Stuttgart - „Man füttert Kinder mit Milch und Lob“, stellte der Essayist und Kinderbuchautor Charles Lamb schon vor knapp 200 Jahren fest. Zu seiner Zeit ging man in vielen Familien mit warmen Worten als Instrument der Erziehung noch eher sparsam um. Heute dagegen gilt Lob vor allem in westlichen Gesellschaften als der Dünger, der die kindliche Psyche erst richtig zum Erblühen bringt: Wer sein Kind liebt, der lobt.
Das führt aber nicht uneingeschränkt zum gewünschten Erfolg. Schon in den 1970er Jahren zeigte etwa der Psychologe Wulf-Uwe Meyer von der Universität Bielefeld, dass positives Feedback auch Schaden anrichten kann: Wenn Schüler eine einfache Aufgabe lösen und dafür übermäßig gelobt werden, ist das unter Umständen schlecht für ihr Selbstbild. Sie vermuten dann nämlich, dass der Lehrer sie für dumm halte und deshalb noch den kleinsten ihrer Erfolge lobe. Seitdem sind zahllose Studien zu den paradoxen Wirkungen von Lob erschienen. Unstrittig ist zwar immer noch, dass Kinder positive Rückmeldungen brauchen. Inwieweit sie davon profitieren, hängt aber ganz wesentlich von der Form des Feedbacks ab.
Wir können einen Menschen loben, indem wir seine Person mitsamt ihren Fähigkeiten preisen („Du bist ein guter Fußballspieler!“). Wir können aber auch seine Anstrengungen ins Zentrum unserer Rückmeldung stellen („Du hast heute gut gekämpft und zu Recht zwei Tore geschossen!“). „Anstrengungsbezogenes Feedback ist in der Regel besser“, sagt Markus Dresel, Psychologe an der Universität Augsburg. „Das ist inzwischen gut belegt.“ Personenbezogenes Lob kann dagegen das Selbstwertgefühl von Kindern schwächen, und zwar gerade von solchen, die ohnehin von Selbstzweifeln geplagt sind. Dennoch steht diese Form der Rückmeldung bei Eltern hoch im Kurs. Das zeigt zumindest eine aktuelle Studie der Universität Utrecht, die im Fachblatt „Journal of Experimental Psychology: General“ erschienen ist.
„Du bist super!“ hat einen paradoxen Nebeneffekt
Teilgenommen haben mehr als 350 Mütter und Väter. Die Forscher wollten wissen, ob die Eltern selbstbewusste Kinder anders loben als unsichere. Und in der Tat: die selbstbewussten Kinder erhielten oft Lob für ihre Anstrengungen („Da hast du dir bei diesem Bild aber wirklich Mühe gegeben!“), die unsicheren dagegen für ihre Person („Du bist ja eine richtig gute Malerin!“). „Wenn Kinder sich für wertlos halten, scheint es intuitiv die richtige Strategie zu sein, sie für das zu loben, was sie sind“, interpretieren die Wissenschaftler.
Doch diese gut gemeinte Strategie kann ironischerweise die Selbstzweifel von Kindern noch verstärken. Das konnten die Utrechter Forscher in einer weiteren Untersuchung zeigen. Darin durften Schulkinder ein Reaktionsspiel spielen. Zwischendurch bekamen sie Feedback zu ihrer Leistung – entweder ein „Du bist super!“ oder ein „Das hast du super gemacht!“. Das aufmunternde „Du bist super!“ hatte dabei einen paradoxen Nebeneffekt: Die so gelobten Schüler taten sich im Anschluss erheblich schwerer damit, Niederlagen zu verdauen. Das traf allerdings nur auf Spieler mit einem geringen Selbstwertgefühl zu.
„Wenn Lob der Person gilt und nicht der konkreten Anstrengung, dann kann die gelobte Person bei einem anschließenden Misserfolg ihre Fähigkeiten als solche infrage stellen“, erklärt Markus Dresel die Ergebnisse seiner Utrechter Kollegen. Aus einem „Ich habe heute nicht gut gespielt“ wird dann ganz schnell ein generelles „Ich kann es nicht“.
Personenbezogenes Feedback hat einen weiteren Nachteil: Es richtet sich auf Fähigkeiten, die das Kind hat – und nicht auf den Lernprozess, mit dem es diese Fähigkeiten erwirbt. Das Kind kann dadurch den Eindruck bekommen, dass es mit Talenten und Defiziten ausgestattet ist, an denen es nichts ändern kann („Ich kann halt kein Mathe.“). Erziehungswissenschaftler sprechen von erlernter Hilflosigkeit. Anstrengungsbezogenes Feedback signalisiert dagegen: du kannst viel erreichen, wenn du dich nur bemühst.
Dennoch solle man auf personenbezogenes Lob nicht komplett verzichten, meint Markus Dresel: „Wenn ein Kind lange genug Bruchrechnen geübt hat, sollten die Eltern ruhig auch mal sagen: ‚Du kannst das jetzt.‘“ So merke das Kind, dass man neue Fähigkeiten auch erlernen könne. In Studien mit Schulkindern hat sich dieser Ansatz – erst die Bemühungen loben und dann die neu erworbenen Fähigkeiten – bereits als wirksam erwiesen.
Gesundes Lob ist – wie gesundes Essen – eine Frage von Maß und Mischung: Wer nicht jeden noch so kleinen Erfolg preist und hin und wieder auch die Fähigkeiten seiner Kinder würdigt, macht das meiste richtig. Keineswegs sollten Eltern den Schluss ziehen, auf Lob besser zu verzichten, betont Dresel: „Die Folgen wären mit Sicherheit wesentlich dramatischer.“