechselnd eine positive Charaktereigenschaft, von der ihr glaubt, dass sie euer Gegenüber besitzt. Macht dies fünfmal."
Der Höhepunkt des aronschen Tests ist erreicht, wenn beide Partner einander wortlos vier Minuten lang in die Augen schauen. Dies beschlossen Mandy Len Catron und ihr Begleiter. Sie stelle an ihrem iPhone den Wecker, dann trat der Test in seine finale Phase. Zuerst war sie unsicher, es war mühsam, nicht zu lächeln. Dann dachte sie an die alte Dichterphrase, dass das Auge das Fenster der Seele sei. Dann fiel ihr ein, dass es sich beim Auge einfach nur um eine Ansammlung von nützlichen Zellen handelte. Sie studierte den Augapfel, die Iris ihres Partners. Als das iPhone summte, hätte sie ihrem Partner gern noch länger in die Augen geschaut. Und jawohl, sie war verliebt. Er war es selbstverständlich auch.
Parodie auf Arons Fragenkatalog
Gewiss, es handelte sich nicht um einen Versuch unter klinischen Bedingungen. Mandy Len Catron hatte den Mann, mit dem sie Arthur Arons Fragenkatalog durchnahm, schon bei ihren zufälligen Begegnungen auf der Kletterwand attraktiv gefunden. Es war also mehr so, dass der Test für die beiden eine Abkürzung war: Er ermöglichte ihnen, einander ohne das übliche Zeremoniell von Anrufen und SMS-Nachrichten und Abendessen und Kino näherzukommen.
Im Übrigen ist in der Zeitschrift "New Yorker" längst eine ganz hinreißende Parodie erschienen: "Wenn Sie sich entlieben wollen, tun Sie dies." Der "New Yorker" präsentiert einen Katalog von 36 Fragen, durch die man es garantiert erreicht, dass man einander spinnefeind wird – die erste und die letzte Frage lautet dabei: "Wenn Sie unter allen Menschen auf der Welt aussuchen könnten, wem würden Sie dann gern mal eine reinsemmeln?"
Diese Parodie erinnert auf lustige Weise daran, dass der Schlüssel, der Geheimcode, der Stein der Liebesweisheit, den Arthur Aron gefunden hat, das wirkliche Lebensproblem allerdings überhaupt nicht löst. Denn um schlaflose Nächte durchzustehen, wenn das Baby schreit, und miteinander alt zu werden, reicht bloße Verliebtheit nicht aus.